Lange Wartezeiten und abgewiesene Patienten?
Notaufnahme Wasserburg in der Kritik: Jetzt spricht Oberarzt Bayerl
Lange Wartezeiten, Patienten sollen abgewiesen werden: In jüngster Zeit häufte sich die Kritik an der Notaufnahme Wasserburg. Bei einem Besuch erläutert Oberarzt Dr. Stephan Bayerl, warum es manchmal länger dauern kann, wie die Ersteinschätzung abläuft und wobei es oft zu Missverständnissen kommt.
Wasserburg – „Das ist das Herzstück“, sagt Dr. Stephan Bayerl und lächelt fast ein bisschen entschuldigend. Bayerl ist Leiter der Notaufnahme der Romed-Klinik Wasserburg. In seinem „Herzstück“ möchte wohl niemand gerne landen. Es ist der Schockraum, reserviert für Patienten mit komplexen, oft schwerwiegenden Verletzungen zum Beispiel in Folge eines Verkehrsunfalls. An den Schränken und Wänden prangen Hinweise mit den Worten „kritische Blutung stoppen“, „Halswirbelsäule immobilisieren“, „Tourniquet entfernen“.
Nichts davon möchte man je erleben, doch für Bayerl als Notfallmediziner ist dieser Raum so etwas wie das Kernelement seiner Abteilung. Ein- bis zweimal täglich wird der Schockraum belegt, dann arbeitet ein Team von zehn Fachkräften Hand in Hand, um den oft höchst kritischen Patienten bestmöglich zu versorgen. „Wir können hier wirklich sehr viel leisten“, sagt Bayerl und klingt ein bisschen stolz. Doch der Arzt weiß auch: Während im Schockraum gearbeitet wird, heißt dies oft zur gleichen Zeit für die anderen Patienten der Notaufnahme: Warten – und das kann oft zu Problemen führen.
„Bei uns wird niemand abgewiesen“
In jüngster Zeit mussten Bayerl und sein Team viel öffentliche Kritik einstecken. Beschwerden ehemaliger Patienten, die sich bei der Wasserburger Zeitung meldeten, häuften sich. Die Wartezeiten seien zu lang, Patienten würden abgewiesen, hieß es. Für das Team rund um Bayerl nur schwer zu schlucken. „Ich habe hochmotivierte Kolleginnen und Kollegen. Solche Beschwerden: das ist nicht schön“, so der Oberarzt. „Insbesondere die jüngeren Pflegekräfte haben sehr daran zu knabbern.“ Zu den konkreten Fällen könne er sich aus datenschutzrechtlichen Gründen natürlich nicht äußern. Nur so viel sagt er: „Bei uns wird niemand abgewiesen.“ Und Wartezeiten hätten ihren Grund.
45 Patienten werden täglich behandelt - Tendenz steigend
Elf Behandlungsräume stehen der Notaufnahme derzeit zur Verfügung, plus der Schockraum. Zwei weitere Räume würden im Moment umgebaut. Sie werden dringend benötigt, denn hier in Wasserburg werden etwa 45 Patienten täglich notfallmedizinisch versorgt, Tendenz steigend. 40 Pflegekräfte sind dafür in der Notaufnahme angestellt, viele davon in Teilzeit. Insgesamt sind es 23 volle Stellen.
Ersteinschätzung innerhalb von zehn Minuten
Jeder, der hier in der Notaufnahme arbeitet, ist ausgebildete Pflegefachfrau beziehungsweise ausgebildeter Pflegefachmann und hat eine zweijährige Zusatzausbildung in der Notfallpflege hinter sich. Zwei Jahre, in denen notfallmedizinische Versorgung erlernt, Praktika in Rettungsdienst und Leitstelle absolviert und die medizinische Ersteinschätzung erlernt werden. Denn hierfür sind in der Notaufnahme die Pflegekräfte zuständig. Die Vorgaben sind strikt: Zehn Minuten darf die Ersteinschätzung höchstens dauern. „Das ist gesetzlich so vorgeschrieben und wird auch regelmäßig überprüft, ob wir das einhalten können“, erklärt Bayerl. Dafür wird das Manchester Triage System (MTS) verwendet, das dem Fachpersonal bei der Einschätzung hilft. Kommt der Patient, wird – nach Aufnahme der persönlichen Daten – erst einmal abgefragt, welche Beschwerden vorliegen. Entsprechend der Antworten kann die Sichtungskraft eine Möglichkeit im Computer-System auswählen. Und davon gibt es viele: „Extremitätenschwellung“, „Bauchschmerzen“, aber auch andere Schlagwörter wie „besorgte Eltern“ sind auswählbar. „Manchmal können Patienten gar nicht in Worte fassen, was das Problem ist, dafür gibt es solche Kategorien“, erklärt Bayerl.
Nach Feststellen der Art des Notfalls, wird anschließend noch die Indikation abgefragt. Die Fragen werden vom System vorgeschlagen und nacheinander abgearbeitet. Bei einer Extremitätenschwellung, also bei einem angeschwollenen Fuß oder Arm, erkundigt sich die Pflegekraft beispielweise nach Atemnot, Durchblutungsstörungen oder einer Fehlstellung der Extremität. Je nachdem welche Fragen der Patient mit „Ja“ beantwortet, wird die Dringlichkeit eingeordnet. In Wasserburg gibt es dafür wie an allen anderen Romed-Kliniken fünf Kategorien: sofort, sehr dringend, normal und nicht dringend oder auch rot, orange, gelb, grün, blau.
Erklärt der Patient mit Extremitätenschwellung beispielsweise, dass er Atemnot habe, landet er in der Kategorie „sehr dringend“. Wird eine mögliche Durchblutungsstörung festgestellt, weil entsprechende Vorerkrankungen vorliegen oder sich der betroffene Fuß oder Arm kalt anfühlt, kommt auch er in die orangene Kategorie, also „sehr dringend“. Handelt es sich um eine Fehlstellung durch einen „ganz normalen“ Bruch, wird der Patient in die gelbe oder grüne Kategorie eingeordnet. „Natürlich ist es immer noch ein Notfall. Aber eben kein ganz dringender“, erklärt Bayerl. So ein Fall könne somit auch einige Zeit warten.
Null, 30 bis 90 Minuten soll es bis zum Arztkontakt dauern
Im Gegensatz zu einem „roten“ Patienten. Hier empfiehlt das MTS sogar einen ersten Arztkontakt innerhalb von null Minuten, eben „sofort.“ Bei der Dringlichkeitsstufe drei soll er innerhalb von 30 Minuten erfolgen, bei Kategorie grün innerhalb von eineinhalb Stunden. „Letztendlich geht es um Behandlungsprioriäten“, erklärt Bayerl. „Studien haben gezeigt: Wenn diese Zeiten eingehalten werden, ist das Resultat für alle Patienten am besten.“ Doch trotzdem gelte, die Behandlung in dieser Zeit sei eine Empfehlung. „Es ist keine Verpflichtung, dass wir diese Zeiten einhalten“, betont der Oberarzt. Komme beispielsweise ein Patient in der Dringlichkeitsstufe „sofort“ in die Notaufnahme, könne es auch vorkommen, dass ein Patient in der Stufe „normal“ weiter warten müsse, obwohl er bereits seit 90 Minuten vor Ort ist. Natürlich könne es auch umgekehrt sein. „Ist gerade wenig los, muss ein „grüner Patient“ nicht so lange warten.“
Übrigens kommen die Ersteinschätzung und das Dringlichkeitssystem bei Jedem zu tragen, egal ob der Patient aus eigener Kraft oder mit dem Rettungsdienst zur Notaufnahme gekommen sei. Es sei ein Trugschluss in der Bevölkerung, dass Patienten, die mit dem Rettungsdienst eingeliefert, bevorzugt behandelt würden, erklärt Bayerl. „Natürlich werden die Patienten, die mit dem Rettungsdienst kommen oft liegend transportiert, dadurch bekommen sie auch bei uns häufig eher eine Liege. Das bedeutet aber nicht, dass sie vorher behandelt werden“, so der Oberarzt. Je nach Dringlichkeit könne auch ein Selbsteinweiser den Patienten „überholen“. Wie viele der Patienten tatsächlich Notfälle seien, darüber will der Oberarzt übrigens keine Aussage treffen. „Für mich gilt: Jeder Patient darf sich als Notfall sehen. Aber sie müssen lernen, geduldig zu sein.“
Ärzte kommen aus verschiedenen Fachbereichen
Doch nicht nur die Dringlichkeit hat Einfluss auf die Wartezeit, auch die Notfallsituation selbst, könne die Dauer beeinflussen. Denn während die Pflegekräfte fest in der Notaufnahme sind, werden die Ärzte durch die anderen Abteilungen hinzugezogen, je nachdem welche Fachrichtung für den Patienten benötigt wird. „Wenn jemand mit einem gebrochenen Bein kommt, ist das ein chirurgisches Problem, da kann ein Arzt für Innere Medizin nicht viel helfen. Und umgekehrt, wenn jemand mit Lungenentzündung oder Herzinfarkt kommt, ist es oft ein Problem für die Innere Medizin.“ Auch hier komme es gerne zu Missverständnissen, gibt der Leiter der Notaufnahme zu. „Es kann zum Beispiel vorkommen, dass wir drei chirurgische Fälle im Wartezimmer haben. Wenn dann ein Fall für die Innere Medizin kommt und dort ein Arzt gerade Zeit hat, überholt dieser Patient natürlich die chirurgischen Fälle“, erklärt Bayerl. Für die Patienten sei dies oft schwer verständlich, schließlich wüssten sie weder, mit welchen Beschwerden der Patient in die Notaufnahme gekommen sei, noch, aus welcher Fachrichtung der Arzt stamme.
Das Problem mit dem Fenster im Wartezimmer
Mehrfach haben sich auch Personen bei der Wasserburger Zeitung erkundigt, die über einen mangelnden Sichtkontakt zwischen Wartezimmer und dem Fachpersonal geklagt haben. Niemand würde mitbekommen, ob ein Patient im Wartezimmer kollabiere oder nicht. Tatsächlich ist das Fenster am Wartezimmer bemalt und damit nicht direkt einsehbar. Das habe jedoch datenschutzrechtliche Grund, erklärt Dr. Stephan Bayerl, Leiter der Wasserburger Notaufnahme. Denn die Patienten im Wartezimmer hätten ansonsten einen klaren Blick auf alle neu antreffenden Patienten. „Die Privatsphäre ist uns wichtig. Und wir möchten weder den Wartenden zumuten, dass sie die zum Teil schwerverletzte Personen sehen müssen, die bei uns ankommen. Noch wollen wir, dass diese Personen von anderen gesehen werden.“ Um das Problem zu lösen, habe man deshalb schon über eine Videoüberwachung des Warteraums nachgedacht. „Aber auch das ist datenschutzrechtlich nur scher umsetzbar.“ Insgesamt sieht Bayerl aber auch keinen Handlungsgrund. „Ruft jemand um Hilfe, dann hören wir das auf jeden Fall. Außerdem laufen wir regelmäßig am Raum vorbei und haben dann Sichtkontakt durch die Tür“, erklärt Bayerl. Kritische Patienten, bei denen ein Kollaps drohen könnten, würden ohnehin sofort an ein EKG angeschlossen werden und seien so dauerhaft überwacht.

