140 Jahre kbo-Inn-Salzach-Klinikum
Wasserburgs Klinikdirektor Zwanzger: „Niemand muss Angst vor dem Psychiater haben“
Haben psychische Erkrankungen ihr Stigma verloren? Ärztlicher Direktor Professor Dr. Zwanzger vom kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg über die Angst vor dem Psychiater, Volkskrankheiten wie die Depression, die jeden treffen können, und hoffnungsvolle Therapien.
Wasserburg – Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg feiert am Freitag, 23. Juni, das 140-jährige Bestehen. Zum Festakt kommt auch Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Ein kleines Jubiläum hat in diesem Zusammenhang auch der Ärztliche Direktor, Professor Dr. Peter Zwanzger. Seit zehn Jahren prägt der Experte für Depression und Angststörungen, mehrfach mit dem FOCUS-Gesundheit-Ärztesiegel ausgezeichnet, das psychiatrische Fachkrankenhaus.
Statistisch gesehen leiden etwa acht Prozent der Menschen einmal in ihrem Leben an einer depressiven Erkrankung – Tendenz steigend. Es ist also eine Volkskrankheit. Immer mehr Menschen holen sich Hilfe, auch stationär in psychiatrischen Fachkrankenhäusern wie dem kbo-Inn-Salzach-Klinikum. Ist das Stigma überwunden?
Professor Dr. Peter Zwanzger: Leider nein. Obwohl depressive Erkrankungen medial viel mehr ein Thema sind als früher und man meinen könnte, dass sie kein Tabu mehr sind: Wenn es einen selber trifft, dann ist es nach wie vor oft so, dass sich Betroffene sehr schwer tun, sich ihrer Erkrankung zu stellen. Da gibt es noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten – auch in Bezug auf die Medikamente, die zur Behandlung zur Verfügung stehen. Bis heute gibt es hier viele Ängste und Vorbehalte. Dabei sind die medikamentösen Möglichkeiten, eine Depression zu behandeln, sehr weit. Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum hat trotz Öffnung nach außen und vieler auch ambulanter Angebote etwa in den Tagesklinken außerdem nach wie vor ein wenig mit dem alten Psychiatrie-Image zu kämpfen.
Wo ist der Unterschied zwischen Traurigkeit und Depression? Wie erkennen Betroffene, dass sie medizinische Hilfe benötigen?
Zwanzger: Nicht jede etwas länger anhaltende Befindlichkeitsstörung ist der Vorbote einer Depression. Derzeit neigt die Gesellschaft dazu, ohne Not zu pathologisieren, also Verhaltensweisen und Empfindungen als krankhaft einzuordnen, obwohl sie es gar nicht sind. Das führt manchmal auch dazu, dass Menschen Psychotherapie erhalten, die eigentlich gar keine Behandlung benötigen, wieder andere benötigen dringend einen Platz und finden keinen. Wir haben diagnostische Leitlinien und Klassifikationen anhand von Skalen, die wissenschaftlich anerkannt sind. Sie sorgen dafür, dass es weder zu einer Unter- noch zu einer Überdiagnostik kommt. Traurigkeit ist, wie bereits erwähnt, nicht immer sofort krankhaft. Andererseits, ja, Traurigkeit gehört zur Depression. Doch bei der Diagnose analysieren wir einen ganzen Cluster an möglichen Symptomen. Kommt zur Traurigkeit, die ja auch einen Grund wie ein erlebtes Trauma haben kann, noch Interessenverlust, anhaltende Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit hinzu, kurzum: Wird die Lebensführung stark beeinträchtigt, dann kann es sich um eine Depression handeln. Hier gibt es unterschiedliche Schweregrade, absolutes Alarmsignal sind natürlich Suizidgedanken.
Kann eine Depression wirklich jeden treffen?
Zwanzger: Ja, das stimmt. Doch es gibt Risikofaktoren wie eine schwierige Lebensgeschichte, erlebte Trauma, genetische Faktoren. Es ist nach wie vor wissenschaftlich nicht entschlüsselt, warum manche Menschen eine von Natur aus hohe Resilienz haben, andere nicht. Es gibt Menschen, die schwere Schicksalsschläge gut aushalten, wieder andere, bei denen diese eine Depression auslösen können. Wir wissen jedoch eins: Ein gutes Umfeld hilft gegen eine Erkrankung und auch bei einer Erkrankung, wieder zu genesen. Außerdem wissen wir, dass es neben psychosozialen Auslösern auch körperliche Ursachen für eine Depression geben kann: Veränderungen im Gehirn und Hormonverschiebungen sowie Ungleichgewichte bei den Botenstoffen können einen negativen Einfluss haben. Das sind dann die biologischen Effekte. Diese Störungen können sehr gut mit Medikamenten behandelt werden.
Sie gelten als der Angstexperte in Deutschland. Hier stellt sich eine ähnliche Frage: Wann ist Angst krankhaft? Schließlich betonen Sie auch in Ihrem Buch „Angst und Gesellschaft“, dass Angst eigentlich ein von Natur aus wichtiges Gefühl ist.
Zwanzger: So ist es. Angst ist eine unserer wichtigsten Emotionen. Ohne die Angst würden wir uns ständig in Lebensgefahr begeben. Angst ist also per se überhaupt nichts Negatives. Hier gilt das gleiche wie bei der Depression: Krankhaft ist Angst erst dann, wenn sie unseren Lebensalltag deutlich beeinträchtigt, wir uns beispielsweise nicht mehr aus dem Haus und unter Menschen trauen. Dann liegt eine Angststörung vor, die behandlungsbedürftig ist. Auch hier spielen viele Faktoren eine Rolle, die auslösend sein können: psychologische und biologische. Ich stelle derzeit nur leider einen etwas inflationären Gebrauch des Angstbegriffes fest. Ein Beispiel: die Klima-Angst.
In der Therapie von Angststörungen setzt das kbo-Inn-Salzach-Klinikum auch auf virtuelle Realitäten. Wie bewerten Sie die Chancen?
Zwanzger: Es ist ein Baustein von vielen in der Therapie. Die virtuelle Realität hilft, sich mit Ängsten zuerst einmal am Computer auseinander zu setzen. Deshalb ist es sinnvoll, die VR in das Gesamtkonzept der Behandlung einzubetten.
Beim Symposium zum Jubiläum am Freitag, 23. Juni, geht es auch um neue Strategien zur Behandlung von Schizophrenie. Ist sie eigentlich heilbar?
Zwanzger: Ich antworte auf diese Frage mit einer Gegenfrage, die die Problematik gut verdeutlicht, wie ich finde. Ist Diabetes heilbar? Nein, auch nicht. Damit hat auch niemand ein Problem, das ist kein Tabu. Da hat halt jemand Diabetes, muss Tabletten nehmen oder sich spritzen. Es gibt viele Menschen, die mit Diabetes ein Leben lang relativ beschwerdefrei klarkommen, denn diese Erkrankung ist gut behandelbar. So ist es auch bei Schizophrenie. Wir haben am Inn-Salzach-Klinikum gute Ärzte, Therapeuten, Psychologen, Sozialpädagogen, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, die speziell ausgebildet sind in der psychiatrischen Fachpflege. Und wir haben wirklich viele Patienten, die erfolgreich mit einer Schizophrenie-Erkrankung durch das Leben kommen. Schade, dass wir in Deutschland nach wie vor so eine pharmakritische Haltung feststellen. Denn auch vor der medikamentösen Behandlung muss niemand Angst haben. Seit den 2000er Jahren sind viele neue, sehr gut wirksame und gut verträgliche Medikamente entwickelt worden, ebenso hat es eine große Entwicklung im Bereich der Psychotherapie gegeben. Wir finden für jeden das passende. Wir probieren so lange, bis es passt, das dauert halt manchmal. So ist es möglich, dass Menschen trotz der Erkrankung ein gutes und erfülltes Leben führen können – genauso wie der Patient mit Diabetes.
Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum wird heuer 140 Jahre alt. Sie sind seit zehn Jahren Ärztlicher Direktor. Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft?
Zwanzger: Dass niemand mehr Angst vor dem Psychiater hat! Dass seelische Erkrankungen genauso wenig ein Tabu sind wie somatische. Hier sind wir übrigens auf einem guten Weg, besonders in Wasserburg, durch die Tatsache, dass wir im Neubau unter einem Dach mit einem somatischen Krankenhaus, der Romed-Klinik Wasserburg, räumlich vereint sind. Die Zusammenarbeit der beiden Träger und der Mitarbeiter läuft hervorragend. Dafür bin ich sehr dankbar. Was ich mir außerdem persönlich sehr wünsche: (lacht): dass die S-Bahn bis nach Wasserburg fährt.