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Auf Einladung des Vereins Berchtesgaden gegen Rechts

„Unter Nazis“-Autor Jakob Springfeld: „Größte Gefahr für Demokratie kommt eindeutig von Rechtsaußen“

Der Buchautor Jakob Springfeld befasst sich viel mit dem Thema Rechtsextremismus.
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Jakob Springfeld trug auch einzelne Passagen aus seinem Buch „Unter Nazis“ vor.

„Ich habe mich gefragt, ob ich überhaupt noch Vorlesungen durchführen soll, weil immer wieder etwas passiert“: Zum Glück hat sich der Autor von „Unter Nazis“ gegen diesen Gedanken entschieden. Seine Zeit in Berchtesgaden bereicherte das Publikum am Donnerstagabend, doch manche seiner Erlebnisse aus Zwickau sorgten auch für Sprachlosigkeit.

Berchtesgaden - Springfeld selbst gibt zu, dass manche Beispiele besonders drastisch wirken, „doch vielleicht gibt es auch Fälle, die noch schlimmer sind, aber nie gemeldet werden“. Dabei reichen seine eigenen Erfahrungen, aber auch die von anderen Betroffenen oder die Passagen aus seinem Buch, dass es einem bei der vom Verein Berchtesgaden gegen Rechts organisierten Vorlesung manchmal die Sprache verschlägt.

Springfeld während seiner Vorlesung im Kuckucksnest.

Etwa, wenn der junge Mann von seinen Anfängen in einer Fridays-for-Future-Ortsgruppe in Zwickau berichtet, als er und seine Freunde schnell auch die Schattenseiten des ehrenamtlichen Engagements im Osten kennenlernen. Als sie bedroht werden und Springfeld aus einem fahrenden Auto heraus fotografiert wird. Laut Springfeld steckte der Rechtsextreme Torsten Graslaub dahinter, der aus dem näheren NSU-Umfeld stammte. „Mein Foto ist daraufhin in rechten Kreisen im Internet gelandet. Ich wurde diffamiert und beleidigt, mir wurde Gewalt angedroht“, erzählt er in einem so ruhigen Ton, dass es einen immer wieder erstaunt. Schon im Vorfeld seines Auftritts gab er ein Interview über sein Buch, Probleme mit Nazis und warum sich aus seiner Sicht in der Politik einiges ändern muss.

Feindbilder der neuen Rechten haben sich geweitet

Für ihn ist klar: Die Feindbilder der neuen Rechten haben sich geweitet. Fridays for Future, die Corona-Maßnahmen, Bürgergeldempfänger: Diese Personen würden schnell neue Ziele finden. Apropos NSU: Als das Thema aktuell und in Zwickau ein Gedenkbaum zur Erinnerung an das erste Opfer abgesägt wurde, wollte er als Schülersprecher eine Gedenkminute an seiner Schule organisieren. „Viele Eltern hatten berechtigterweise Angst davor, dass ihre Kinder Probleme mit Nazis bekommen, wenn sie daran teilnehmen. Auch der Schulleiter war sich nicht sicher, ob sich die Schule so positionieren sollte“, berichtet Springfeld.

Als das Lokalfernsehen über die Gedenkveranstaltung berichtete, lenkte der Schulleiter laut dem Autor doch noch ein und präsentierte sich vor den Kameras „als derjenige, der alles von Anfang an unterstützt habe“. Einerseits schön, dass die Gedenkminute doch stattfand, anderseits aus Springfelds Sicht aus den falschen Beweggründen.

Wenn alle den Namen Beate Zschäpe kennen, aber kaum die Namen der Opfer

Grundsätzlich finde er es schade, dass die meisten im Zusammenhang mit dem NSU den Namen von Beate Zschäpe kennen, aber nicht die Namen der Opfer. In Dortmund lernte er bei einer Vorlesung Angehörige eines anderen Opfers kennen, die sich schon lange vor dem Aufdecken des NSU auf die Straße begeben hätten, um zu protestieren. „Wir dürfen uns nicht blind auf Parteiorganisationen verlassen, sondern müssen selbst immer wachsam bleiben. Die Demokratie ist nicht immer so wehrhaft, wie alle behaupten“, lautet seine Meinung.

Manchmal falle es ihm nicht leicht, als Aktivist andere Menschen zu überzeugen, gegen Rechts einzuschreiten. „Es gibt viel starkes ziviles Engagement in Zwickau, aber das ist nur die halbe Wahrheit.“ Zum Verdeutlichen erzählt er von einem Vater, der sich gerne engagieren wolle, aber Angst um seine Kinder habe, weil im Nachbarhaus nebenan ein Nazi wohne, der im Garten die Reichskriegsflagge aufhänge und dort manchmal auch mit der Armbrust herum schieße. Springfeld: „In manchen Städten fällt es eben schwerer, Stellung zu beziehen.“

Von Nazis durch Stadt verfolgt und in der Tankstelle vor ihnen versteckt

Er überlege sich immer wieder, nicht mehr nach Zwickau zurückzukehren und in Halle zu bleiben, wo er in einer WG lebt. Etwa, wenn er von Freunden mitbekommt, die von Nazis durch die Stadt verfolgt werden und sich in einer Tankstelle verstecken. „Oder wenn ich drei Tage wieder in meiner Heimat bin und mitbekomme, wie ein Nazi-Aufmarsch vor einer Flüchtlingsunterkunft stattfindet.“

Wenn er nachts stundenlang Tweets absetzt, gegen „Gewalt, Angst und den ganzen Scheiß“, verbunden mit der Hoffnung, mit seinen Botschaften anderen Mut zu machen und nicht aufzuhören. Das ist, was ihn antreibt und immer wieder motiviert. „Diese Tweets sind für mich, für die Nazis, für alle Gleichgesinnten. Jede Bedrohung ist auch eine offene Wunde, aus der Solidarität sprudeln kann. Wir Demokraten und Antifaschisten lassen uns nicht unterbringen“, betont er und schildert noch viele weitere eindringliche Beispiele aus Zwickau oder von anderen Vorlesungen, bei denen auch das Publikum zu Wort kommt und eigene Erfahrungen schildert.

Alltagsrassismus auch im Talkessel?

So auch an diesem Abend, als beispielsweise eine junge Frau von Alltagsrassismus spricht, der auch hier im Talkessel und gerade unter den älteren Generationen herrsche. „Bei manchen Leuten hier in Berchtesgaden gibt es ein noch sehr veraltetes Gedankenbild. Dagegen anzukämpfen und etwas zu verändern, ist sehr schwer“, meint sie.

Für Springfeld ist klar: „Natürlich sind gewaltbereite Nazis schlimm, aber mindestens genauso schlimm ist dieser niedrigschwellige Rassismus im Alltag.“ Kürzlich wurde er bei einer Vorlesung in München gefragt, inwiefern man aus dem Süden heraus in Sachsen etwas bewirken könne. „Im Osten wird auch vieles relativiert und dann heißt es: Das sind nicht alles Nazis. Das stimmt, aber trotzdem gibt es ein Ost-West-Gefälle. Und im Westen wird gerne auf den Osten gezeigt und dabei wird vergessen, vor der eigenen Haustüre zu kehren“, erklärt der Autor und Aktivist.

Nicht nur Ost-West-, sondern auch Stadt-Land-Gefälle

Auch hier müsse darauf geachtet werden, ob genügend getan werde. „Es reicht nicht aus, wenn nur in den Großstädten Initiativen gegen Rechtsextremismus entstehen, denn oft gibt es auch ein Stadt-Land-Gefälle“, erläutert er und wirbt für mehr Engagement im ländlichen Raum. Wenn es diejenigen, die Bedrohungen und Schlimmeres erlebt haben, packen, sich zu positionieren, „dann sollten wir alle es auch wenigstens versuchen“.

Bevor ich einen AfDler davon überzeuge, nicht mehr diese Partei zu wählen, bringe ich in der gleichen Zeit fünf Personen dazu, überhaupt wählen zu gehen.

Jakob Springfeld

Für Springfeld ist auch klar: „Bevor ich einen AfDler davon überzeuge, nicht mehr diese Partei zu wählen, bringe ich in der gleichen Zeit fünf Personen dazu, überhaupt wählen zu gehen.“ Wenn ihm entgegnet wird, dass auch vom Linksextremismus Gefahr ausgehe, gibt er zu bedenken: „Das stimmt, das brauchen wir nicht kleinreden, aber die größte Gefahr für die Demokratie kommt eindeutig von Rechtsaußen.“

Trotz der vielen negativen Erfahrungen, die er gesammelt hat, will und kann er nicht aufhören. „Wir dürfen den Kampf gegen Rechts nicht nur mit bunten Wörtern zu schmücken. Es braucht die komplette Breite der Gesellschaft.“ Man dürfe nicht nur hinhören, wenn etwas passiert, sondern müsse stets präsent sein und weitermachen. Und was ist mit Zwickau, zu dem er sich hin- und hergerissen fühlt? Dazu beschließt er den Abend mit einer Passage von der letzten Seite seines Buches: „Liebe und Hass für Zwickau. Zwickau ist meine Hölle, Zwickau ist meine Heimat. Hier lebe ich unter Nazis, aber auch unter Freunden.“

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