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Hochmoderner Neubau mit altem Makel

„Es reicht“ im „Trauerspiel Klinikum“: Behinderten-Beirat Wasserburg erhöht den Druck

Schildbürgerstreich: Die Schilder zum Haupteingang, die sich an Menschen mit Behinderung wenden, führen den Hang hoch ins Leere.
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Schildbürgerstreich: Die Schilder zum Haupteingang, die sich an Menschen mit Behinderung wenden, führen den Hang hoch ins Leere.

Extrem lange Wege für Gehbehinderte, fehlende Hinweisschilder und Leitsysteme: Menschen mit Handicaps klagen nach wie vor, ein Besuch im neuen Großklinikum in Wasserburg sei ein „Kraftakt“. Der Behinderten-Beirat will die Rolle als „Bittsteller“ im Kampf für die Barrierefreiheit nicht länger akzeptieren.

Wasserburg – Schön ist es, das neue Großklinikum, idyllisch gelegen im Parkgelände von Gabersee, außerdem top ausgestattet. Doch beispielsweise am behindertengerechten Weg, der sich durch viel sattes Grün vom Parkplatz bis zum Haupteingang schlängelt, haben viele Patienten und ihre Angehörigen keine Freude. Denn die Strecke ist einen halben Kilometer lang – zu beschwerlich für viele Menschen, die nicht gut zu Fuß sind. Auch eine Haltestelle direkt vor der Tür des neuen Krankenhauses gibt es nicht, dafür aber eine, die nicht angefahren wird. Und Schilder, die in die Irre führen, fast schon einen Schildbürgerstreich.

„Ich war fix und fertig“

Davon kann auch Margit Stumpf ein Lied singen. Die Wasserburgerin ist aufgrund einer Wirbelsäulenerkrankung schwerbehindert und hat Asthma. Das Gehen fällt ihr schwer. Vor dem Besuch im Klinikum, wo die 64-Jährige letztens einen ambulanten Termin bei einem Arzt hatte, musste sie nach eigenen Angaben einen „Kraftakt“ absolvieren. Sie fand um 14 Uhr nur ganz hinten auf dem zentralen Parkplatz eine Stellfläche, musste bis nach vorne gehen, um den Weg zum Haupteingang anzutreten. Sie wählte aufgrund der Hitze nicht die noch längere Strecke über den barrierefreien Weg, sondern die Treppe. Ein Geländer gibt es nicht, weshalb sie sich unsicher fühlte. „Ich war fix und fertig, als ich im Klinikum ankam. Ich habe 20 Minuten gebraucht. Wo bleibt da der versprochene Shuttle-Bus?“ Beim nächsten Besuch lasse sie sich fahren und bis vor die Tür bringen, dort können Autos kurz halten und Patienten aussteigen lassen. Doch eigentlich will Stumpf keine Hilfe von anderen annehmen müssen, sondern es selbst schaffen.

„Der Geduldsfaden ist sehr dünn geworden“, sagt Ethel-D. Kafka kopfschüttelnd angesichts dieser und weiterer Beispiele. Die Geschäftsführerin des Behindertenbeirats und Leiterin des Bürgerbahnhofs Wasserburg, Anlaufstelle bei allen sozialen Themen, ist nicht mehr bereit, „noch einmal ein Jahr zu warten, bis es zu Verbesserungen kommt“. Schließlich habe es bereits zahlreiche Ortsbesichtigungen, runde Tische, Gespräche, Verhandlungen, viel Schriftverkehr und Besprechungen mit unterschiedlichen Akteuren gegeben, ohne dass sich die Situation für Menschen mit Behinderung in und am Klinikum geändert habe. Der Neubau sei das größte Vorhaben dieser Art im Freistaat in den vergangenen Jahren, das gemeinsame Haus von kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK) und Romed-Klinik gelte als vorbildlich über die Grenzen der Region hinaus – nicht nur aufgrund der Architektur und der Ausstattung, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sich erstmals eine kleine somatische Klinik mit einem großen psychiatrischen Fachkrankenhaus räumlich vereint habe. Bei zahlreichen Veranstaltungen sei das neue Großklinikum als besonders modern, innovativ, gar als „Leuchtturmprojekt“ hervorgehoben worden. „Nur ein Themenaspekt wird anscheinend ausgeklammert: die Barrierefreiheit“, ärgert sich Kafka.

So sehen das nicht nur die Mitglieder des Behindertenbeirats in Wasserburg, neben Kafka noch Doreen Bogram und Ingo Hesse, sondern auch die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen im Landkreis Rosenheim, Irene Oberst, Vertreter der Stiftung Attl, des Vdk, von Selbsthilfegruppen und Sozialeinrichtungen in der Region. Sie haben den offenen Brief an die beiden Kliniken und ihre Träger unterschrieben.

Leitsystem für Menschen mit Behinderung fehlt

„Es ist so schade, dass wir heute hier sitzen müssen, um die Gründe für unsere Aktion zu verdeutlichen“, macht Kafka im Gespräch mit der Wasserburger Zeitung und wasserburg24 im Cafésito des Bürgerbahnhofs deutlich, dass sie gerne Positiveres mitgeteilt hätte. Doch die Behindertenbeiräte seien schon bei der Planung des Großklinikums nicht gefragt worden und würden auch seit der Eröffnung mit ihren Anliegen kaum Gehör finden. Das sei ungewöhnlich, so Bogram, die darauf hinweist, dass es in der Stadt Wasserburg kein öffentliches Bauvorhaben mehr gebe, bei dem die Vertreter der Menschen mit Handicaps nicht mitreden könnten. Stadtbaumeisterin Mechtild Herrmann treffe sich regelmäßig mit dem Beirat, Problemstellen in der Stadt würden meist kurzfristig und unbürokratisch beseitigt. Anders im Großklinikum, dort klappe es einfach nicht mit Verbesserungen, obwohl es sich nicht um große Maßnahmen handele, die notwendig seien, sondern um viele Kleinigkeiten, die ohne viel Aufwand aus der Welt geschaffen werden könnten. Unter anderem fehle beispielsweise auch eine gut sichtbare Beschilderung und ein taktiles Leitsystem für Menschen mit Sehschwäche im Foyer.

Hier beginnt der lange Weg Richtung Haupteingang des Klinikums, zu beschwerlich für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, finden Doreen Bogram und Ingo Hesse vom Behindertenbeirat.

„In Wasserburg steht nicht die Schwarzwaldklinik“

Der Behindertenbeirat verweist außerdem darauf, dass die Klinikträger, das Kommunalunternehmen des Bezirks Oberbayern für die dortigen Krankenhäuser sowie der Romed-Verbund von Stadt und Landkreis, den Auftrag des Freistaats nicht erfüllen würde: Dieser hatte ausgegeben, dass 2023 Bayern barrierefrei sein soll. Dass dies nicht immer einfach ist in einer historischen Stadt wie Wasserburg, ist den Mitgliedern bewusst. „Doch bei einem Neubau sollte es selbstverständlich sein, dass die Belange von Menschen mit Behinderung automatisch berücksichtigt werden“, findet Bogram – auch angesichts der Tatsache, dass diese auch oft das Klientel der beiden Häuser darstellen würden: Patienten seien oft beeinträchtigt, weil älter oder erkrankt, ihre Besucher ebenso. Die beiden Häuser würden mit Hochglanzbroschüren werben, Spitzenmedizin versprechen, zu Recht. „Doch in Wasserburg steht nicht die Schwarzwaldklinik. Was nützt der schöne Schein, wenn es ganz klar große Makel gibt“, findet Kafka.

Bogram verweist außerdem darauf, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen jeden treffen könnten und jeder Mensch in Zeiten der Inklusion ein Recht habe, trotz Handicap selbstständig am Leben teilzunehmen. Deshalb will sie auch nicht akzeptieren, dass es immer wieder als Ausrede heiße, es werde Menschen mit Behinderung schon geholfen im Klinikum. Sie müssten sich nur melden, etwa im Foyer, dann käme schon jemand, der sich kümmere. Betroffene dürften jedoch nicht abhängig sein davon, sollten nicht um Begleitung oder zugänglichen Informationen bitten und betteln müssen., findet Bogram.

Zu viele Köche verderben den Brei?

„Wir wollen ernst genommen werden“, sagt sie. Das modernste neue Klinikum in Bayern dürfe diesen Titel nicht tragen, wenn die Verantwortlichen nicht in der Lage seien, Schilder aufzustellen, Hilfsmittel wie Leitsysteme anzubringen und dafür zu sorgen, dass auch Blinde und Schwerhörige sich ohne Hilfe orientieren könnten. „Könnt Ihr Euch auch endlich mal darum kümmern“, lautet Bograms Appell. „Wir kommen uns vor wie Bittsteller“, charakterisiert sie die Gefühlslage des Beirats. Dass nichts vorangehe, liege vermutlich auch daran, dass zu viele Köche den Brei verderben würden. Zahlreiche Verantwortliche seien im Boot: der Bezirk Oberbayern und sein Kommunalunternehmen, Romed Wasserburg und dessen Träger, ein Verbund aus Stadt Rosenheim und Landkreis, die Stadt Wasserburg mit ihrem Stadtbus, der den Haupteingang nicht anfahren kann. „Einer schiebt die Verantwortung auf den anderen“, so Hesses Eindruck. Was er vor allem nicht verstehen kann: die Rolle des Bezirks. Eine seiner Hauptaufgaben sei schließlich die Förderung der Belange von Menschen mit Behinderung.

Der Beirat fordert, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen. Aber nicht, um erneut zu diskutieren und zu debattieren oder neue Protokolle verfassen zu lassen, sondern um konkret zu werden. „Wir brauchen eine To-do-Liste mit verbindlichen Zusagen, wer wann wo was erledigt“, sagt Bogram. „Wir sind jederzeit bereit, ins Gespräch zu kommen. Wir wollen keinen Streit, keinen Zank, doch wir müssen darauf bestehen, dass es endlich vorangeht. Diesbezüglich ist unsere Geduld am Ende. Es reicht!“

Der offene Brief im Wortlaut: „Mangelnde Berücksichtigung von Belangen für Menschen mit Behinderungen“

„Sehr geehrter Herr Adamski, sehr geehrte kaufmännische Klinikleitung des RoMed Wasserburg, sehr geehrte Damen und Herren, als Behindertenbeauftragte des Landkreises Rosenheim, des Behindertenbeirates der Stadt Wasserburg, sowie verschiedener Einrichtungen, welche sich dem Thema Menschen mit Behinderung widmen, wenden wir uns heute mit diesem offenen Brief an Sie. Die Wasserburger Kliniken werden der Öffentlichkeit als der modernste Klinikneubau in Oberbayern vorgestellt, der unter anderem mit einer vereinfachten Auffindbarkeit wirbt. Leider müssen wir als Vertreter von Menschen mit Beeinträchtigungen feststellen, dass trotz mehrmaliger Gespräche und Begehungen sowie der Suche nach Lösungsmöglichkeiten für diese nicht unerhebliche Gruppe an Patient*innen und Besucher*innen in den Kliniken nicht die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen wurden, damit ein inklusives Miteinander gelebt werden kann. Weder sind die Kliniken gut erreichbar, noch sind bisher die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen worden, damit Menschen mit Beeinträchtigungen barrierefreien und selbstständigen Zugang haben.

Ist es nicht so, dass Menschen mit Beeinträchtigungen einen nicht unerheblichen Anteil an Ihrer Patientengruppe ausmachen und Sie deshalb diese besonders im Blick haben sollten und die Verantwortung hierfür übernehmen sollten? Vor allem auch, wenn ein Teil des Klinikums vom Bezirk Oberbayern, welcher für diese Menschen zuständig ist, getragen wird?

Als Beispiel für einen von vielen Punkten: Der Weg von den Haltestellen hin zum Haupteingang ist mehr als einen halben Kilometer lang. Auch von den Parkplätzen bis zum Haupteingang ist es nur unerheblich kürzer. Da hilft auch nicht das bloße Wissen, dass das Klinikum wundervoll in die Parkanlage integriert wurde, wenn man als Mensch mit Einschränkungen, sei es durch Alter, Krankheit oder Behinderung, diese Wegstrecke überbrücken/bewältigen muss.

Daher fordern wir von der Klinikleitung nun auf diesem Weg endlich, den besonderen Ansprüchen von Menschen mit Behinderungen und Senioren*innen gerecht zu werden. Wir fordern:

- ausgeschilderte barrierefreie Wege, die vom Parkplatz zum Haupteingang führen, eine Parkplatzsituation, die ein schnelles Ankommen ermöglicht, eine ordentliche Ausschilderung der Behindertenparkplätze auf dem Parkplatzbereich, für Menschen, die keine langen Strecken zurücklegen können, einen rollstuhlgerechten Shuttle oder andere innovative Möglichkeiten zu schaffen, so dass man als Patient oder Angehöriger bequem ins Klinikgebäude gelangen kann und hierbei zur eigenen Verantwortung als Klinikbetreiber zu stehen, die Eingangsbereiche so zu gestalten, dass sie Menschen mit Beeinträchtigungen auch selbstständig zugänglich sind, innerhalb des Gebäudes zu überprüfen, inwieweit eigenständiges Zurechtfinden anhand von Wegweisern möglich ist – weil es hier nicht hilft, wenn an der Infotheke nur gesagt wird: „dritte Flur rechts, zweite Tür links“, aber man vielleicht das Gegenüber gar nicht versteht.

Es ist bedauerlich, dass wir nun diesen Schritt gehen müssen, aber mehrmalige Begehungen und Hinweise haben leider nicht zu einer ausreichenden Verbesserung der Sachlage geführt. Dieser offene Brief darf als ein erster Schritt von mehreren Öffentlichkeitsaktionen verstanden werden.“

Unterschrieben von Doreen Bogram, Ingo Hesse und Ethel-D. Kafka vom Behindertenbeirat der Stadt Wasserburg, Irene Oberst, Beauftragte des Landkreises für die Belangen von Menschen mit Behinderungen, Brigitte Lindmeier, Bezirksgruppenleiterin sowie Blinden- und Sehbehindertenberaterin, Theresa Fuchs, Offene Behindertenarbeit (OBA) der Stiftung Attl, Joachim Boy, stellvertretender Kreisvorsitzender des VdK und VdK-Ortsvorsitzender, Dzamna Krpo, Startklar Soziale Teilhabe gGmbH, Melita Marx, Bayerische Gesellschaft für psychische Gesundheit.

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