Besuch auf Großbaustelle von Franzensfeste
Presto, presto in Italien: Warum es in Südtirol mit dem Brenner-Zulauf so zügig vorangeht
Entlastung für die wichtigste Alpenverbindung – das soll der Brenner-Basistunnel bringen. Während Deutschland plant, steht man am Brenner selbst schon am Durchbruch. Auch am Südzulauf wird mit Hochdruck gearbeitet. Warum drückt Südtirol so auf die Tube?
Franzensfeste/Rosenheim – Franzensfeste kennt man wegen seiner Festung, dieses Riesenkomplexes aus Granit, Stahl und Beton, mit dem sich K.u.K.-Österreich im 19. Jahrhundert vor den aufmüpfigen Italienern schützen wollte. Nicht zu übersehen, auch wenn man auf der Autobahn den Ort selbst links liegen lässt.
Seit einigen Jahren wird wieder gebohrt, gesprengt, gebaut. Im ganz großen Maßstab. Diesmal für ein Bauwerk, das Italien und Österreich verbindet: Es endet hier in Franzensfeste der nördlichste Tunnel des Brenner-Südzulaufs. Und es taucht, ein paar Meter weiter, der Brenner-Basistunnel in den Fels ein. Franzensfeste ist Dreh- und Angelpunkt des Brenner-Projekts.
Brenner-Basistunnel: Durchbruch noch 2024?
In der Enge des Wipptals lässt sich Erstaunliches beobachten. Italien liegt sowohl beim Brenner-Basistunnel als auch der Zuführung im Großen und Ganzen auf Kurs. Der Basis-Tunnel steht kurz vor dem Durchbruch, womöglich erreichen die italienischen Bau-Trupps noch dieses Jahr die Staatsgrenze. Die Arbeiten am Südzulauf haben bereits begonnen. Südlich des Brenners wird die Bestandstrecke in den kommenden Jahren auf über 150 Kilometern auf einen viergleisigen Querschnitt ausgebaut. Kürzlich wurde der „Fensterstollen“ zum nördlichsten Tunnel des Zulaufs angebohrt. Von wegen „dolce far niente“. Italien macht presto, presto!
„Unkomplizierter als in Bayern“
Gar nicht verwundert über diese Geschwindigkeit scheint Martin Ausserdorfer. Der 42-Jährige steht in einer gut 20 Meter tiefen und über zehn Hektar großen Grube auf der Höhe der Mautstelle Brixen-Pustertal. Es regnet, an den Bergflanken schimmert frisch gefallener Schnee, die Gipfel sind in dichte Wolken gehüllt. Ausserdorfer wirkt heiter. Ja, es gehe schnell voran, sagt er und strahlt in den grauen Himmel. „Also, es scheint jedenfalls etwas unkomplizierter zu laufen als in Deutschland.“
Die genaue Bezeichnung von Martin Ausserdorfers Job ist sperrig: Er ist „Direktor der Beobachtungsstelle zum Bau des Brenner Basistunnels mit Südzulauf“. Er ist so etwas wie ein Verbindungsmann. Und zwar zwischen Bürgern, Planern und Politik. „Wir kennen hier jeden Bauer, jeden Grundbesitzer, jeden Anwohner. Wir sind mit den Leuten in Kontakt, seit Jahren haben einen ständigen Austausch.“ Seine Beobachtungsstelle gibt den Baufirmen wiederum Hinweise, wie sie clever planen – und so von vornherein auf weniger Ablehnung stoßen.
Der Basistunnel: Kann er ohne Zuläufe funktionieren?
Und natürlich ist er Befürworter des europäischen Mega-Projekts. Zukunftsweisend sei es, nicht wegzudenken aus den Plänen für eine nachhaltige Verkehrspolitik, sagt er. Allerdings funktioniere der Tunnel eben nur richtig, wenn die entsprechenden Zufahrten da sind. „Wenn wir von Verkehrsverlagerung sprechen und wenn wir nachhaltige Wirtschaftskreisläufe haben möchten, dann ist es unerlässlich, dass man in Bayern den Nordzulauf baut.“
„Ich kann nicht diskutieren bis zum St. Nimmerleinstag“
Daher lobt er das italienische System. Bürger werden befragt und können Vorschläge machen, die Phase des Mitsprechens aber sei klar geregelt. „Das heißt, ich kann nicht diskutieren bis zum Sankt Nimmerleinstag. Es kann nicht jeder, der gegen das Projekt etwas hat, immer wieder neue Eingaben machen“, sagt Ausserdorfer. Am Ende entscheidet ein Regierungskommissar, brachiale Maßnahmen wie den Abriss von sechs Mehr-Parteienhäusern wie bei der Umfahrung von Trient inbegriffen. Dieses Jahr wird der öffentliche Diskurs für das Stück um Bozen herum beginnen und noch im selben Jahr enden.
Manchmal haben Baufirmen gute Ideen
Einen Vorteil sieht Ausserdorfer auch im Verhältnis zwischen Auftraggeber und beauftragten Firmen. Man pflegt die „funktionale Ausschreibung“, heißt: Der Auftraggeber schreibt nicht vor, was genau eine Baufirma in welcher Form zu leisten hat. Er gibt lediglich das Resultat vor. Am Fluss Eisack hatte dies eine beeindruckende Ingenieursleistung zur Folge: Die beauftragten Baufirmen frosteten den Boden unter dem Fluss. So konnte der Tunnel unter der Eisack hindurch geführt werden, ohne dass der Fluss verlegt werden musste. Unternehmen so viel Initiative zu gewähren, benötige Vertrauen, spare aber Zeit, meint Ausserdorfer.
In Deutschland geht‘s zäh voran
Das Tempo liegt auch am Leidensdruck im Wipptal. „Wenn Sie in Sterzing wohnen und an Samstagen einkaufen gehen möchten, und Sie schaffen es in einer Stunde nicht von Ihrem Zuhause ins Geschäft, weil Lkw-Stau ist, dann können Sie sich vorstellen, wie aggressiv die lokale Bevölkerung dem touristischen Verkehr, aber auch dem Transitverkehr gegenübersteht“, sagt Ausserdorfer. Dass der Verkehr so weit wie möglich von den Straßen verschwindet: Für viele Menschen in Tirol und Südtirol ist das die Frage, hinter der anderes zurücktritt.
Zudem warb die Politik für das Projekt, machte keine unhaltbaren Versprechen, vermittelte vielmehr Vorteile. Am Anfang seien fast drei Viertel der Bevölkerung gegen die Pläne gewesen, sagt Ausserdorfer. „Die haben uns angefeindet und beschimpft.“ Man habe Überzeugungsarbeit geleistet, mit „hundertprozentiger Rückendeckung der Politik“, und so den Trend gewendet.
Letztlich entscheidet nicht die Bahn, sondern die Politik
In Deutschland dagegen gab sich die Politik eher den Anschein des heldenhaften Widerstands gegen die Bahn. Man werde um jedes Entgegenkommen streiten, gebaut werde überhaupt nur, wenn der Bedarf nachgewiesen sei. So war das nicht selten auch von CSU-Politikern zu hören. Eine Studie dazu liegt jedoch – vom damaligen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) auf einer Bürgerversammlung in Rosenheim versprochen – seit Dezember 2022 vor.
2025 wird nun der Bundestag entscheiden. Über die Planungen der Bahn, und auch über Varianten, die von der Bahn aussortiert wurden, etwa die Brenner-Untertunnelung zwischen Leonhardspfunzen und Langenpfunzen: Der Bundestag kann als Auftraggeber ja Nachbesserungen einfordern, wenn er denn will.
Start mit Verspätung, aber immer noch früher als Deutschland
In Südtirol hat man Planungen, Diskussionen, Ausschreibungen größtenteils hinter sich. Demnächst folgt der nächste Akt: Dann fräst sich eine Tunnelbohrmaschine in den Fels, für einen Zugangsstollen. Es ist so etwas wie die Ouvertüre für den nördlichsten Tunnel des Südzulaufs. Die Maschine steht schon bereit, ein 85 Meter langes Riesentrumm. Die Südtiroler haben sie „Barbara“ getauft, nach der Schutzpatronin der Bergleute. Dass man ursprünglich im Spätherbst 2023 beginnen wollte – geschenkt. Italien ist Deutschland weiter um Jahre voraus.
