„Gefahr für den Wohlstand“
Zunehmende Beschäftigung bei abnehmender Wirtschaft – ein gefährliches Ungleichgewicht
Die deutsche Wirtschaft nimmt ab, während die Beschäftigungsrate zunimmt. Warum dieser Kontrast problematisch sein könnte und eine wirtschaftliche Umkehr noch aussteht.
Wiesbaden – Die deutsche Wirtschaft schrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im vergangenen Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 0,1 Prozent gesunken. Besorgte Stimmen warnen bereits vor einer drohenden Rezession. Gleichzeitig zeigt sich jedoch ein anderes Bild bei der Erwerbstätigenquote: Diese stieg im Vergleich zum letzten Quartal des Vorjahres um 0,4 Prozent. Obwohl dieser Widerspruch auf den ersten Blick unlogisch erscheinen mag, könnten die Folgen für die deutsche Wirtschaft erheblich sein. Eine wirtschaftliche Wende bleibt weiterhin nicht in Sicht.
Produktion nimmt ab, Auftragseingänge sinken – Wie das mit der Erwerbstätigkeit zusammenhängt
Rund 46,1 Millionen Menschen waren in Deutschland im zweiten Quartal dieses Jahres erwerbstätig, wie das Statistische Bundesamt Ende August vermeldete. Laut Bericht waren das 167.000 Personen mehr als ein Jahr zuvor – das sind 0,4 Prozent. Zum Vorquartal stieg die Erwerbstätigkeit, um 0,5 Prozent an, dies hängt jedoch mit den vermehrt saisonalen Berufe zu dieser Jahreszeit zusammen. Aber auch die Anzahl an Erwerbstätigen ist im Vergleich zum Vorkrisenquartal Ende 2019 um 784.000 gestiegen.
Das Handelsblatt erklärt diese Entwicklung mit der erhöhten Teilzeitquote von 39,1 Prozent. Für eine Vollzeitstelle würden somit vermehrt zwei Personen in Teilzeit angestellt werden. Beobachtet werden kann das zum Beispiel im öffentlichen Dienst, hier wurde in jüngster Vergangenheit der Beschäftigungsaufbau vermehrt vorangetrieben. Der Bereich „öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“ verzeichnete Ende 2019 einen Zuwachs von 819.000 Personen (saisonbereinigt). Im gewerblichen Sektor wurden auf der anderen Seite rund 289.000 Stellen abgebaut. Zusammengefasst erklärt es das Handelsblatt wie folgt: Ein Industriearbeitsplatz wurde abgebaut und in der Statistik durch zwei Teilzeitkräfte im öffentlichen Dienst kompensiert.
Die Produktion in Deutschland nimmt weiter ab, und auch die Zahl der Auftragseingänge sinkt. Aufgrund steigender Energiekosten und des Fachkräftemangels investieren Unternehmen vermehrt im Ausland. Infolgedessen ergreifen viele große Unternehmen Sparmaßnahmen: So wird bei der Volkswagen AG über die Schließung von Werken sowie den Abbau weiterer Stellen diskutiert. Der Autozulieferer ZF Friedrichshafen plant, bis zu 14.000 Arbeitsplätze zu streichen.
„Gefahr für den Wohlstand“ in Deutschland – Sinkende Arbeitsproduktivität
Das Wirtschaftsmagazin Business Insider spricht von einer „Gefahr für den Wohlstand jenseits aller Konjunkturzyklen“. Wenn die deutsche Wirtschaft schrumpft und die Erwerbstätigkeit steigt, sei das vor allem ein Indikator für sinkende Produktivität. Das bestätigen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamts: Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität, also das BIP pro Arbeitsstunde, nahm zum Vorjahr um 0,4 Prozent ab.
Aber gerade in einem „alternden und rohstoffarmen Land“ wie Deutschland muss die Produktivität deutlich steigen, um den Wohlstand zu sichern, schreibt Business Insider. Der Rückgang der Produktivität wird durch den Mangel an Arbeits- und Fachkräften erklärt, der Unternehmen zwingt, Personal trotz Schwierigkeiten länger zu halten. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage, und es wird weniger produziert, während Löhne und Gehälter steigen. Das führt zu steigenden Preisen für Produkte und Dienstleistungen; die Lohnstückkosten sind in Deutschland bereits seit einigen Quartalen um fünf bis sechs Prozent gestiegen.
Heben Unternehmen die Preise dann nicht an, verschlechtert sich ihr Ergebnis, worauf oft mit Stellenabbau reagiert wird. Wettbewerbsfähig bleiben unter dem Strich dann vor allem jene Firmen, die zu besseren Bedingungen im Ausland produzieren.
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