Auftakt der Bürger-Sprechstunde in Nußdorf
Brenner-Nordzulauf – Bürger konfrontieren Bahn-Planer: „Stillschweigende Enteignung“
Eine letzte Info-Runde, dann gehen die umstrittenen Pläne der Bahn für den Brenner-Nordzulauf zum Bundestag. Davor sind sie mitsamt den Planern nochmals auf Tournee in der Region Rosenheim. In Nußdorf war Auftakt. Wie es bei der Premiere der so genannten „Bürgersprechstunde“ lief.
Nußdorf – „Eine stillschweigende Enteignung ist das, nichts anderes“, schnaubt Willi Moser. Er steht in der lichtdurchströmten Nußdorfer Sporthalle, ein filigran wirkender, luftiger Ort, wie gemacht für den leichten Austausch über schwerwiegende Tatsachen. Moser ist der Ärger anzumerken; laut wird aber auch er nicht.
Vielleicht hat die Bahn deswegen die Sporthalle ausgesucht. Denn genügend Platz wäre sicher auch andernorts gewesen. Aber die Turnhalle wirkt offenbar entspannend. Willi Moser, wie gesagt, ist verärgert. Vom Ausbruch offener Feindseligkeiten ist man trotzdem weit entfernt. Ihm gegenüber steht Christian Stadler vom Planungsteam der Bahn. Der wiederholt geduldig, wie es die Bahn durchziehen will, das mit dem Brenner-Nordzulauf: Sehr viel Gleisanteil unter oder tief in der Erde, Abtransport von Schutt und Abraum nicht über die Straße, sondern über die Schiene.
Moser winkt ab: Die Planung taugt nichts, die Regierung, die sie in Auftrag gegeben hat, ebenso wenig. Der Auftraggeber ist nicht die aktuelle Regierung, ja, das weiß er. Sei aber eh alles gleich, die davor habe auch nicht viel getaugt. Die Hütte, sagt er, und meint sein Haus, das dann doch in einiger Entfernung zur Neubautrasse steht: „Wer will die dann noch kaufen“?
Manche lassen Ärger raus, insgesamt bleibt es ruhig
Bürgersprechstunde zum Brenner-Nordzulauf, das ist manchmal Gelegenheit zum Luft ablassen, mehr aber noch zur Information, was bedeutet: zum Gruseln oder zum Beruhigen. Je nachdem, wie dicht man an der Trasse wohnt oder wie weit entfernt. Über Monitore läuft ein neuer Animationsfilm, man sieht nun genauer, manchmal tatsächlich grundstücksgenau, wie die Trasse einmal verlaufen soll.
Die Mitarbeiter des Projektteams haben außerdem Pläne aufgehängt, Google Earth-Aufnahmen, in die mit Rot die Trasse für den Brenner-Nordzulauf eingetragen worden ist. Die Leute beugen sich vor zu den Tafeln, mustern die Pläne, tuscheln, besprechen sich mit den Ingenieuren des Projektteams.
Projekt-Leiter Matthias Neumaier steht in der Halle und unterhält sich mit Anwohnern aus Nußdorf „Es hält sich im Rahmen“, sagt er, es habe auch keine verbalen Angriffe auf ihn oder die Kollegen gegeben. „Das ist eher so das Warmup“, meint er und lächelt. Zehn Termine stehen schließlich noch an, nicht überall ist die Trasse so gut versteckt wie im Gemeindegebiet von Nußdorf. Da dürfte schon noch einiges zukommen auf das Team der Bahn.
Nußdorf ist eben auch nicht am schwersten betroffen
In Rohrdorf etwa, auf dessen Flur die Planer einen zwei Kilometer langen „Überholbahnhof Riedering“ vorsehen. Oder – noch ärger – Oberaudorf. Dort ist die Betroffenheit der Bürger nochmal eine ganz andere. Das wissen auch die Drei in den grünen Westen, die mit ihrem Info-Wagen auf der anderen Seite der Sporthallen-Zufahrt stehen: Thomas Unger und seine Mitstreiter vom Bürgerforum Inntal. Eigentlich hätten sie ihr Wagerl gern am Mittwoch (10. April) auch auf der andern Seite des Inns zur Bürgersprechstunde abgestellt. Aber – der Bürgermeister von Oberaudorf sei dagegen, sagt Unger.
In Oberaudorf könnte es heikler werden
Verboten habe er der Initiative nichts, versichert Matthias Bernhardt. „Es ist halt nur nicht sinnvoll, wenn die Bürger da noch mit zig zusätzlichen Meinungen konfrontiert werden.“ Schließlich sei es so schon schlimm genug, da müssten die Leute nicht noch zusätzlich verwirrt werden. Eine „Sprechstunde“ sei das ohnehin nicht, eher eine „Präsentation“, findet der Oberaudorfer Bürgermeister. „Es ist ja doch nie jemand dagewesen, der die Entscheidungen letztlich trifft.“
Zum Beispiel die für oder gegen die Verknüpfungsstelle im Berg drin. Gut verborgen im Wildbarren, so stellen sich die Oberaudorfer die Gleiszusammenführung vor. Doch so wie es jetzt gerade ist, mit der Verknüpfungsstelle am engsten Punkt des Inntals, sei das eine Katastrophe, sagt Bernhardt. „Wir sind sehr stark betroffen, vor allem die Landwirtschaft.“ Und so stehe auch das größte zusammenhängende Almgebiet Bayerns auf der Kippe.
In Nußdorf bleibt es entspannt
Derlei droht in Nußdorf nicht. Und wohl auch deswegen ist die Stimmung dort vergleichsweise entspannt. Man hört gemäßigte Kritik, wie die von Franz Steinbeißer, der sich Gedanken macht, ob da nicht ein neues Milliardengrab a la Stuttgart 21 entsteht.
Man hört aber auch vorsichtige Zustimmung. Wie von Matthias Otte aus Brannenburg: Natürlich müsse man sich auch Gedanken machen, ob man nicht zuvor schon durch das Zugtaktungssystem ETCS Entlastung herbeiführt. Aber grundsätzlich sieht er auch eine gewisse Notwendigkeit für Brenner-Basistunnel und seine nördliche Zufahrt. „Irgendetwas muss doch geschehen“, sagt er mit Blick auf die Blechlawinen von und zum Brenner. Auch Bahn-Mitarbeiter Bernd Reiter bekommt nicht nur Kritik um die Ohren. „Sagen wir‘s so: Leute, die nach München pendeln, führen seltener eine Bedarfsdiskussion.“
Brenner-Nordzulauf: Es gibt auch Befürworter
Und auch Georg Dettendorfer ist da, Spediteur und Logistiker. Er unterhält sich angeregt mit Planer Neumaier. Dettendorfer ist nicht gerade als Gegner des Brenner-Nordzulaufs bekannt. „Die Blockabfertigungen kritisieren und gleichzeitig den Brenner-Nordzulauf infrage stellen, das passt nicht zusammen“, so wurde er schon mal im OVB zitiert. „Die Güterverlagerung auf die Schiene funktioniert nur mit einer leistungsfähigen, modernen Bahntrasse. Die gibt es nur mit dem Brenner-Nordzulauf.“
Noch jetzt bekomme er zu hören, dass es seltsam sei, wenn sich er zugunsten der Bahn äußere – zu Gunsten der Konkurrenz. „Schmarrn“, sagt er. Konkurrenz sei die Bahn nicht, vielmehr sei sie notwendige Ergänzung.
Die Bahn als Gegner? So denken übrigens auch die Leute von der Bürgerinitiative nicht. Die Bahn ist auch für sie Teil der Lösung. Nur eben nicht mit einer neuen Trasse, sondern mit den bestehenden Gleisen. Auch gegen das Team vor Ort habe man nichts. „Die Planer von der Bahn da drinnen in der Sporthalle, die können ja eh nichts dafür“, sagt Theo Geflitter. Der Widerstand gegen die Trasse und ihre Planer: Er war schon mal lauter als in dieser letzten Phase vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag (2025).
„Bürgersprechstunde“ zum Brenner-Nordzulauf: Nächste Termine
9. April 2024, Flintsbach am Inn
Turnhalle Fischbach, Markbachstraße, 83126 Flintsbach am Inn
10. April 2024, Oberaudorf
Kursaal, Kufsteiner Str. 4, 83080 Oberaudorf
15. April 2024, Großkarolinenfeld
Rathaus - Großer Sitzungssaal, Karolinenplatz 12, 83109 Großkarolinenfeld
16. April 2024, Grafing
Katholisches Pfarrheim, Kirchenplatz 4, 85567 Grafing bei München
17. April 2024, Aßling
Gemeindesaal, Kirchplatz 1, 85617 Aßling
18. April 2024, Tuntenhausen / Ostermünchen
Turnhalle der Fritz-Schäffer-Schule, Niedergartenweg 7, 83104 Tuntenhausen
19. April 2024, Rosenheim
Grund- und Mittelschule Westerndorf St. Peter, Römerstr. 2-3, 83024 Rosenheim
22. April 2024, Stephanskirchen
Aula der Otfried-Preußler-Schule, Schömeringer Str. 35, 83071 Stephanskirchen
23. April 2024, Riedering
Hirzinger Stadl, Endorfer Str. 13, 83083 Riedering
24. April 2024, Rohrdorf
Dorfhaus Lauterbach, Chiemseestraße 1, 83101 Rohrdorf
