„Da steigt mein Puls“
Datenschutz, Hygiene und weitere „Bürokratiemonster“: BGL-Firmenchefs beklagen „Entmündigung“
Der berühmte „Passierschein A38“ aus Asterix & Obelix verdeutlicht manchmal die bürokratischen Auswüchse in Deutschland am allerbesten. Auch die Firmenchefs aus dem Berchtesgadener Land hoffen dringend auf einen Abbau von Vorschriften und Dokumentationspflichten. Wie bei einer IHK-Sitzung deutlich wird, fällt es ihnen jedenfalls nicht schwer, „Bürokratiehighlights“ aus dem „alltäglichen Wahnsinn“ zu nennen - inklusive dauerhaftem Kopfschütteln, Stirnrunzeln und fragenden Blicken.
Berchtesgadener Land - Neue Regierung, altbekanntes Motto: Mit einem Sofortprogramm will Berlin die schwächelnde Wirtschaft in Deutschland wieder auf Vordermann bringen, in dem unter anderem der Bürokratieabbau vorangetrieben wird. Ein Plan, der schon seit vielen Jahren immer wieder umgesetzt werden soll. Doch im Rahmen einer Sitzung des IHK-Regionalausschusses BGL stellt sich heraus: Die heimischen Firmenchefs stellen teilweise eher das Gegenteil fest. „Es ist nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit, mit was für einem Mist wir Unternehmen uns befassen müssen, der Zeit und Wettbewerbsfähigkeit kostet“, betont die Vorsitzende Irene Wagner.
Im Sofortprogramm seien viele gute Ansätze. „Aber wenn ich sehe, dass die Staatsregierung stolz darauf ist, ein bisschen Bürokratie im Bau und der Gastronomie abgebaut zu haben, da muss ich sagen: Thema verfehlt“, so Wagner. Es brauche eine komplette Änderung des „Mindsets“. „Wir erleben eine Entmündigung und unterstellen Firmen, dass sie Mitarbeiter ausbeuten wollen und alle schmutzig sind. Und weil wir so böse sind, müssen wir alles dokumentieren und nachweisen. Wir müssen zurück zum gesunden Menschenverstand.“
An Beispielen mangelt es nicht
In weißer Voraussicht begrenzte Wagner die Redezeit aus drei Minuten, „sonst sitzen wir noch um Mitternacht hier, wenn jeder ausführlich über denn alltäglichen Wahnsinn berichtet“. Und es ging schon direkt eindrucksvoll los, als Stefan Zapletal beispielhaft die Tücken der Datenschutzgrundverordnung beschrieb. „Die Feriengäste wohnen bei uns, aber wir dürfen nichts von ihnen notieren. Das fängt bei Kleinigkeiten an, etwa wenn jemand einen größeren Bademantel benötigt“, meinte der Inhaber des „Alpenhof“-Hotels in Schönau am Königssee.
Besonders eindrucksvoll verdeutlichte er das Problem damit, dass es immer mehr Gäste mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie etwa Laktoseintoleranz gebe. „Ich darf mir das dank der Datenschutzgrundverordnung aber nicht notieren, weil das ein medizinisches Merkmal ist“, so Zapletal. Von offizieller Stelle habe er nur die Rückmeldung erhalten, dass er diese Informationen jedes Mal dem Koch mitteilen müsse. „Ich darf das nicht zu Papier bringen und für mich ist das ein No-Go. Wir können das natürlich nicht erfüllen, also fragen wir unsere Gäste und lassen es uns schriftlich bestätigen, dass wir uns das für den Aufenthalt notieren dürfen.“
Wenn sich einzelne Mitarbeiter nur noch um die Bürokratie kümmern
Christian Abel, Inhaber der Wäscherei in Anger, schilderte: „Zweieinhalb Personalstellen kümmern sich bei uns nur um die Einhaltung gesetzlicher Regularien.“ Er wünschte sich wie andere Mitglieder auch ein selbständigeres Entscheiden in den Behörden, etwa im Landratsamt. „Man blockiert sich gegenseitig“, meinte er.
Irene Wagner (PSM Protech, Marktschellenberg) nannte auch ein eindrucksvolles Beispiel für die überbordende Bürokratie: Ihre Mitarbeiter mussten beim Landratsamt eine Hygieneschulung absolvieren. Der Grund: „Wenn wir Besprechungen mit Kunden haben, die den ganzen Tag andauern, organisieren wir über Lokale etwas zu essen. Da reden wir von fertigen Bowls oder Brötchen, aber damit bringen wir offiziell verderbliche Ware in Umlauf.“ Das sei eine Kleinigkeit gewesen, die wenig kostete und die Schulung selbst war auch schnell erledigt. „Trotzdem finde ich das unglaublich.“
Als zweites Beispiel erwähnte die PSM-Geschäftsführerin, dass es für ihren 150 Mitarbeiter großen Betrieb allein für den Bereich Umwelt 92 Gesetze und Verordnungen von der EU, dem Bund, Land und Landkreis gebe. Anstatt, dass sich ihr Umweltbeauftragter etwa damit befasse, wie das Unternehmen nachhaltiger arbeiten könnte, müsse er einmal im Jahr überprüfen, dass diese 92 Gesetze eingehalten werden. „Und natürlich wird dokumentiert, dass wir das überprüft haben“, ärgert sich Wagner, „damit sichergestellt wird, dass wir rechtskonform arbeiten.“
Landrat warnt vor weiteren Folgen
Josef Stöckl, Leiter der Reichenhaller Agentur für Arbeit, erklärte, wie die bürokratischen Hürden die schnelle Einbindung ausländischer Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt behinderten. Und Klaus Satra erwähnte, dass es sieben Jahre dauerte, bis er eine Nutzungsänderung eines Bürogebäudes in Bad Reichenhall genehmigt bekam.
Viele Unternehmen wünschten sich auch mehr Beständigkeit und mehr Vorlaufzeit vor Inkrafttreten der Gesetze. Zudem wurde mehrfach beklagt, dass bei Bauvorhaben meistens nur die Bedenken und Schwierigkeiten, aber weniger die positiven Effekte besprochen würden, etwa in den kommunalen politischen Gremien. Vielfach wurde auch der Wunsch nach einer besseren Digitalisierung geäußert, etwa wegen der jahrelangen Aufbewahrungspflichten von Unterlagen. Die Formulierung „Da steigt mein Puls“ wurde jedenfalls so oder so ähnlich auffällig häufig verwendet. Und auch das Thema Grenzkontrollen in Freilassing ließ manche Gemüter hochkochen.
Die gehen oft bis an die Grenze des Möglichen.
Den Eindruck mancher Unternehmer, die Bürokratie habe in den vergangenen Jahren mehr zugenommen als abgenommen, bestätige auch Landrat Bernhard Kern. „Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück“, bezeichnete er die Entwicklung. „Wenn wir es jetzt nicht mit der neuen Bundesregierung schaffen, uns von der EU nicht mehr so reglementieren zu lassen, lähmen wir uns nur noch weiter.“ Seine Mitarbeiter verteidigte er gegen den Vorwurf, sie würden nicht genügend die vorhandenen Handlungsspielräume ausnutzen. „Die gehen oft bis an die Grenze des Möglichen“, machte er klar und verwies darauf, dass durch das Verbandsklagerecht auch viele Prozesse behindert würden.
Schweden als Positivbeispiel
Dass es auch anders gehen, selbst unter Einhaltung der EU-Vorgaben, machte Elke Christian von der IHK Bayern am Beispiel Schweden deutlich. Das Land sei für seine geringe Bürokratie bekannt. „Deutschland würde 146 Millionen Euro pro Jahr sparen, wenn es genauso laufen würde wie dort“, teilte sie mit. Allein die Digitalisierung sei deutlich weiter fortgeschritten: Circa 80 Prozent der Beschäftigten würden die gleiche App für Gehaltsabrechnungen, Steuererklärungen und vieles mehr nutzen. „Start-ups können in Schweden digital innerhalb von 24 Stunden ihr Unternehmen gründen“, erklärte sie.
Die Behörden hätten eine größere Serviceorientierung und zwischen Staat, Bürgern und Unternehmen herrsche ein hohes Maß an Vertrauen und Transparenz. „Natürlich ist Schweden ein kleineres Land und es gibt dort auch keinen Föderalismus“, so Christian. Zudem wären die Bürger dort nahezu gläsern, führte sie aus. „Da können selbst die Nachbarn einsehen, was man verdient.“ Dennoch sei beim Besuch einer Delegation in Schweden der Wunsch geäußert worden, eine Modellregion zu initiieren und dort nach schwedischem Vorbild zu agieren.
Generell bräuchte es für Veränderungen in Deutschland „ein anderes Mindset und eine andere Herangehensweise an das Thema Bürokratie“, betonte Christian. Daher lobte sie den Plan der Bundesregierung, beispielsweise Gesetze auf das vorgeschriebene EU-Mindestmaß zurückzuführen. „Es braucht nicht immer den Gold-Standard“, lautete ihr Standpunkt. (ms)