Krise mit Ansage – auch im Landkreis Rosenheim?
Mangelware Kita-Platz: Hitziger TV-Gipfel in Bad Aibling zum Betreuungs-Notstand
Hilfe, wer betreut mein Kind? Im Aiblinger Kurhaus tauschten sich viele Betroffene aus der Region Rosenheim über den aktuellen Notstand aus. Was Eltern von der Politik fordern und ob die Krise hausgemacht ist.
Bad Aibling/Rosenheim – Die Verzweiflung ist groß. Viele Eltern würden gerne wieder arbeiten, wissen aber nicht, wohin mit ihrem Kind. Der Betreuungsnotstand in ganz Bayern spitzt sich immer weiter zu und ist in aller Munde. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen im Freistaat knapp 62.000 Plätze – bei den unter Dreijährigen ist die Lage besonders prekär. Das Hauptproblem: Alleine im Freistaat fehlen tausende Erzieherinnen und Erzieher. Auch wenn Kommunen also den jeweiligen Bedarf errechnet und viele neue Einrichtungen gebaut haben, fehlt am Ende häufig Personal.
Freilich gibt es auch in der Region Unterschiede. Während man in puncto Kitaplätze und Personal in Bad Aibling im laufenden Jahr mit Mühe eine Punktlandung hinbekommen hat, bekommen in Kolbermoor fast 60 Kinder keinen Platz. In Rosenheim sind es fürs kommende Kindergartenjahr sogar fast 500 Betreuungsplätze zu wenig (wir berichteten).
Die Stimmung in den Einrichtungen und bei betroffenen Familien ist äußerst angespannt, was nun auch ein TV-Gipfel in Bad Aibling verdeutlichte. Bei der BR-Sendung „jetzt red i“ am Mittwochabend (10. Mai) im Kurhaus diskutierten Eltern, Erzieherinnen, Trägervertreter und Politiker sachlich, aber durchaus emotional über den aktuellen Notstand. Doch ist das eine Krise mit Ansage? Eine Frage, die Moderator Tilman Schöberl immer wieder in den Raum warf und auf die es in der TV-Arena verschiedene Antworten gab.
Familienministerin Scharf: „Haben schon messbare Erfolge“
Denn während sich Eltern, Erzieher oder Trägervertreter deutlich mehr Unterstützung und Investitionen durch den Staat wünschten, verwies die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf – bei allem Verständnis für Betroffene – immer wieder auf Zahlen und wollte die „Krise mit Ansage“ so nicht stehen lassen. „Wir haben schon messbare Erfolge“, führte sie aus und sprach von einer persönlichen Herzensangelegenheit, schließlich habe sie das Thema Kinderbetreuung zur „Chefinnensache“ gemacht.
So habe man derzeit 114.000 Beschäftigte in unseren Kitas, was 80 Prozent mehr seien als vor zehn Jahren. Laut Scharf werden über 639.000 Kinder in Bayern betreut, seit 2018 sind über 80.000 neue Plätze geschaffen worden. Auch ihr eingeführtes Gesamtkonzept für berufliche Weiterbildung trage jetzt Früchte, „wir haben jetzt zusätzlich schon über 700 Kräfte, die als Assistenzkräfte, als Ergänzungskräfte mithelfen“, so die Familienministerin. Das Konzept für Quereinsteiger werde äußerst gut angenommen. Ihr Lösungsansatz in der Krise: „Weiter ausbauen und für diesen schönen Beruf werben.“
„Wut“ und „Verzweiflung“ bei den Eltern
„Das reicht halt nicht“, entgegnete ein junger Vater aus dem Publikum. Bezogen auf den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz genüge das seit zehn Jahren deutlich aufgestockte Personal einfach nicht. Die Familie aus Rosenheim, bei der die Mutter gerne wieder arbeiten möchte, sucht seit Monaten vergebens einen Krippenplatz. Auch die Wartelisten der Tagesmütter seien „rappelvoll“.
Und so geht es vielen Familien, die an diesem Abend auch verdeutlichten, dass oftmals beide Elternteile alleine aus finanziellen Gründen wieder arbeiten müssten. So nehme der Notstand im Betreuungssektor erheblichen Einfluss auf viele weitere Bereiche des Arbeitsmarktes. Dieser „Teufelskreis“ führe etwa dazu, dass Eltern nicht mehr uneingeschränkt berufsfähig seien können, weil sie aufgrund der Betreuungsproblematik nicht rechtzeitig zur Arbeit erscheinen. Von „Wut“ und „Verzweiflung“ ist die Rede. Und dennoch sei die „Stimme der Eltern in der ganzen Debatte relativ leise“, wie eine Zuschauerin bemängelte.
Opposition sieht Krise mit Ansage
Die Forderung an die Politik, mehr Geld für Personal und Entlastung in die Hand zu nehmen, fand jedenfalls großen Anklang im Aiblinger Kurhaus. Für die Opposition, in diesem Fall für Martin Hagen, FDP-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag, ist der Notstand wenig überraschend eine Krise mit Ansage. Man habe den Rechtsanspruch seit zehn Jahren, der Bedarf wachse – eine Entwicklung also, die keinen überraschen konnte, so Hagen. „Frau Scharf hat zwar recht, dass wir das Personal aufgestockt haben“, sagte der FDP-Politiker. Allerdings sei die Lücke dennoch größer geworden. Die Krise habe sich auch durch politische Entscheidungen verschärft.
Und was sagen die kommunalen Entscheidungsträger? Laut Rosenheims Dritter Bürgermeisterin Gabriele Leicht (SPD) habe sich die Zahl der fehlenden Plätze inzwischen von fast 500 auf 444 verringert, was dem unermüdlichen Einsatz des Amtes für frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung zu verdanken sei. Sie stellte aber auch klar: „Wir werden sicher nicht alle Plätze, die jetzt nachgefragt sind, besetzen können.“ Im vergangenen Jahr sei es jedoch immerhin gelungen, alle Rechtsansprüche zu erfüllen, macht Leicht ein wenig Hoffnung.
Gibt es Lösungsansätze?
Bad Aiblings Bürgermeister Stephan Schlier (CSU) hatte da etwas weniger dramatische Verhältnisse zu kommentieren. „Wir wollen die Plätze zur Verfügung stellen“, betonte der Rathauschef. Dies sei im laufenden Jahr in den Bereichen Kindergarten, Krippe und Hort auch gelungen. Für dieses Jahr stelle man noch einmal 100 neue Plätze zur Verfügung. Ein Vorteil in der Kurstadt: „Wir zahlen tatsächlich einen hundertprozentigen Defizitausgleich, wodurch man dann auch leichter Träger findet.“
Doch auch in Bad Aibling sei die Lage angespannt. Eine Situation, die in unterschiedlicher Ausprägung für den gesamten Landkreis gilt. Zufrieden gingen die Besucher des TV-Gipfels deshalb sicher nicht nachhause. Gewisse Lösungsvorschläge, etwa bezahlbarer Wohnraum für Erziehungspersonal, angepasste Öffnungszeiten in vereinzelten Einrichtungen, die berufstätigen Eltern aus dem Schichtdienst entgegenkommen oder ein finanzieller Ausgleich für Eltern, die aufgrund fehlender Betreuungsplätze ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, fanden jedoch immerhin ihre Beachtung.

