Kritik an Ampel-Politik
„Täuschung“ bei „Totalverweigerern“: Verpuffen die Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger?
Die Ampelkoalition hat die Sanktionen für Bezieher von Bürgergeld verschärft. Insbesondere „Totalverweigerer“ sind im Visier. Kritiker stellen die Wirksamkeit in Frage.
Berlin – Die Ampel-Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, Bürgergeld-Empfänger schneller wieder in Arbeit zu bringen. Wer arbeiten kann, sich aber weigert, muss seit dem 28. März mit verschärften Sanktionen rechnen. Für bis zu zwei Monate kann in einem solchen Fall das gesamte Bürgergeld gestrichen werden – mit Ausnahme der Zahlungen für Wohnung und Heizung. An der Effektivität der Maßnahme gibt es jedoch Zweifel.
„Viele Sanktionen beim Bürgergeld laufen leer, weil die Hürden für deren Feststellung einfach zu hoch sind“, sagte etwa Mathias Middelberg, stellvertretender Fraktionschef der Union im Bundestag, gegenüber der Bild. „Wenn Hubertus Heil erklärt, dass es kaum ‚Totalverweigerer‘ gebe, ist das eine schlichte Täuschung.“
Bisher keine Bürgergeld-Streichung für Totalverweigerer?
Bis Juli sei kein Fall bekannt gewesen, bei dem ein „Totalverweigerer“ ohne Bürgergeld auskommen musste, berichtet die Bild. Es gebe ein „Schlupfloch“, das sich im Paragrafen zum Beginn und zur Dauer einer Minderung im Sozialgesetzbuch befinde. Im entsprechenden Absatz heißt es, dass die Streichung aufgehoben wird, wenn die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme nicht mehr besteht. Laut Bild kritisieren Sozialrechtler, dass die Regelung für Wirrwarr sorge. Der Paragraf sei teilweise unklar, da Begriffe nicht klar definiert seien.
Aber wie viele Bürgergeld-Empfänger verweigern nun die Arbeit und werden deshalb mit Sanktionen belegt? Die neusten Daten stammen aus dem Februar, also bevor es die Möglichkeit einer kompletten Streichung des Bürgergelds gab. In dem Monat sind wegen der verweigerten Aufnahme einer Ausbildung, einer Arbeit oder der Teilnahme an einer Maßnahme knapp 2000 Leistungsminderungen ausgesprochen worden. Das teilte die Bundesagentur für Arbeit auf IPPEN.MEDIA-Anfrage mit.
Nur wenige erwerbsfähige Bürgergeld-Bezieher verweigern tatsächlich die Arbeit
Grundsätzlich ist der Anteil der Bürgergeld-Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer gering. Im November 2023 waren es etwa 1605 Minderungen, wie die Bundesagentur für Arbeit bereits im April gegenüber IPPEN.MEDIA erklärte. In den ersten elf Monaten 2023 sind es nach Angaben der Bundesagentur knapp 14.000 Fälle gewesen, was sieben Prozent aller Sanktionen entspricht. Gemessen an 1,6 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeld-Beziehern entspricht der Anteil lediglich 0,86 Prozent.
Bereits im April gab es eine Diskussion darüber, ob Bürgergeld-Streichungen aufgrund von Hürden umsetzbar sind. Dabei hatte ebenfalls die Bild eine interne Weisung der Bundesagentur für Arbeit aufgegriffen, die Bedingungen für die Totalsanktionen enthielt, die sich jedoch auch im Sozialgesetzbuch zu den Folgen von Pflichtverletzungen wiederfinden. Sozialaktivistin Helena Steinhaus hatte die Debatte über Totalsanktionen im April gegenüber IPPEN.MEDIA als „Scheindebatte über ein Randphänomen“ bezeichnet, die „auf dem Rücken der Schwächsten laufe“.
CDU-Fraktionsvize fordert frühere Sanktionen gegen Bürgergeld-Bezieher
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg forderte nun gegenüber der Bild dennoch einen härteren Umgang. „Sanktionen beim Bürgergeld müssen früh und ohne zu hohe Hürden greifen. Wer ohne nachvollziehbare Entschuldigung Termine beim Jobcenter oder Vorstellungstermine bei Betrieben versäumt, muss unmittelbar Konsequenzen spüren.“ Mit der von der CDU vorgeschlagenen „neuen Grundsicherung“ wäre eine komplette Streichung für Totalverweigerer verbunden.
Allgemein nimmt der Druck auf die Bundesregierung beim Thema Bürgergeld zu – besonders die SPD mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Ifo-Präsident Clemens Fuest kritisierte die SPD, dass sie nicht die Wahrheit sage. Konkret geht es dabei um die Frage, ob sich Arbeit mehr lohne als das Bürgergeld. Hauptproblem sei die Kombination von Sozialleistungen, wodurch der Abstand von einer Lohnarbeit zum Bürgergeld-Bezug nur sehr gering sei.
Innerhalb der Ampel: FDP-Politiker fordert Bürgergeld-Update ohne „Denkverbote“
Innerhalb der Ampel-Koalition will FDP-Sozialpolitiker Jens Treutrine an dieser Stelle ansetzen. „Wer mehr arbeitet, muss auch spürbar mehr netto in der Tasche haben“, erklärte der Sprecher für Bürgergeld der liberalen Bundestagsfraktion Mitte Juni gegenüber IPPEN.MEDIA. „Es darf bei einem Fairness-Update beim Bürgergeld keine Denkverbote geben – von der Frage der Zumutbarkeit angebotener Arbeit über strengere Sanktionen, mehr Qualifikationen während einer Arbeitstätigkeit statt während der Arbeitslosigkeit, einen fairen Lohnabstand bis hin zu gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten wie den Ein-Euro-Jobs liegen unsere Vorschläge auf dem Tisch.“
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