Ökonom spricht Klartext
Bürgergeld und Schwarzarbeit: „Eigentlich müssten im Arbeitsministerium alle Alarmglocken läuten“
Führt die Erhöhung des Bürgergelds zu weniger Arbeitsanreiz? Oder arbeiten dadurch mehr Menschen schwarz? Ein Experte gibt Einblicke darüber - und äußert klare Kritik an die Regierung.
Berlin - Das Bürgergeld ist für die Ampel-Koalition zu einem Problem geworden. Spätestens mit der Erhöhung des Regelsatzes zu Jahresbeginn hat eine deutschlandweite Debatte begonnen, ob sich dadurch Arbeit noch lohnt. Ob insbesondere Geringverdienende aufhören einer bezahlten Arbeit nachzugehen, weil sie vom Staat genug Geld bekommen könnten, um ihren Lebensunterhalt genauso gut zu bestreiten. Und es häufen sich die Fragen, ob Schwarzarbeit durch die Bürgergelderhöhung zunimmt. Stecken sich die Menschen das Bürgergeld in die Tasche - und peppen das mit ein bisschen Schwarzarbeit auf?
Diesen Fragen ist der Ökonom und Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider nun nachgegangen. In einem Vortrag für den Wirtschaftsbeirat Bayern e.V. stellte der Experte für Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung seine Ergebnisse vor - und sorgte für ein paar Überraschungen.
Bürgergeld sorgt für weniger Schwarzarbeit - und weniger offizielle Arbeit
„Die Bürgergelderhöhung sorgt für weniger Schwarzarbeit. Sie sorgt aber auch für weniger Arbeit in der offiziellen Wirtschaft“, sagte Schneider. „Um es provokant zu sagen: Das Bürgergeld war, zumindest in seiner aktuellen Form, ein Fehler“. Denn das Geld, was der Staat zusammen mit Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag und dem Bürgergeld an Erwerbslose und Geringverdiener auszahle, führe unweigerlich dazu, dass sich Arbeit nicht mehr lohne – auch die Schwarzarbeit nicht. „Eigentlich müssten im Arbeitsministerium auch alle Alarmglocken läuten“.
Die Lösung des Problems liege dem Experten zufolge aber nicht unbedingt darin, das Bürgergeld wieder zu kürzen oder insgesamt weniger Sozialhilfe zu zahlen. Das haben auch schon andere Ökonomen festgestellt, unter anderem Forschende des ifo-Instituts und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Vielmehr müssten die Transferleistungen besser abgestimmt werden, stellte zu Jahresbeginn eine Studie der beiden Institute fest.
Wie der Ökonom Schneider in seinem einstündigen Vortrag in München aber erläuterte, ist das zu kurz gedacht. „Wir müssen eine Grundsatzdebatte anstoßen, über den Wert von Arbeit“, findet er. Dazu müsse man erstmal auch verstehen, warum Menschen arbeiten gehen - sowohl offiziell als auch inoffiziell.
Deutsche zahlen besonders viele Steuern und Abgaben
Man geht arbeiten, um Geld zu verdienen, um sich dann Dinge leisten zu können – das ist allen klar. Wer in Deutschland einer regulären Arbeit nachgeht, muss aber auch Steuern und Abgaben leisten. Im Gegenzug erhält er oder sie aber auch etwas: Eine Krankenversicherung, eine Rente, der Staat baut Straßen, Schulen, Brücken und ein ÖPNV-Netz, sichert die Energieversorgung. Das ist der Deal, den alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit dem Staat eingehen.
Allerdings sind diese Steuern und Abgaben hier bei uns sehr hoch – laut OECD liegen wir im internationalen Vergleich auf Platz zwei der Länder mit der höchsten Steuerlast. Und aufgrund der aktuellen Herausforderungen werden sie auch nicht so schnell sinken, sondern eher steigen. Überall muss nämlich gerade investiert werden: Schiene, Straße, Bildung, Rentenkasse, Gesundheit, ökologische und energetische Transformation – kurz: die Hütte brennt. Doch wenn der Staat mit all diesen Investitionen nicht hinterherkommt – so wie es in Deutschland schon seit Jahren der Fall ist – und dann auch noch politisch unbeliebte oder kontroverse Entscheidungen getroffen werden, wie das Geld verwendet werden soll, dann kippt die Stimmung. Und dann fangen einige an, sich zu fragen: Warum sollte ich diesem Staat eigentlich Steuern zahlen? Verschärft wird das ganze dann dadurch, wenn es eine Alternative gibt, in Form von Sozialleistungen.
„Das ist ein Wertewandel, eine Verschiebung der Steuermoral“, erklärt der Ökonom Fritz Schneider. „Schwarzarbeit ist die Steuer-Rebellion des kleinen Mannes“. Man könnte also sagen: Wenn die Schwarzarbeitsquote in einem Land besonders hoch ist, dann ist das Vertrauen in den Staat niedrig.
In Deutschland befinden wir uns im unteren Drittel im Europa-Vergleich: 2024 wird prognostiziert, dass die Schattenwirtschaft 11,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Zum Vergleich: 2022 betrug der Umfang der Schwarzarbeit in Russland rund 40 Prozent des BIP, in Griechenland pendelt es sich bei knapp unter 22 Prozent ein. Ein deutlicher Unterschied also. Trotzdem konstatieren Experten, dass die Schwarzarbeit in Deutschland steigt, ungefähr seit 2020 ist das so. Zwischen 2014 und 2019 war sie hingegen kontinuierlich gesunken.
„Ein bisschen Schwarzarbeit ist auch nicht schlecht“: Arbeitsanreiz sinkt in Deutschland überall
„Ein bisschen Schwarzarbeit ist vielleicht auch nicht schlecht“, provoziert Professor Schneider in seinem Vortrag. „Man sagt ja auch nicht umsonst, dass jedes zweite Eigenheim ohne Schwarzarbeit nicht gebaut werden würde“. Oft sei es für die Menschen schlicht praktischer, beispielsweise die Babysitterin oder die Putzkraft in Bar zu bezahlen, oder den Nachbar zu fragen, ob er mit seinen Kumpels am Wochenende das Bad fließen könnte. „Das weiß die Politik auch und will das auch gar nicht ganz unterbinden, auch wenn sie das niemals sagen würde. Denn ein bisschen Schwarzarbeit sorgt für mehr Wohlstand“. Problematisch werde es nur, wenn es zu sehr ansteigt und dem Staat dadurch viel Geld verloren geht. Wo wir wieder beim Sozialstaat wären und einem sinkenden Anreiz, Leistung zu erbringen.
Durch höheres Bürgergeld sinkt der Arbeitsanreiz demnach, das ist das Fazit von Schneiders Vortrag. Das Problem wurde aber nicht dadurch in die Welt geholt, sondern nur verschärft. „Die Leute sehen es nicht ein, für so eine kleine Rente so viel weniger netto vom brutto zu haben. Vor allem junge Menschen sehen es nicht ein, ein Leben lang in Vollzeit zu arbeiten, weil sie sich sowieso niemals ein Haus leisten können. Der Staat gibt den Menschen keine Perspektiven – also sinkt auch ihre Leistungsbereitschaft“, so der Professor. Der Deal, den Staat und Arbeitnehmer eingehen, wird also gerade in der Luft zerrissen.