„Kehren Berchtesgaden vielleicht den Rücken“
„Fühlen uns verarscht und nicht gehört“: Berchtesgadener Ski-Trainer über Aus des alpinen „Flaggschiffs“ Jenner
Jetzt reicht es dem Berchtesgadener Trainer-Brüderpaar Martin und Hansi Rasp sowie Erhard Moldan: Sie haben lange auf Reaktionen der Politik, von Tourismusverbänden und den Skivereinen zur Entscheidung der Berchtesgadener Bergbahn AG gewartet. Jetzt sehen sie sich veranlasst, ihren Unmut kundzutun, denn: Auch für den Skinachwuchs wiegt die Entscheidung schwer. Und von anderen Trainern und Fahrern, zum Beispiel aus Salzburg oder Garmisch, werden sie mit Unverständnis auf die Entscheidung angesprochen.
Berchtesgaden/Schönau am Königssee - Jeder Einzelne aus dem Trio kann auf über mindestens 30 Jahre Erfahrung als Skitrainer zurückblicken. Wie sie berichten, sind sie an die 80 bis 120 Schneetage in der Wintersaison mit Skifahren und dem Lehren davon beschäftigt - sowohl im Breiten- als auch im Leistungssport. Sie wissen ganz genau, dass es zum Erlernen verschiedene Pisten und Schwierigkeitsgrade benötigt. Daher ist ihnen auch klar, was es nun bedeutet, dass es am Jenner keinen alpinen Skibetrieb mehr geben wird.
„Die anderen Skigebiete bei uns sind nur für Slalom- und Stangenfahrten geeignet. Natürlich haben wir noch das Leistungszentrum am Götschen und den Krautkaser am Jenner, wo wir als Vereine trainieren können, aber uns geht das alpine Skifahren ab“, erklärt Martin Rasp. Das sei vergleichbar mit dem Schwimmen: Das lerne man auch nicht in einem Fünf-Meter-Becken. Der Nachwuchs müsse auch mal mehrere Kilometer vom Berg bis in Tal fahren können, um die Technik zu lernen und Kondition sowie Ausdauer zu sammeln. „Jetzt kehren wir Berchtesgaden vielleicht den Rücken, weil wir künftig nach Österreich fahren oder weitere Fahrten in Kauf nehmen müssen.“
„Uns fallen 1100 Höhenmeter und anspruchsvolles Gelände weg“
Hier im Berchtesgadener Land habe man sicherlich nicht die größten Skigebiete, aber gerade deswegen sei man für viele Familien interessant. Laut Rasp kommen unter anderem auch viele Dänen hierher und die Liftpreise seien im Vergleich zu Österreich noch günstig. „Der Jenner ist in unserer Region das Aushängeschild. Mit dieser Entscheidung verlieren wir ein Flaggschiff.“
Skitrainer Moldan glaubt, dass man sich in der Region darauf ausruhe, dass es immer noch zum Beispiel das Hochschwarzeck oder Rossfeld zum Skifahren gebe. „Die können den Jenner-Wegfall nicht auffangen, weil sie nicht vergleichbar sind: Uns fallen 1100 Höhenmeter als Abfahrt und anspruchsvolles Gelände weg.“ Und Hansi Rasp glaubt: „Wir haben viele Pauschaltouristen. Die gehen natürlich auch mal zum Götschen, aber wenn mit dem Jenner das Zugpferd wegfällt, geht es den anderen Skigebieten auch schlechter.“
Zu wenig Aufmerksamkeit und Widerstand
Dem Trio stößt es auch sauer auf, dass die Entscheidung der Berchtesgadener Bergbahn AG ihrer Meinung nach „einfach so hingenommen“ wurde. „Politik, Tourismus, Hoteliers: Da ist nicht wirklich etwas dagegen unternommen worden. Wir haben Anfragen von Eltern erhalten, die zu uns meinten, dass sie öffentlichen Widerstand gegen diese Entscheidung vermissen“, schildert Martin Rasp. Bei Klimaklebern und Bauernproteste war die Aufmerksamkeit da, „aber der Jenner, unser Hausberg, interessiert scheinbar kaum jemanden“.
Moldan wird noch deutlicher: „Das geht denen am Arsch vorbei, was geschrieben wird oder was nicht geschrieben wird. Wir Skitrainer haben versucht, Dinge richtigzustellen, aber auch das interessiert keinen. Wir haben darum gebeten, dass wir uns alle zusammenhocken und an Lösungen arbeiten, aber auch da kam nichts.“
„Gemeinderat hinters Licht geführt“
Für die Drei hat auch die Art und Weise, wie das Ende des alpinen Skibetriebs zustande gekommen ist, einen faden Beigeschmack. Als im August 2023 in der Gemeinderatssitzung 300.000 Euro schwere Förderung beschlossen wurde, weil diese Summe laut Jennerbahn-Vorstand Thomas Mühltaler aufgrund von Kostenexplosionen notwendig geworden war, waren auch zahlreiche Skitrainer und Eltern anwesend. Martin Rasp meint, dass der Gemeinderat „hinters Licht geführt wurde“, und bedauert, dass keine schriftliche Vereinbarung getroffen wurde, die Skiabfahrt vom Berg bis in Tal dauerhaft zu sichern. „Erst wurden wir mit der Talabfahrt abgespeist und jetzt ist komplett Schluss.“
Ebenfalls merkwürdig findet das Trio, dass der Freistaat Bayern eine millionenschwere finanzielle Förderung für den Neubau der Jennerbahn bewilligte und nur wenige Jahre später das Ende des alpinen Skibetriebs beschlossen wurde. Martin Rasp startete sogar eine Petition und wendete sich im Sommer 2023 an den Landtag, um zu überprüfen, ob bei einer Betriebsänderung ein Teil der vom Freistaat gewährten Förderung verfalle und zurückgezahlt werden müsse. Außerdem forderte er die Aufrechterhaltung der bisherigen Winternutzung aller Anlagen sowohl zum Wohle des Tourismus als auch der einheimischen Bevölkerung.
Rückmeldung aus dem Landtag
Im Antwortschreiben vom 2. Juni 2023, das dieser Redaktion vorliegt, heißt es, dass dem Hauptanliegen des Petenten durch den Freistaat nicht entsprochen werde. Die Ausgestaltung des Betriebs obliege der Berchtesgadener Bergbahn AG. Weder die Förderung des Freistaats noch die Betriebserlaubnis machen hier Vorgaben, nach denen eine bestimmte Betriebspflicht durch den Freistaat vorgegeben werden könne.
Spannender wird es dagegen beim Thema Rückzahlung der Förderung. Hier heißt es:
- „Der Petent führt zutreffend aus, dass die Veränderung des Betriebskonzeptes förderrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Hierzu haben bereits erste Gespräche zwischen Vertretern der Berchtesgadener Bergbahn AG und der Regierung von Oberbayern stattgefunden. Soweit einzelne geförderte Einrichtungen künftig nicht mehr betrieben werden, ist eine Rückforderung zu prüfen. Nach Aussage der Berchtesgadener Bergbahn AG steht das künftige Betriebskonzept und die Nutzung der geförderten Anlagen, vor allem der Mitterkaserbahn, aber noch nicht endgültig fest. Soweit geförderte Bahnen ohne Pistenpräparierung sinnvoll weiter betrieben werden, ergäbe sich kein Rückforderungsgrund. Die Regierung wird dies im Einzelnen entsprechend der Entwicklung vor Ort prüfen.“
Hansi Rasp findet, dass nach der Neueröffnung der Jennerbahn nicht mehr genügend Werbung gemacht wurde, um neue Kunden anzulocken. „Im letzten Jahr wurden dann die Skikarten teurer - die haben mehr gekostet als in größeren Skigebieten. Dann wurden bei der Pistenpräparierung Sparmaßnahmen getroffen, und diese Saison hat man mit dem neuen Konzept die letzten Kunden vergrault.“
„War blauäugig“
Als „Schuss in den Ofen“ bezeichnet Skitrainer Moldan die Planungen nach der Neueröffnung. „Die Argumente von damals, die für das Skigebiet als Werbung verwendet wurden, sind heute die Gegenargumente. Das ist doch lachhaft.“ 1998 seien die ersten Beschneiungsanlagen gebaut, 2005 die Pisten begradigt und verbreitert worden. Dann folgten die Modernisierung der Beschneiungsanlagen und der Bau des großen Beschneiungsteiches. „Das alles interessiert jetzt auf einmal nicht mehr. Es war blauäugig zu glauben, dass mit der neuen Bahn die Einnahmen in der Wintersaison deutlich steigen.“
Laut Moldan hieß es schon Ende der 90er-Jahre von Naturschutzverbänden, dass die Beschneiung Quatsch sei und Skifahren sowieso nicht mehr lange möglich sein werde. Damals, so der Skitrainer, betonte der Gemeinderat noch, dass so lange Ski gefahren werde, bis es nicht mehr möglich sei. „Wenn wir jetzt schon sagen, dass es nicht mehr geht, obwohl das nicht stimmt: Wo kommen wir da hin?“.
Auch Martin Rasp kann die Entwicklung nicht nachvollziehen. „Beim Neubau kamen Vertreter aus anderen Skigebieten, um sich das anzuschauen. Die wären froh um eine solche Anlage samt modernster Ausstattung.“ Die Jenner-Entscheidung mache auch bei anderen Vereinen außerhalb des Landkreises die Runde. Rasp schildert, dass er schon in Salzburg und Garmisch darauf angesprochen wurde. „Die Entscheidung kann dort niemand nachvollziehen. Zum Teil gibt es dort ähnliche anspruchsvolle Gebiete, die mit dem Jenner vergleichbar sind, und die Pisten sind voll. Das Skifahren boomt nach wie vor, heißt es immer wieder.“
Hoffnung auf Mitterkaserbahn
Er ist genauso wie sein Bruder und Moldan überzeugt: „Wenn man wollte, könnte man am Jenner auch in Zukunft noch Skifahren. Oder eventuell nur die zu beschneiende Talabfahrt aufgeben, um zwischen Berg- und Mittelstation noch fahren zu können.“ Sie hoffen, dass zumindest die Mitterkaserbahn erhalten bleibt. Ab 1500 Metern sei die Schneelage ziemlich sicher, dort gehe es auch ohne Beschneiung. „Wo andere Skigebiete im Berchtesgadener Land aufhören, fängt der Jenner erst so richtig an“, so Rasp. „Ein Rückbau der Mitterkaserbahn wäre der Super-Gau.“
Ein Rückbau der Mitterkaserbahn wäre der Super-Gau.
Das Trio ist davon überzeugt, dass die Entscheidung aus dem Ansehen des Landkreises keinen Gefallen getan habe. Viele überregionale Medien griffen das Thema auf, selbst in Stuttgart wurde darüber berichtet. „Wir fühlen uns einfach verarscht und sind leider von der Politik nicht gehört worden, was die Entscheidung für den Skinachwuchs bedeutet. Und wir hätten uns auch gewünscht, dass sich sowohl die politischen Vertreter als auch die Vorstände der Skivereine öffentlich dazu äußern und Stellung beziehen.“
Natürlich sei ihnen klar, dass ihr Unmut an der Entscheidung gegen den alpinen Skibetrieb nichts mehr ändern werde. Doch sie wollten nicht tatenlos zuschauen und hoffen nach wie vor darauf, gemeinsam mit allen Verantwortlichen nach Lösungen zu suchen, um nicht nur für den Nachwuchs das Skifahren zu ermöglichen. Insgeheim hoffen die Skitrainer optimistisch, dass ein Skibetrieb am Jenner - wenn auch zum Teil eingeschränkt - möglich bleibt.
