„Stöhnen Sie bitte etwas leiser“
„Nur über meine Leiche“ – Warum die Bad Aiblinger AfD ein Problem mit Stoffwindeln hat
Fast alle sind dafür, einer ist dagegen. Bad Aibling hat ein Klimaschutzkonzept auf den Weg gebracht, mit dem AfD-Stadtrat Andreas Winhart überhaupt nicht leben kann. Warum er sich vor der „Übergriffigkeit“ der Stadt fürchtet und was er jungen Eltern auf keinen Fall zumuten will.
Bad Aibling – Beinahe ist das Neugeborene gepampert, eingecremt und neu gekleidet, da passiert das Unfassbare. Kurz vor Schließung der frischen Windel entscheidet sich das Baby, doch noch mal „zu müssen“, flutet den Wickeltisch und die Arbeit der jungen Eltern beginnt von vorne. Ein Alltag, den vermutlich auch viele Bad Aiblinger Familien nur zu gut kennen. Ob sie für ihre Kinder auf Einwegwindeln aus dem Drogeriemarkt oder auf waschbare Stoffwindeln zurückgreifen, bleibt dabei freilich ihnen überlassen. Dass Eltern aus der Kurstadt diese Entscheidung jedoch bald abgenommen werden könnte, darum sorgte sich zuletzt Aiblings AfD-Stadtrat Andreas Winhart.
„Das wäre ja wie im letzten Jahrhundert“, echauffierte er sich während einer Stadtratssitzung und schob in Richtung seiner Gremiumskollegen hinterher: „Das kann nicht Ihr Ernst sein.“ Doch was war passiert und wie konnte das Wickeln von Kindern zum Reizthema im Rathaus werden? Auslöser seines Ärgers war die Vorstellung des neuen Klimaschutzkonzeptes (wir berichteten), womit die Stadt vor allem den CO2-Ausstoß der kommenden Jahre drastisch reduzieren möchte. Im Gegensatz zu allen anderen Stadtratsmitgliedern, die sich klar für die Umsetzung des Konzeptes aussprachen, stellte Winhart klar: „Diesem Konzept sollten wir uns nicht stellen.“
Winhart wirft Stadt „Übergriffigkeit“ vor
Die Maßnahmen des Klimaschutzkonzeptes, welches Winhart als „Wunschliste“ bezeichnete, zögen erhebliche Kosten nach sich, für die die Stadt schlicht kein Geld habe. Noch schlimmer fand der AfD-Politiker jedoch: „Das Konzept geht auch in den privaten Bereich hinein.“ Dabei sprach er neben den kommunalem Maßnahmen auch solche an, die durch Bad Aiblings Bürger umgesetzt werden könnten (beispielsweise energieeffizienter Hausbau). Und auch wenn Klimaschutzmanager Lorenz Löffler diese lediglich als möglich „Potenziale“ und nicht als festgeschriebene Bestandteile des Konzeptes kennzeichnete, sah Winhart die Gefahr, man würde der Bevölkerung diverse Maßnahmen vorschreiben. „Ich halte das für eine Übergriffigkeit“, sagte Winhart.
Diesen Vorwurf wies Bürgermeister Stephan Schlier (CSU) zwar entschieden zurück, Winhart ließ sich jedoch nicht von seinem Standpunkt abbringen. Und so entstand auch die „Windel-Sorge“, sollten die Klimaziele der Stadt verfolgt werden: Laut Winhart könnten dann nämlich die einst extra für Bürger eingerichteten Windelcontainer auf dem Bad Aiblinger Wertstoffhof zwangsläufig „eingestampft“ werden müssen, fürchtete er. Eltern müssten so womöglich auf die waschbaren Stoffexemplare umsteigen. „Nur über meine Leiche“, sagte der AfD-Stadtrat, Stoffwindeln könne man den Eltern wahrlich nicht mehr zumuten.
Thalmayr: „Es macht mich fassungslos“
„Stöhnen Sie bitte etwas leiser“, sagte Winhart wenig später verärgert, als das restliche Gremium immer unruhiger bei dessen Ausführungen wurde. Denn mit seiner Haltung stand Winhart alleine da. Martina Thalmayr (Grüne) etwa reagierte auf die Haushaltssorgen der AfD verwundert und machte deutlich: Auch wenn der Klimaschutz Geld kostet, sei er unumgänglich. „Es macht mich fassungslos, wie man auf die Idee kommen kann, das abzulehnen“, so Thalmayr.
Und für „übergriffig“, wie es Winhart bezeichnete, hält Kirsten Hieble-Fritz (ÜWG) das Konzept überhaupt nicht. Vielmehr sei es die Pflicht der Kommune, Einsparpotenziale zu beleuchten.
Ein „ominöses Entscheidungsgremium“
Für weitere Aufregung sorgte dann noch ein Passus im Klimaschutzkonzept, in dem von einem einzurichtenden Entscheidungsgremium die Rede ist. Laut Klimaschutzmanager Löffler könnte das ein Team sein, das Ideen bespricht und womöglich darüber berät, was künftig noch in das Konzept mit aufgenommen werden könnte, bevor der Stadtrat damit behelligt werde. Nach Löfflers Angaben könnte man sich beispielsweise auch externe Kompetenz hinzuholen. Doch auch damit hatte AfD-Stadtrat Winhart seine Probleme.
„Ich bin überrascht, dass sich auch extern jemand einbringen kann, zum Beispiel ‚selbsternannte Experten‘“, sagte er kopfschüttelnd und fügte hinzu: „Wofür haben wir dann einen gewählten Stadtrat?“ Für Bürgermeister Schlier ging die Aufregung deutlich zu weit. „Man kann in dieses Gremium jetzt auch viel hineininterpretieren, vielleicht trifft sich am Ende auch einfach nur der Geschäftsführer mit Herrn Löffler zur Absprache.“ Und Grünen-Stadträtin Katharina Dietel schloss die Diskussion um das „ominöse Entscheidungsgremium“ ab und sagte: „Es steht der Verwaltung jederzeit frei, einen Arbeitskreis oder einen Lenkungskreis einzurichten, ich sehe da überhaupt kein Problem.“
Damit das Klimaschutzkonzept, um im Bild zu bleiben, nicht in die Hose geht, gab das Gremium mit 23:1 Stimmen grünes Licht. Bleibt abschließend nur noch wickelnden Eltern zu wünschen, dass sie beim nächsten Windelwechsel schnell genug sind – egal ob mit Plastik oder mit Stoff.