Auch AfD-Mitglieder beim Vortrag im Aufhamer Neuwirt
„Putin-Nähe war von Anfang an groß“: Soziologe zu Verflechtungen und Taktiken der AfD
Spionage- und Bestechungsvorwürfe, „Dating-Tipps“ und der verbotene Slogan „Alles für Deutschland“: Maximilian Krah und Björn Höcke von der AfD stehen aktuell in den Schlagzeilen. Der Soziologe und Publizist Andreas Kemper hat schon vor der Gründung der Partei zu ihrer Entstehung und Vorgeschichte recherchiert. Er kennt die Verflechtungen und Netzwerke bestens, wie er in seinem Vortrag zeigte, dem sogar zwei AfD-Mitglieder zuhörten. Ein Abend über rückwärtsgewandte Denk- und Rollenmuster, über den Umgang mit verbotenen SA-Parolen und wieso die AfD besser als andere Parteien jüngere Wähler erreicht.
Aufham - Spätestens seine Recherchen zu Björn Höcke machten Andreas Kemper einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In Nordhorn geboren und aufgewachsen, im äußersten Südwesten Niedersachsens an der Vechte, stellte er in mehreren Publikationen zwischen 2014 und 2016 eine Verbindung von Höcke und dem Pseudonym „Landolf Ladig“ her.
Unter diesem Namen wurden mehrere Texte in NPD-nahe Medien publiziert, die sogar die AfD zum Einleiten eines Ausschlussverfahrens bewegten. Das war im Februar 2017. „Das Verfahren wurde gestoppt - übrigens ohne die Begründung dafür jemals öffentlich zu machen“, merkte Kemper an, dem am Dienstagabend trotz neunstündiger Anreise mit dem Zug das Wissen nur so aus dem Kopf sprudelte. Seit über elf Jahren befasst er sich mit der Partei, den Konflikten und Veränderungen, den Verflechtungen zu anderen Gruppierungen: In jeder Sekunde seines Vortrags war das zu spüren. Selbst in den komplexesten Netzwerken scheint er sich mühelos auszukennen.
Kopfschütteln und ungläubiges Staunen
Zu dem Vortrag, dem im Gasthaus Neuwirt in Aufham etwa 50 Personen aufmerksam zuhörten - darunter zwei AfD-Mitglieder -, hatte der Grünen-Kreisverband BGL eingeladen. Ulrike Schweiger, Sprecherin des Vorstandsteams, machte zu Beginn darauf aufmerksam, dass der Rechtsruck auch mit Frauenfeindlichkeit einhergehe. „Das Video mit Maximilian Krah und dessen Dating-Tipps sind uns allen noch in Erinnerung“, sagte sie mit Blick auf den polarisierenden TikTok-Beitrag des Abgeordneten. Als das Video während des Vortrags abgespielt wurde, konnten die meisten Zuhörer mit dem Kopfschütteln und ungläubigen Staunen nicht mehr aufhören. Die Aussagen Krahs waren für viele nur schwer zu ertragen.
Aus Worten werden Gedanken, aus Gedanken werden Taten, aus Taten werden Tatsachen.
Schweiger findet: Über den Vorwurf, dass sich Frauen in der Politik lächerlich machen würden, könne man natürlich lachen. „Aber wir dürfen niemals die Macht der Worte unterschätzen: Aus Worten werden Gedanken, aus Gedanken werden Taten, und aus Taten werden Tatsachen.“ Sie sei stolz darüber, dass es auch im Berchtesgadener Land Proteste gegen Remigrationspläne und die AfD gegeben habe. „Aber aus aktuellem Anlass wissen wir, wie wichtig es ist, mit ordentlich Schmackes Kontra zu geben.“
„Höcke tut so, als wäre alles in Ordnung“
Wie Kemper gleich zu Beginn erwähnte, sei das Motto des Vortrags „Rechte Versprecher - Die neue Rechte und ihr Netzwerk“ schon vor einigen Wochen entstanden. „Damals war noch nicht klar, dass sich Höcke vor Gericht wegen der Verwendung eines verbotenen SA-Slogans verantworten muss.“ Bislang sei er stets bei den Prozesstagen dabei gewesen und habe die Verhandlung genauestens verfolgt. „Er tut so, als wäre alles in Ordnung und als wüsste er - als Geschichtslehrer wohlgemerkt - von nichts. Aber ,Alles für Deutschland‘ ist eine Parole der Neonazis, die sich in die Tradition der SA stellen. Diese Botschaft ist eindeutig“, erklärte der Publizist.
Einige Slogans wie „Heil Hitler“ oder Hakenkreuze seien aus gutem Grund verboten. „Es geht nicht nur darum, den Nazis diese Möglichkeiten zu nehmen, sondern auch darum, Holocaust-Opfer zu schützen.“ Höcke sei insgesamt die vierte Person, die den verbotenen „Alles für Deutschland“-Slogan öffentlich verwendet habe. Die Parole sei vielleicht einer der harmlosesten, aber eine der zentralsten in der rechten Szene.
Negative Folgen befürchtet
„Wenn Höcke dafür nicht ins Gefängnis und nur eine Geldstraße zahlen muss, befürchte ich, dass sich noch mehr Menschen ein Beispiel daran nehmen und es mit anderen, schlimmeren Parolen versuchen.“ Je nach Entscheidung des Gerichts könne dadurch eine regelrechte Spirale mit ungeahnten Folgen in Gang gesetzt werden.
Die AfD sei von drei zentralen ideologischen Strömungen durchwachsen: Neoliberalismus, Christlicher Fundamentalismus und Faschismus. „Die Partei wird vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft, aber selbst innerhalb der AfD stellen sich die Verantwortlichen bereits darauf ein, als gesichert rechtsextrem eingestuft zu werden“, schildert Kemper. Die Partei verstehe es bestens, sich stets in der Opferrolle darzustellen und die Schuld auf andere zu schieben, egal ob auf kommunaler, landes- oder bundesweiter Ebene. Das lenke die Aufmerksamkeit auf andere Personen und Parteien. „Wenn die AfD an die Macht käme, würde sie sich von selbst entzaubern“, ist Kemper überzeugt.
Von Anfang an Putin-Nähe zu beobachten
Von Anfang an habe es Konflikte innerhalb der Partei gegeben, die maßgeblich die Entwicklung und Strömungen der AfD beeinflussten. Den ersten großen Streit gab es laut Kemper, als Russland die Krim annektierte. „Die Frage, ob Russland dafür sanktioniert werden sollte oder nicht, spaltete schon damals die Partei. Eine große Mehrheit stellte sich gegen die Meinung der Parteigründer, die sich für Sanktionen aussprachen. Die Putin-Nähe war von Anfang an groß.“
Eigentlich sei die AfD 2013 als neoliberale und europaskeptische Partei entstanden. Die Ursprünge dafür entstanden schon viele Jahre zuvor, als durch die Weltfinanzkrise 2007 und deren Auswirkungen weltweit rechte Strömungen Aufwind erhielten. „Steuererleichterung für Reiche, der Abbau des Sozialstaats: Schon damals vertrat sie Positionen, die noch neoliberaler sind als die der FDP. Vielen Wählern, Unterstützern und Sympathisanten ist das gar nicht bewusst, dabei ist alles im Parteiprogramm nachzulesen“, so Kemper.
Petry, Meuthen und viele weitere Austritte
Doch mit der Zeit hätte sich der Höcke-Flügel immer mehr durchgesetzt. „Natürlich gab es auch Mitglieder, die versucht haben, sich dagegen zu wehren. Doch an Frauke Petry, Jörg Meuthen und vielen weiteren Austritten wird mehr als deutlich, dass dieser Widerstand gescheitert ist. Ich beobachte die Partei seit elf Jahren und habe das immer wieder erlebt“, verdeutlichte der Publizist und AfD-Kenner.
Den Flügel braucht es nicht mehr, weil die parteiinternen Gegner längst ausgetreten sind.
Auf die Frage eines Zuhörers, ob es den rechtsextremen Flügel noch gibt, antwortete Kemper: „Offiziell nicht mehr, aber wie Höcke selbst sagte, hat sich der Flügel historisiert. Die rechtsradikalen Strömungen sind nun fest in der Partei verankert. Den Flügel braucht es also nicht mehr, weil die parteiinternen Gegner längst ausgetreten sind.“
Zurück ins Mittelalter
Wie komplex die Verflechtungen zu Adelsfamilien und zum christlichem Fundamentalismus innerhalb der AfD sind, machte Kemper am Beispiel von Beatrix von Storch deutlich. Väterlicherseits entstammt sie dem Haus Oldenburg, einem der bedeutendsten Geschlechter des amtierenden europäischen Hochadels. Ihre Verbindungen zum katholisch-aristokratischen TFP-Netzwerk würden sich auch darin äußern, dass sie gegen mehr Rechte für Frauen sei. „Adelige haben im Nationalsozialismus eine große Rolle gespielt und vieles erst vorangetrieben. Noch heute gibt es ein großes Netzwerk unter den Adeligen, die den Anti-Feminismus unterstützen und umsetzen wollen“, erzählte der Referent.
In dieser rückwärtsgewandten Welt sollen die Uhren zurückgedreht werden: lange vor die Französische Revolution, zurück zu hierarchischen Strukturen des Mittelalters. „Wie passt da Alice Weidel in die AfD?“, wollte eine Zuhörerin wissen. Auch für Kemper schwer zu beantworten, wie er zugab. „Sie ist lesbisch, hat einen Doktorgrad, spricht Mandarin, hat Kinder adoptiert: Sie muss sicherlich komische Gefühle haben, wenn ihr Parteikollege Krah den Frauen im Allgemeinen die Intelligenz abspricht“, bemerkte der Referent.
Die Rolle der Sozialen Medien
Bei einem anderen Thema war sich Kemper dagegen recht sicher, und zwar, warum die AfD vor allem jüngere Menschen erfolgreich anspricht. „Eigentlich ist die AfD als Facebook-Partei groß geworden: Ihre erste Erklärung zur Parteigründung hat sie nämlich dort veröffentlicht. Im Gegensatz zu den Altparteien ist sie bis heute im Umgang mit den sozialen Medien immer einen Schritt voraus und fortschrittlicher. Das sieht man auch an TikTok, wo kurze und emotionale Botschaften wichtig sind. Das muss einem nicht gefallen, aber ob man dieses Feld der AfD überlassen möchte und darauf verzichtet, halte ich für fragwürdig.“
Mit Blick auf die anstehende Europawahl und die Wahlen in mehreren Bundesländern merkte Kemper an, dass sich die Proteste im Januar wegen der Remigrationspläne durchaus auf die Wahlumfragen ausgewirkt hätten. Ob sie die direkte und alleinige Ursache für den Stimmenverlust sind, sei jedoch unklar. „Die momentan Spionage- und Bestechungsvorwürfe wirken sich jedenfalls nicht so krass aus wie anfangs vermutet. Und jedem muss klar: Der Trend kann auch wieder in eine andere Richtung gehen, das Stimmungsbild kann sich jederzeit wieder ändern.“
