Verein Berchtesgaden gegen Rechts
„Mythos Hindenburg zerlegt“: Sorgt ein Vortrag für neuen Wind bei der Straßen-Umbenennung?
Eindrucksvoll widerlegte Mathias Irlinger den Heldenstatus und die Glorifizierung von Paul von Hindenburg. „Er führte Deutschland zweimal in den Abgrund“, verdeutlichte der Bildungsreferent der Dokumentation Obersalzberg vor mehr als 100 Zuschauern. Zum Vortrag hatte der Verein „Berchtesgaden gegen Rechts“ eingeladen. Das Thema wühlte das Publikum auf und sorgte im Anschluss für eine lebhafte Diskussion - auch wegen der Hindenburg-Allee in Berchtesgaden. Kommt nun neue Bewegung in die Thema?
Berchtesgaden - Kaum war Irlinger mit seinem Vortrag im kleinen Saal des Alpencongress durch, kamen die Fragen und Diskussionsbeiträge aus dem Publikum - und das nicht zu knapp. Als es um die mögliche Straßenumbenennung der Hindenburg-Allee ging, für die sich auch der Verein „Berchtesgaden gegen Rechts“ einsetzt, meldete sich ein Mann zu Wort. Er schilderte, dass er aus dem Osten Deutschlands komme und das Thema schon länger verfolge. Auch dort gebe es immer wieder Diskussionen darüber. Eins habe er dabei gelernt: Eine Umbenennung koste viel Geld und verursache viel Bürokratie. „Ich verstehe die Hintergründe und will nicht als rechtsextrem eingestuft werden. Aber aus diesen Gründen bin ich gegen Umbennungen von Straßen und Plätzen“, meinte er.
Die Reaktionen darauf folgten zugleich. „Wie viel ist uns die Demokratie wert?“, fragte Hans Metzenleitner in die Runde. Er warb dafür, diese Werte nicht gegen Geld aufzurechnen, schließlich gehe es um Identifikation. „Es wäre traurig, wenn uns niemand besseres als Hindenburg einfällt. Wir sind gut daran beraten, die Straße umzubenennen, das ist in der heutigen Zeit mehr als überholt.“
Bürokratie nicht unterschätzen
Irlinger erzählte, dass er eine Zeit lang auch in München lebte und es dort ebenfalls Umbenennungen gab. „Die Kosten werden immer als Argument genannt. Bei der Hindenburg-Allee würde ich die eher als gering einstufen“, meinte er. Doch der Aufwand für die Anwohner sei durchaus nicht zu unterschätzen, die Bürokratie eine „lästige Sache“. „Doch dafür gibt es Möglichkeiten, damit die Betroffenen damit nicht im Stich gelassen werden. Straßenumbenennungen sind immer hochemotional, doch man darf eins nicht vergessen: Die Nazis waren die größten Umbenenner.“ Denn die Straßen hatten früher auch andere Namen.
Hindenburg hat in Deutschland keinen Platz mehr.
Norbert Egger versprach, dass der Verein die Anwohner organisatorisch unterstützen werde. „Ich würde das Thema sogar selbst finanziell unterstützen. Es wäre dramatisch, wenn es am Geld scheitern würde, dass eine Straße weiterhin nach einem Kriegsverbrecher benannt wird.“ Klaus Gerlach betonte, dass die Straßennamen einen Teil der Erinnerungskultur darstellten. „Aber Hindenburg hat in Deutschland keinen Platz mehr“, fand er. Er selbst war Soldat und bekam mit, wie die Namen von Kasernen bereinigt wurden. „Damals, in den 70er- und 80er-Jahren, mussten viele Soldaten und Offiziere erst lernen, dass sie sich in ihren einstigen Idolen getäuscht hatten.“
Die Jungen sollen entscheiden
Während Ursula Wischgul dafür warb, die jungen Generationen darüber entscheiden zu lassen, wie die Allee heißen sollte, lobte Wolfgang Schütz den Vortrag. „Er bietet nicht nur der Bevölkerung, sondern auch der Kommunalpolitik die Möglichkeit, sich darüber auszutauschen. Auch heutzutage sollten Politiker genau darauf achten, wie sie sich geben, was sie sagen, ob sie lügen oder Unwahrheiten verbreiten“, so Schütz.
Auch Metzenleitner ergriff das Wort und dankte nicht nur dem Referenten, sondern auch dem noch jungen Verein „Berchtesgaden gegen Rechts“. „Ihr habt in der kurzen Zeit schon viel auf die Beine gestellt“, lobte er und meinte, dass man die Zeiten von damals nicht mit heute vergleichen könne. Aber: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir uns noch einmal aktiv für die Demokratie einsetzen müssen“. Für Metzenleitner ist klar: „Die Parallelen zur heutigen Zeit sind unverkennbar. Es kann nicht sein, dass sich nur SPD und Grüne entschieden gegen antidemokratische Kräfte zur Wehr setzen. Es darf auf allen Ebenen - ob kommunal, landes- und bundesweit oder in der EU - keine Koalitionen mit der AfD geben“, forderte er.
Die „Dolchstoßlegende“ und ihre Folgen
Ein Zuhörer lobte Irlinger dafür, dass er „den Mythos Hindenburg zerlegt“ hat. Ein anderer verwies darauf, dass es viele Menschen waren, die Hitler und Hindenburg zugejubelt hätten und die „Dolchstoßlegende“ dazu diente, auf bequeme Art und Weise Schuldige zu finden und vom eigenen Versagen abzulenken.
Aus der Sicht eines Historikers können einem Demokraten nur leid tun.
Ein Mann betonte, dass es auch die Weltwirtschaftskrise 1929 war, welche Deutschland einige Jahre später hart traf. Banken gingen pleite, Firmen und Bevölkerung litten, die Arbeitslosigkeit stieg immer weiter an. „Damals herrschte die Stimmung, dass man jede Partei nehme, die einen Hauch von Hoffnung biete“, meinte er. Schon damals wurden vermeintlich einfache Lösungen für schwierige, komplexe Thema und Probleme propagiert. Dem konnte Irlinger nur zustimmen: „Aus der Sicht eines Historikers können einem Demokraten nur leid tun. Sie haben es immer schwerer, komplexe Prozesse und Themen zu bewältigen, statt leichtere Wege anzubieten. Eine Demokratie ist schneller abgeschafft, als sie eingeführt ist.“
„Wäre er doch besser in Rente geblieben“
Zuvor hatte der Bildungsreferent in seinem kurzweiligen Vortrag das Wirken von Paul von Hindenburg und dessen Rollen im Ersten Weltkrieg sowie bei der Machtübernahme der NSDAP und der Machtübergabe an Hitler dargestellt. „Wäre er doch besser in Rente geblieben“, fasste er seinen Beitrag zusammen. Denn eigentlich war der preußische Militär ein durchaus unbeschriebenes Blatt, dass sich bereits im Ruhestand befand. „Ohne den Ersten Weltkrieg hätte die Geschichte wohl niemals Notiz von ihm genommen“, verdeutlichte der Referent.
Doch von Hindenburg wurde Oberbefehlshaber und somit nahm das Unheil seinen Lauf. Irlinger erklärte den Zuhörern, wie er mit der „Schlacht bei Tannenberg“ erstmals in die Propaganda-Trickkiste griff, um eine Schmach aus dem Jahr 1410 zu verdecken. Er ließ sich als Held feiern, dabei hatte er eigentlich nichts mit der Schlacht zu tun. Überhaupt fiel der 1847 im heute polnischen Posen geborene Machthaber damit auf, dass er sich anfangs aus dem operativen Geschäft weitestgehend heraushielt und eher darauf bedacht war, seinen Gepflogenheiten aus dem Ruhestand - immer zur gleichen Uhrzeit essen, Mittagsschlaf, Spazieren, Jagen - nachzugehen. Er ließ andere machen, aber heimste trotzdem die öffentlichen Lorbeeren ein.
Langjährige Weggefährten und Freunde hintergangen
Dies gelang ihm durch eine ständige Selbstinszenierung, zum Beispiel durch symbolhafte Postkarten und Gemälde. Dadurch blieb auch nach Niederlagen und Fehlschlägen kein Makel an ihm hängen. Wie Irliner erläuterte, hatte von Hindenburg auch keine Probleme damit, „langjährige Weggefährten und Freunde ans Messer zu liefern“. Oder sich zu bereichern wie beim Osthilfeskandal 1932/33. Neben diesen Charaktereigenschaften trug er auch die Verantwortung für mehrere Kriegsverbrechen, die von der Obersten Heeresleitung (OHL) ausgeübt wurden. Diese waren:
Die OHL-Kriegsverbrechen unter der Hindenburg-Leitung
Als die Situation für das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg immer schwieriger und hoffnungsloser wurde, setzte die OHL alles auf eine Karte. Die Wirtschaft wurde vollkommen auf Kriegsführung (Munition, Waffen und so weiter) umgestellt, die gesamte Gesellschaft quasi zum militärischen Einsatz verpflichtet. Es wurden nicht nur zwei Millionen Soldaten „sinnlos“, wie es Irlinger bezeichnete, in einem aussichtslosen Krieg geopfert, sondern auch Hunderttausende aus der Zivilbevölkerung. Höhepunkt der mangelnden Lebensmittelversorgung war der „Kohlrübenwinter“ 1916/17.
Im Rahmen der Seeblockade der britischen Marine, welche die Ernährungssituation verschärfte, entstand durch die OHL das Konzept des sogenannten „uneingeschränkten U-Bootkrieges“. Handels- und Passagierschiffe wurden ohne Vorwarnung versenkt - selbst wenn diese von neutralen Staaten stammten. Die Ermordung von Zivilisten neutraler Staaten stellte das erste schwere Kriegsverbrechen dar, das von Hindenburg zu verantworten hatte. Durch den „uneingeschränkten U-Bootkrieg“ sahen sich damals auch die USA gezwungen, dem Krieg beizutreten - ein großer Wendepunkt.
Dadurch mussten sich die deutschen Truppen aus Frankreich zurückziehen, doch dabei kam es zur „Politik der verbrannten Erde“. Mit dem sogenannten „Unternehmen Alberich“ verwüsteten die Soldaten auf ihrem Rückzug systematisch auf aufgegebene Gebiet, zerstörten Ortschaften, Transport- und Versorgungseinrichtungen. Selbst kulturhistorische Bauwerke fielen dieser Operation zum Opfer. Dabei deportierten die Deutschen mehr als 100.000 Menschen - de facto die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung.
Diese und weitere Handlungen führten dazu, dass es im Versailler Vertrag einen ganzen Abschnitt zu den „Strafbestimmungen“, also den Kriegsverbrechen, gab (Artikel 227 bis 230).
Auch hiernach schwang Hindenburg große Reden und lenkte vom eigenen Versagen ab, in dem er die Schuld bei anderen suchte. „Sein Versagen tat seiner Popularität keinen Abbruch, selbst nach Kriegsende nicht. Ludendorff wurde dafür verantwortlich gemacht und entlassen. Dass er sich dann nach Schweden absetzte, nahm man ihm übel“, sagte Irlinger. Und während die erste deutsche Demokratie entstand, sägte von Hindenburg bereits mit der Erfindung der „Dolchstoßlegende“ an der Weimarer Republik. „Damit wurde das politische Klima vergiftet.“
Demokratie entsprach nicht Hindenburgs Staatsverständnis
Wie Irlinger betonte, brach er nicht die Verfassung. Doch er nutzte und missbrauchte die machtvollen Befugnisse, die ihm als Reichspräsidenten zur Verfügung standen, da die Demokratie nicht seinem Staatsverständnis entsprach. Ab 1930 begann er, sich massiv in die Politik einzumischen. Er spannte Intrigen, manipulierte, drohte und sorgte mit seinen Praktiken dafür, dass die Parteien sich immer mehr zerstritten. Stabile Mehrheiten waren nicht mehr möglich. Als 1932 bei der Wahl zum nächsten Reichspräsidenten nur noch Hindenburg, Hitler und Ernst Thälmann (Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands) auf dem Wahlzettel standen, „zeigte das, wie es um die Demokratie bestellt war“.
Unverhohlen bemühte sich von Hindenburg, Hitler und die NSDAP an der Reichsregierung zu beteiligen. Selbst als bereits 30 Konzentrationslager gebaut und Tausende inhaftiert wurden, lobte er Hitler für sein Engagement. „Es gab nicht den einen entscheidenden Tag. Hindenburg hätte Hitler auch stürzen können, wenn er gewollt hätte. Aber stattdessen hat er monatelang dessen Macht gefestigt. Als er starb, war Hitler unantastbar“, so Irlinger
Chancen für einen Wandel
Der Experte verwies auch darauf, dass sowohl Hitler als auch Hindenburg 1933 zu Ehrenbürgern von Berchtesgaden ernannt wurden. Der Marktgemeinderat habe sich damals einstimmig dafür entschieden. Während das bei Hitler aufgrund dessen „Nachbarschaft“ durchaus „verständlich“ war, gab es für Hindenburg keinerlei Gründe - außer einen. „Soweit wir wissen, war Hindenburg nie in der Region und hatte auch sonst keine Berührungspunkte zu Berchtesgaden. Er wurde wohl zum Ehrenbürger ernannt, weil der Hitler an die Macht verhalf.“ Das Duo sei damals in vielen Kommunen ausgezeichnet worden, Berchtesgaden und auch Ramsau mit der Hindenburg-Linde waren da keine Ausnahmen.
Irlinger machte auch darauf aufmerksam, dass es im gesamten Talkessel keinen Straßennamen gebe, der an ein Opfer des NS-Regimes gedenke. Auch Stolpersteine suche man vergeblich. „Chancen wären genügend da, etwas zu verändern.“

