Noichl, Niebler, Ferber & Co. im Interview
„Totaler Kollaps droht“: Hitzige Diskussion um Brenner-Nordzulauf in der EU
Während man sich in Bayern noch mit Demonstrationen und Forderungen beschäftigt, wird der Brenner-Basistunnel in Österreich bereits gebaut. Von Seiten vieler EU-Politiker wird der schleppende Fortschritt im Drei-Länder-Projekt kritisch gesehen, wie sie im OVB-Gespräch verraten.
Straßburg/Rosenheim – Der Brenner-Nordzulauf ist in der Region ein emotional aufgeladenes Dauerthema. Im Laufe der Jahre haben sich zahlreiche Bürgerinitiativen geformt, die gegen eine Neubaustrecke in der Region sind. Während in Österreich und Italien schon fleißig gebaggert und gebuddelt wird, steckt man hierzulande noch mitten in den Planungen. Sogar durch den Bundestag muss das Projekt erst noch. Wie blickt man im EU-Parlament auf das deutsche Schneckentempo beim Bau des Brenner-Nordzulaufs? Das OVB war vor Ort in Straßburg und hat bei den Parlamentariern nachgehakt.
Brenner-Nordzulauf: Österreich und Italien unzufrieden mit deutschem Tempo
„Verständnis haben wir nicht. Wir wundern uns schon auch“, antwortet der Südtiroler Abgeordnete Herbert Dorfmann auf die Frage, was man denn in Italien davon hält, dass es in Deutschland so schleppend voran geht. „Die drei Staaten haben ein Staatsabkommen unterschrieben. Dass jetzt ein Partner sagt, ‚Okay, wir machen das jetzt zehn Jahre später‘ ist natürlich schon schwierig.“
Er versteht aber durchaus, dass die Anwohner das Projekt in Deutschland kritischer sehen, als es die Südtiroler Anwohner tun. „Bei uns wird kaum eine neue oberflächliche Trasse gebaut. Das ist natürlich ein Unterschied zur Situation in Deutschland, wo zum größten Teil eine neue oberirdische Strecke gebaut werden muss, die die Anwohner dann natürlich hören.“ Dorfmann fragt sich aber auch, ob den Deutschen bewusst ist, welcher Verkehr auf die bestehende Gleise kommen würde, sofern nur diese ausgebaut werden sollte. Schließlich führt diese auch direkt an zahlreichen Wohngebieten vorbei. „Nett wird es nicht sein, weil der Güterverkehr dann vor allem nachts stattfinden wird.“
Auch die Österreicher sind wenig begeistert. „Wir sind unzufrieden mit dem deutschen Tempo“, erklärt der österreichische EU-Abgeordnete Andreas Schieder. Er fordert mehr Tempo, da das Projekt auch Vorteile für die bayerische Bevölkerung bringe. „Man glaubt immer, das Projekt nützt nur den Tirolern etwas. So ist es aber nicht.“ Es geht laut Schieder um Wirtschaftskraft. „Innerhalb Deutschlands ist Bayern ein Wirtschaftszentrum, genauso wie Oberitalien. Daher ist es wichtig, diese zwei wirtschaftlichen Leuchttürme auch verkehrstechnisch vernünftig zu verbinden.“
Noichl stichelt gegen Ex-CSU-Verkehrsminister
Bei den bayerischen EU-Politikern spalten sich die Meinungen, was den Brenner-Nordzulauf angeht. „Überall sind Tunnel und Brücken marode. Aber Geld ist anscheinend immer nur für etwas Neues da.“ Man solle es so machen, wie jeder normale Mensch: „Erst einmal reparieren, was da ist und dann schauen, wie es weitergeht“, fordert die Rosenheimer SPD-Politikerin und EU-Abgeordnete Maria Noichl beim OVB-Gespräch in Straßburg. „Die Bestandsstrecke zu sanieren, ist das Nachhaltigste.“
Gegenwind erhält Noichl vom Augsburger EU-Abgeordneten Markus Ferber. „Die Bestandsstrecke wird nicht die Kapazitäten zur Verfügung stellen, die wir langfristig benötigen“, macht der CSU-Politiker klar. Ohne den Nordzulauf würde es langfristig „auf der Straße zum totalen Kollaps kommen, oder Österreich wird sich noch mehr wehren“, sagt Ferber und spielt damit auf die Blockabfertigung an der Grenze zu Österreich an. Noichl hingegen sieht die Schuld im Dilemma ganz woanders: „Wir alle wissen, wer die letzten Verkehrsminister gestellt hat, die bis vor kurzem noch gesagt haben, dass der Brennertunnel gar nicht kommt.“ Deshalb sei Deutschland nun viel zu spät dran. „Weil die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, stehen wir jetzt richtig blöd da.“
Ferbers Parteikollegin Angelika Niebler weicht von seiner Position ab. Sie hält ebenfalls den Ausbau der Bestandsstrecke für das Beste. „So wird es ja in fast allen Fällen gemacht. Ich verstehe nicht, warum man gerade beim Brenner-Nordzulauf davon jetzt abweicht“, sagt Niebler. Sie habe den Eindruck, dass die Bahn die Interessen der Bürger bei der Trassenplanung nicht beachtet hat. Jetzt könne man in Berlin nur noch vorschlagen, die Bürgertrasse in die engere Auswahl zu nehmen und auch den Lärmschutz ernst zu nehmen.
Ferber widerspricht Noichls „uraltem Argument“
Ein Punkt, der von den Bürgerinitiativen auch immer wieder kritisiert wird: Eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene wird nicht einfach durch den Bau der neuen Strecke entstehen. Niebler hingegen ist sich sicher, dass die neue Infrastruktur von den Speditionen genutzt wird, sobald sie da ist. Aber: „Es muss sich auch rechnen. Aus rein ideologischen Gründen heraus wird man nicht auf die Schiene wechseln.“ Noichl sieht hierfür eine ganz andere Lösung. Man solle schlichtweg an der Preisgestaltung beim Brenner-Pass arbeiten, da dieser aufgrund seines günstigen Preises die Lkw wie ein Magnet anziehen würde. „Wir haben Umgehungsverkehre, die sich bei uns bündeln.“
Die SPD-Politikerin fordert daher ganz klar: „Wir brauchen mehr Regionalität.“ Kürzere Lieferketten, mehr Verarbeitung vor Ort und mehr Saisonalität. „Es ist Wahnsinn, wenn Kartoffeln nach Italien zum Waschen gefahren und dann wieder zurückgebracht werden“, nennt Noichl als Beispiel. Ferber hält von dieser Aussage wenig. „Das ist ein wohlfeiles Argument, hat aber mit der Realität nichts zu tun“, sagt er zu Noichls Kartoffel-Aussage. Für Bayern sei der norditalienische Markt der wichtigste Absatzmarkt. „Für dieses uralte Argument gibt es keine Belege. Auch in Italien werden ordentliche Löhne bezahlt.“ Deutschland würde beispielsweise eine Menge Milch nach Italien liefern, was auch für die bayerischen Bauern positiv sei. Zudem sei Italien beim Thema Verschiffung für Deutschland sehr interessant. Laut Ferber ist es von Bayern aus günstiger, Waren über Italien in den Suezkanal zu bringen, als über Hamburg.