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Porträt des Bürgermedaillen-Trägers

Rekord-Halter, Computer-Pionier, engagierter Helfer: Das treibt Willi Hesse (86) aus Pfaffing an

Willi Hesse aus Pfaffing hat für sein Engagement für die Senioren die Bürgermedaille bekommen. 1989 fuhr er mit Freunden mit dem Bulldog auf den Großglockner und landete im Guinessbuch der Rekorde.
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Willi Hesse aus Pfaffing hat für sein Engagement für die Senioren die Bürgermedaille bekommen. 1989 fuhr er mit Freunden mit dem Bulldog auf den Großglockner und landete im Guinessbuch der Rekorde.

Er steht im Guinnessbuch der Rekorde, war einer der ersten, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die Marine eintrat, und einer der ersten, die sich mit dem Computer auskannten. Doch auch als Rentner ist Willi Hesse aus Pfaffing engagiert und voller Tatendrang. Porträt eines zielstrebigen Machers mit sozialem Gewissen.

Pfaffing – Willi Hesse aus Pfaffing hat vor wenigen Wochen die Bürgermedaille der Gemeinde erhalten. Ein Grund dafür sind das Engagement des 86-Jährigen bei der hiesigen Bürgerhilfe und die vielfältige Unterstützung für andere Menschen. Wie tickt der Ausgezeichnete, warum ist er sozial so aktiv? Wir haben ihn daheim besucht.

Bürgermedaillen-Träger Willi Hesse aus Pfaffing.

Vor allem die Kindheit hat Willi Hesse beeinflusst, als in den letzten Kriegstagen die vorrückende Rote Armee in Schlesien eintraf. Die Vertreibung 1946 und deren Grausamkeiten haben sich ihm eingeprägt, sagt er. Der heutige Pfaffinger wuchs in Gnadenfrei im Kreis Reichenbach des schlesischen Eulengebirges als Sohn eines Ziegeleiarbeiters und einer Krankenschwester auf. Die Familie hatte Glück und konnte sich mit Lebensmitteln selbst versorgen.

Vertreibung erlebt

Das war mit der Vertreibung vorbei, in Viehwaggons ging es als Besitzlose in Richtung Westen. Das Elend war groß. Denn am Bahnhof wurden die Leiterwagen untersucht und alles von Wert weggenommen, erinnert sich Willi Hesse. Viele Mütter hungerten, denn sie zweigten ihre Essensrationen für ihre Kinder so lange ab, bis sie selber nicht mehr konnten. Bei Kleinkindern nähten sie Zettel mit Namen und Herkunft in deren Kleidung. Nach drei Tagen Fahrt war Helmstedt-Marienborn erreicht, nach der Entlausung mit DDT-Pulver wurde das Barackenlager Nienburg das neue Zuhause. Neun Jahre war Willi Hesse alt, als seine Mutter starb und der Vater in russische Gefangenschaft geriet. Seine Tante spürte ihn und seine Schwester über das Rote Kreuz im August 1947 auf, seine Schwester fand Obhut bei der Großmutter. Willi kam zu Onkel und Tante, für ihn „ein Glücksfall”.

In Wertheim fanden alle Unterkunft mit über 3000 deutschstämmigen Flüchtlingen in einer Kaserne und dort mit fünf Personen in einem Zimmer. Es gab keine Willkommenskultur, ganz im Gegenteil: Durch die Verzögerung mit Krieg und Vertreibung ging der junge Willi jetzt erstmals in die Schule und kam dem Alter entsprechend gleich in die dritte Klasse. Vier Lehrer unterrichteten damals 360 Flüchtlingskinder, von denen viele nicht lesen und schreiben konnten, berichtet er. Dank täglicher Nachhilfe gelang es ihm aber mitzuhalten.

Vater gezeichnet von russischer Gefangenschaft

Der Vater leistete im russischen Nowosibirsk Arbeitsdienst, das hinterließ deutliche Spuren, erzählt sein Sohn. Offenbar war der Hunger für ihn in jener Zeit so groß, dass er später, als er wieder daheim war, beim Essen alles um sich herum ausblendete und alles aß, was sich auf dem Tisch befand, ohne andere wahrzunehmen. Auch emotional hatte ihn das Martyrium der Gefangenschaft gezeichnet, Regungen waren einfach nicht mehr da, erinnert sich Willi Hesse. Als der damals 30-jährige Vater 1950 wortlos in der Tür stand, war das für ihn ein fremder Mensch. „Er hatte keine Heimat, keine Frau, doch zwei Kinder, die er nicht kannte.“ Es gab keine Begrüßung, keine Umarmung und keine Freude. Bis der Onkel ihn endlich zum Eintreten aufforderte.

Trotzdem begann sich in dieser Zeit für Willi Hesse ein roter Faden durchs Leben zu ziehen. Denn es gab immer wieder Menschen, die sich ihm annahmen, sei es bei der Nachhilfe in der Schule oder mit wichtigen Ratschlägen. So habe ihm sein Lehrherr nahegelegt, trotz der negativen Kriegserfahrungen zur Marine zu gehen. Damals lernte er Thermometer-Macher, denn der Beruf des Elektrikers, der ihn eigentlich interessierte, war nicht verfügbar. Diese Hinweise beherzigte der junge Hesse, denn für ihn war damals klar und ist es bis heute, dass die Bedrohung aus dem Osten komme, gegen die habe man sich zu schützen. Allerdings seien mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 „viele Chancen vertan worden”, findet er.

Tätig für die Nato

1956 war er als einer der ersten in die Marine der neuen Bundeswehr eingetreten. Seine Aufgabe: das Beobachten sämtlicher Bewegungen aus Richtung Osten mit Radar. Zuerst in Bremerhaven stationiert, wechselte er 1958 zur US Navy in Norfolk. Später folgte die Einberufung in den „Nato-Stab Nord”.

Seine Fähigkeit, Situationen schnell zu erfassen, halfen ihm bei seiner nächsten Tätigkeit 1963 in der damals noch jungen elektronischen Datenverarbeitung. Bei IBM in Düsseldorf lernte er in den Sprachen Cobol und Assembler programmieren. Dann folgte ab 1971 Selbstständigkeit als Unternehmensberater in München. Analytisches Denken gepaart mit „einem Gespür fürs wahrscheinliche Ergebnis” halfen Willi Hesse nach eigenen Angaben, diese Aufgaben zu bewältigen.

Die Welt der Computer

Diese lange Erfahrung lässt für ihn einen differenzierten Blick auf die Welt der Computer zu. Etwa zur Speichertechnologie, bei der die Grenzen auf Basis von Silizium erreicht seien, vielversprechender und erheblich leistungsfähiger sei hingegen organischer DNA-Speicher mit einem verschwindend geringen Platzbedarf. Auch zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) schaut Willi Hesse hinter die Versprechen der Werbung. Dieser Technik fehle das Neue, die eine selbstständige Entscheidung mithilfe einer annähernden menschlichen Empathie ermögliche. Das sei derzeit nicht in Sicht. Verbessert seien jedoch die Ergebnisse aus diesen neuen Anwendungen, da sie erheblich mehr Daten verarbeiten würden als bisher, was aber lediglich die Genauigkeit steigere., findet er.

Zielstrebig ging Wille Hesse auch bei der Brautschau vor. Spontan sprach er beim Spazieren seine künftige Frau Ursula an – und hatte Glück, bis heute. Seit 60 Jahren sind sie miteinander verheiratet. Bei der Suche nach einem Ort fürs gemeinsame Heim kam das Paar 1975 auf Pfaffing. Die Kinder Monika, Cordula und Birgit sind Teil der Familie, sechs Enkel zählen ebenfalls dazu.

Probleme gehören gelöst

Die Eingewöhnung in den Ort war einfach, denn es gab ein beständiges Miteinander, vor allem unter den Nachbarn, das hat sich bis heute erhalten, freut er sich. „Probleme gehören gelöst“, so auch die in den 70er Jahren üblichen Müllhaufen in der Filzen. Willi Hesse und ein Freund fotografierten das Übel, machten eine Ausstellung im Rathaus daraus und allmählich erhielt dieses Naturschutzgebiet den verdienten Respekt, sodass der Müll verschwand. Rama Dama war seitdem in der Gemeinde ein Begriff.

Jetzt war es nach so viel eigenem Glück an der Zeit, „der Gemeinschaft etwas zurückzugeben”, denn Nehmen und Geben sollte sich möglichst ausgleichen: „Angesichts der Erlebnisse aus meiner Kindheit entwickelte sich wie von selbst ein tiefes Gefühl für soziale Verantwortung.“ Mit dem Ruhestand 2005 stieß er auf das lokale Projekt „Wohnen im Alter”. Die daraus entstandene Bürgerhilfe begann mit 80 Mitgliedern und einem Büro in der Hauptstraße, Hesse engagierte sich als zweiter Vorsitzender.

Bürgerhilfe als neue Herausforderung

Zweck des Vereins ist es, älteren Menschen das Leben zu Hause so lange wie möglich zu ermöglichen. Dienste und Unterstützung werden weitgehend organisiert. Doch die Gründung der Bürgerhilfe war für Willi Hesse eine Herausforderung. Denn der Umgang in der Arbeitswelt mit Planung und strikter Kontrolle der Ergebnisse ließ sich nicht aufs Ehrenamt und die damit verbundenen freiwilligen Helfer übertragen. „Da musste ich einiges lernen, das war nicht leicht”, stellt er fest. Denn trotz aller fachlicher Qualifikation sei stets die Meinung der anderen als gleichwertig zu akzeptieren. Sein Berufsleben war Hesse davon getrieben „der Beste zu sein, das war eine stetige Herausforderung”, und gleichzeitig die Gemeinschaft und die Auseinandersetzung zu suchen. „Du musst ein Leben lang lernen”, hörte Wille Hesse schon als Kind, das hat sich für ihn stets bewahrheitet.

Blick ins Fotoalbum: Willi Hesses Erinnerungen an die Traktor-Fahrt auf den Großglockner-Pass.

Traktor, oder genauer gesagt: der Lanz Bulldog, ist Willi Hesses Hobby. Im Jahr 1989 fuhr er mit drei Freunden auf den Großglockner-Pass und sicherte sich damit einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde. Handball war und ist auch eine große Leidenschaft, daher baute er die Handballabteilung im Wasserburger Sportverein mit auf. Reisen mit dem Wohnmobil durch Europa steht auch auf dem Programm, doch am liebsten abseits der großen Städte. Wichtig ist es für ihn, jeden Morgen nach dem Frühstück die Zeitung zu lesen.

Steckbrief

Name: Willi Hesse

Beruf: Leiter Datenverarbeitung, jetzt Rentner

Geboren: 26.2.1939

Familienstand: Verheiratet

Wohnort: Pfaffing

Kurz und bündig:

Was gibt Ihrem Leben Sinn? Meine Familie und die Gemeinschaft

Was können Sie nicht ausstehen? Zeit vertrödeln

Was würden Sie gerne einmal tun? Den Jakobsweg nach Santiago de Compostela gehen.

Wann sind Sie an ihre Grenzen gestoßen? Nach einer Kündigung.

Worauf sind Sie stolz? Dass wir, meine Frau und ich, so lange gemeinsam leben und gesund sind.

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