Haft-Kritikerin in Traunstein verurteilt
Frau erneuert Vorwürfe wegen Knast-Härten in JVA Bernau: Schmuggelte sie Drogen aus Not?
Eine Frau wollte Ersatzdrogen für ihren Bruder in die JVA Bernau schmuggeln. Deswegen wurde sie nun in Traunstein erneut zu einer Geldstrafe verurteilt. Doch bleibt auch sie bei ihrer Anklage – und kritisiert die JVA und Bayerns Umgang mit Häftlingen scharf.
Bernau/Traunstein – Ja, sie hat‘s getan. Daran ließ Claudia Jaworski selbst nie einen Zweifel. Die 34-Jährige machte auch in ihrer Berufungsverhandlung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz kein Hehl aus ihrem Vergehen. Das besteht darin, dass sie zwei Subutex-Tabletten für ihren heroinabhängigen Bruder in die JVA Bernau schmuggeln wollte. Sie sollten seine Entzugserscheinungen abdämpfen. Im Besucherzimmer steckte sie ihrem Bruder die Tabletten zu, doch der wurde erwischt.
Schon vor zwei Jahren in Rosenheim verurteilt
Über die Tat gibt es keine zwei Meinungen. Über den tieferen Grund schon. Jaworski macht den Umgang des Freistaats mit seinen Häftlingen dafür verantwortlich, dass sie sich überhaupt zum Drogenschmuggel für ihren kranken Bruder gezwungen sah.
Weil sie darin ein generelles Problem sieht, will sie durch die Instanzen gehen und hat auch nichts dagegen, mit Namen und Foto in der Zeitung veröffentlicht zu werden. Schon gegen den Strafbefehl hatte sie Einspruch eingelegt. So war es zu einer ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht Rosenheim gekommen. Weil es ums Prinzip geht.
Am Amtsgericht waren es noch 60 Tagessätze gewesen
Das Amtsgericht hatte sie vor gut zweieinhalb Jahren zu 60 Tagessätzen verurteilt, obwohl die Richterin eine gewisse Notsituation erkannt hatte. Gegen das Urteil ging Claudia Jaworski in Berufung. In der wurde sie nun vom Landgericht Traunstein wegen fahrlässiger Abgabe von Betäubungsmitteln zu 45 Tagessätzen zu 90 Euro verurteilt. „Eine Luftnummer“, sagte Jaworski auf OVB-Anfragen enttäuscht, „die Argumente des Gerichts hinken“.
Schwester sah ihren Bruder ernsthaft in Gefahr
Gab es eine Notsituation, die Frau Jaworski und ihrem Bruder keinen anderen Ausweg als den einer Straftat ließ? Dem Bruder, der mittlerweile wieder in Freiheit lebt, ging es aufgrund seiner damals seit 18 Jahre währenden Heroinsucht nicht gut. Die Drogenersatztherapie war ihm aber offenbar nicht gewährt worden.
Seine Schwester sah ihn nach eigenen Worten auch deswegen in Gefahr, weil die Zustände in der JVA Bernau rau sind. 2019 zum Beispiel war in der JVA Bernau ein Häftling von einem Mithäftling totgeprügelt worden. Das Opfer hatte offenbar seine in der JVA aufgelaufenen Drogenschulden nicht begleichen können. Das Opfer war dem Vernehmen nach Zellennachbar von Claudia Jaworskis Bruder.
Ihr Bruder sei „depressiv und psychisch instabil geworden“, sagte sie schon damals, nach der Verhandlung in Rosenheim, dem OVB . „Ich war mir nicht sicher, dass ich ihn beim nächsten Besuch noch lebend antreffen würde.“
Häftlinge schlecht behandelt?
Claudia Jaworski äußerte sich enttäuscht, weil das Landgericht Traunstein diese Notsituation nicht nachvollziehen wollte. Auch aufgrund der Aussage eines Rechtsmediziners, der keine medizinische Notwendigkeit für den Schmuggel gegeben sah. Der Gutachter hatte sich selbst nicht als Suchtmediziner bezeichnet. Konnte er die Schrecken und die quälenden Begleitumstände des kalten Entzugs wirklich ermessen? Das fragen sich Jaworski und ihre beiden Anwälte, Prof. Dr. Helmut Pollähne und Prof. Dr. Christine Graebsch.
Es geht ihr nicht so sehr um das Geld, das sie für die Strafe aufbringen muss, erst recht nicht um den Schuldspruch des Gerichts, der so milde wie nach Maßstäben der Juristen möglich ausgefallen sein dürfte. Es geht ihr um die Sache. Sie will zeigen, dass in bayerischen Haftanstalten im allgemeinen und in der JVA Bernau im besonderen mit kranken Häftlingen zuweilen unsensibel, manchmal sogar gegen klare Empfehlungen der Ärztekammer umgegangen werde.
JVA Bernau: Leiter widerspricht entschieden
Bei der Substitution handle es sich um eine medizinische Maßnahme, „die von den verantwortlichen Ärzten nach den einschlägigen Richtlinien vorgenommen wird“, entgegnet darauf JVA-Leiter Jürgen Burghardt. Derzeit erhielten 84 in Bernau inhaftierte Gefangene eine derartige Behandlung. „Die Substitutionsquote hat sich – gerade auch in der JVA Bernau – seit der Änderung der Richtlinien vor einigen Jahren deutlich erhöht.“
Claudia Jaworski will nicht aufgeben
Nun also der nächste Rückschlag vor Gericht. Immerhin ist das Landgericht der Angeklagten und ihren Anwälten sozusagen entgegengekommen, dass aus der vorsätzlichen Abgabe von Rauschmitteln ein Vergehen aus Fahrlässigkeit wurde. Der Richter sei ja auch nicht ohne Verständnis gewesen, habe sich nur am Ende nicht ganz zu den aus ihrer Sicht richtigen Schlüssen durchgerungen.
Der Bruder scheint sich auf einem guten Weg zu befinden, er wird substituiert, hat einen Job. Für seine Schwester ist die Angelegenheit dennoch nicht abgeschlossen. Rechtskräftig ist das Traunsteiner Urteil eh noch nicht, Claudia Jaworski und ihre Anwälte – sie hatten in Traunstein Freispruch gefordert – streben nun die Revision vor dem Oberlandesgericht München an.
Noch ein Verfahren wegen Verleumdung
„Eventuell kommt der Begriff der Fahrlässigkeit dafür in Frage“, sagt Christine Graebsch auf OVB-Anfragen, schließlich setze Fahrlässigkeit die Vernachlässigung von Sorgfaltspflichten voraus. „Genaueres können wir aber erst sagen, wenn wir die Urteilsbegründung in Händen halten.“ Sollte auch das Oberlandesgericht zu keinem Freispruch gelangen, werde man vors Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Der hatte die bayerische Zurückhaltung bei Substitutionstherapien in der Vergangenheit bereits verurteilt.
Davor kommt aber noch eine andere Verhandlung. Claudia Jaworski hatte vor der Verhandlung seinerzeit am Amtsgericht das Verhalten der JVA-Ärzte scharf kritisiert. Sie hätten ihrem Bruder die Ersatzdrogen nicht nur verweigert, sondern vorgeschlagen, er solle sich den Stoff beim Hofgang besorgen. Daher muss sie sich demnächst in Rosenheim wegen Verleumdung verantworten.