Bürokratie erschwert Integration
„Alle Nase lang ändern sich Regeln“: So kämpft Romed Wasserburg um Fachkraft Aya aus Tunesien
Das Gesundheitswesen leidet unter Personalmangel. Der Romed-Verbund setzt auch auf ausländische Fachkräfte. Durch den Bürokratie-Dschungel begleitet Integrationsmanagerin Elisabeth Veit. Wie sie in Wasserburg Aya Khemiri (29) aus Tunesien beim Kampf um die Anerkennung hilft und warum es dabei manchmal sogar Tränen gibt.
Wasserburg – Aya Khemiri strahlt. Die 29-Jährige ist sichtlich happy, dass es nun endlich geklappt hat mit dem neuen Arbeitsplatz als Assistentin in der Anästhesie und Intensivpflege am Wasserburger Krankenhaus. Begeistert erzählt sie – nur manchmal nach den richtigen Worten ringend –, wie nett die Kolleginnen und Kollegen seien und wie wohl sie sich in der Romed-Klinik fühle. Und trotzdem kommen im Gespräch mit der Wasserburger Zeitung und wasserburg24.de kurz die Tränen: Die Erinnerung an den schwierigen Wechsel von Tunis, der Hauptstadt von Tunesien, nach Wasserburg schmerzen. Beinahe wäre der Traum vom beruflichen Neustart in Bayern geplatzt. „Ohne Frau Veit hätte ich es nicht geschafft“, sagt die junge Frau. Die Integrationsmanagerin winkt bescheiden ab. „Ich kenne mittlerweile alle Tricks und Fallen. Mein großer Erfahrungsschatz hilft, so manche Klippen zu umschiffen“, sagt sie.
Ziel: Beruflich in Deutschland weiterkommen
Das war auch nötig beim beschwerlichen Prozess der Integration von Khemiri. Sie hat in ihrem Heimatland Tunesien an einer privaten Hochschule für Gesundheitswissenschaften, Fachrichtung Anästhesie und Reanimation, studiert, sechs Jahre danach im OP an Klinken gearbeitet. Doch sie möchte sich beruflich weiterentwickeln, diese Chance bot sich ihr in Tunesien nicht richtig, sagt sie. Deutsche Krankenhäuser seien top modern ausgestattet. Hier sieht sie die Möglichkeit, beruflich voranzukommen.
Auf der Internetplattform Linkedin entdeckte die Tunesierin eine Anzeige der Romed-Klinik Wasserburg, in der diese sich auch an ausländische Fachkräfte wandte. Die junge Frau bewarb sich, auch weil sie auf ihre schon 2021 in einem ersten Kurs erworbenen Sprachkenntnisse vertraute. Mit ihrem Traumland Deutschland hatte sie sich intensiv beschäftigt, eine typisch deutsche Eigenschaft, die Pünktlichkeit, schon lange verinnerlicht. „Ich komme nie zu spät“, berichtet sie schmunzelnd.
Ein erstes Vorstellungsgespräch verlief so gut, dass sich Pflegedienstleitung und zukünftige Mitarbeiterin einig wurden. Die junge Frau benötigte für den Wechsel jedoch ein Sprachzertifikat, die bestandene B2-Prüfung. Diese legte sie aufgrund der in ihrem Heimatland knapp gewordenen Prüfungsplätze im Juli 2022 in der Türkei ab. Die Ausländerbehörde beim Landratsamt Rosenheim unterstützte laut Veit das beschleunigte Fachkräfteverfahren. Bereits im Juni dieses Jahres sollte der Umzug erfolgen.
Deutsche Botschaft akzeptiert Sprachzertifikat nicht
Doch dann kam der Tiefschlag, der Khemiri beim Erzählen kurz die Tränen in die Augen steigen lässt: Die deutsche Botschaft in Tunesien akzeptierte die B2-Prüfung und das in der Türkei erworbene Zertifikat nicht. Zwischenzeitlich hatte das dortige Prüfinstitut die Anerkennung verloren. Da nützte es laut Veit auch nichts, dass sie als Integrationsmanagerin auf die ausreichenden Sprachkenntnisse der zukünftigen Pflegefachkraft hinwies. Und bestätigte, dass der Arbeitgeber Romed die Fähigkeiten anerkannte und weitere Sprachkurse in Wasserburg sowieso geplant waren. „Für uns lag ein B2-Nivau vor. Und wo kann man am besten die Sprache intensiv erlernen? In einem Sprachkurs Deutschland, im Alltag, bei der täglichen Anwendung“, findet Veit.
Ihre Appelle an die deutsche Botschaft verschwanden jedoch ungehört im „Behörden-Nirwana“, wie sie kopfschüttelnd erzählt. Die Botschaft blieb stur. „Ich war sehr traurig“, sagt Khemiri. Sie hatte große Angst, ihren Arbeitsvertrag zu verlieren, denn sie hatte bereits in Tunis begonnen, ihre Zelte abzubrechen. „Es war, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen“, beschreibt Veit die Stimmungslage der jungen Frau. „Frau Khemiri saß auf gepackten Koffern zwischen zwei Welten.“
„Chapeu!“, sagt die Integrationsmanagerin
Die Integrationsbegleiterin von Romed sicherte ihre Unterstützung zu. Gemeinsam nahmen sie den Kampf auf. Veit telefonierte, schrieb Mails, wälzte Unterlagen, blieb hartnäckig dran. Khemiri büffelte, diesmal am Goethe-Institut, erneut die deutsche Sprache und legte dort innerhalb von nur zwei Wochen erfolgreich die B2-Prüfung ab. „Chapeau!“, sagt Veit.
Sie kann bis heute nicht verstehen, warum sie trotzdem bei der Botschaft keinerlei Rückhalt fand. Nur am Schreibtisch hätten die Verantwortlichen ihre Entscheidungen getroffen, nicht einmal persönlich mit ihr über Khemiri gesprochen. Auch die Tatsache, dass sie bei einem Anpassungslehrgang, gefordert von der Deutschen Krankenkassengesellschaft (DKG), angemeldet war und der Arbeitgeber sie unbedingt einstellen wollte, beeindruckte nicht. Der Berufsstart zum 12. Juni klappte nicht mehr, denn auch nach bestandener Prüfung dauerte es, bis diese anerkannt war und das Visum mit Arbeitserlaubnis eintrafen. Zwei Monate hat die junge Tunesierin jetzt verloren.
Veit berichtet über einen zweiten ähnlichen Fall. Das Zertifikat einer anderen Frau aus Tunesien, auch anästhesie-technische Assistentin, wurde ebenfalls nicht anerkannt von der Deutschen Botschaft, weil es älter als ein Jahr und damit abgelaufen war. Sie muss jetzt auch die Prüfung nachholen, auch sie startet verspätet bei Romed.
Veit wundert sich über diese und viele weitere bürokratischen Hürden. Seit 13 Jahren begleitet die gelernte Krankenschwester, die Pflegemanagement studiert hat, junge Fachkräfte aus dem Ausland, die nach Deutschland kommen wollen. „Alle Nase lang ändern sich die Spielregeln“, stellt sie fest, „der Papierkram wird mehr statt weniger“, wundert sie sich angesichts der Tatsache, dass der Prozess als Folge des Fachkräftemangels ja vereinfacht werden soll.
Mehr Ermessunsspielraum gewünscht
Das Gegenteil sei oft der Fall. Veit würde sich außerdem mehr Ermessensspielraum bei den aufnehmenden Stellen wünschen. Sie kann nicht verstehen, warum die Botschaft den Arbeitgebern nicht zutraut, die Integrationsfähigkeit junger Fachkräfte aus dem Ausland richtig einzuschätzen. Khemiri hat nicht nur eine Stelle, sondern auch eine Wohnung im Wohnheim von Romed in Wasserburg. Der Verbund hat außerdem eine eigene Schule für anästhesie-technische Assistenten (ATA). Hier gibt es laut Veit extra eingerichtete Anpassungslehrgänge für Fachkräfte aus dem Ausland, die nach etwa 13 bis 16 Monaten mit einer praktischen und mündlichen Prüfung abschließen. Im Juli 2024 wird es Khemiri nach bestandener Prüfung geschafft haben: Dann wird eine Urkunde der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sie als vollwertige Fachkraft ausweisen. Derzeit bekommt sie noch ein reduziertes Gehalt, dann das volle nach Tarif.
Bereits jetzt bedeutet die Einstellung für Khemiri einen sozialen Aufstieg. In Tunesien bekäme sie nur etwa 340 Euro im Monat. Ihre Familie ist stolz auf sie, sagt die junge Frau. Sie hat an sich geglaubt und wird es schaffen, ist ihre Integrationsbegleiterin überzeugt. Khemiri räumt ein, dass sie hin und wieder ein wenig Heimweh hat, doch über Mail und Video ist sie viel in Kontakt mit Mutter, Vater, Schwester und Bruder. Geld muss sie nicht heimschicken, sagt sie. Ihr Traum: eine eigene Wohnung und ein Auto, „einen kleinen Audi“. Außerdem möchte sie sich beruflich nach der Anerkennung und dem Erwerb des C1-Sprachzertifikats sogar noch weiterentwickeln. Aktuell wird sie dabei von den Romed-Kliniken mit einem Deutschkurs gefördert und unterstützt.
Anerkennungsprozesse vereinfachen
Ihre Integrationshelferin Veit wünscht sich derweil noch was ganz anderes: eine Vereinfachung der Anerkennungsprozesse. Etwa durch eine verstärkte Digitalisierung. Zertifikate müssten beglaubigt und als Originale eingereicht werden, Farbscans vom Original würden nicht anerkannt. All dies koste Zeit. Hoffnung setzen Romed und die Integrationsmanagerin, seit 2022 zuständig für alle vier Kliniken im Verbund, auf die bayerische „Fast Lane“, ein schnelleres Anerkennungsverfahren von Pflegefachkräften, bei dem die Fäden zentral beim Bayerischen Landesamt für Pflege zusammenlaufen. „Für anästhesie-technische Assistenten wäre ein solch zentrales, einfacheres, weil digitales Verfahren auch wünschenswert“, findet Veit.