Drohende Misere
Pflegeversicherung vor der Pleite: Das sind die Ursachen der Misere
Die Pflegeversicherung sieht sich mit übermäßigen Kosten konfrontiert, was in Kürze zu einer Erhöhung der Beiträge führen könnte. Was sind die Ursachen für diese Kostenexplosion?
München – Die gesetzliche Pflegeversicherung steckt in der Krise. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hatte über eine finanzielle Schieflage bei dieser berichtet. Diese sei deutlich schlechter als bislang öffentlich bekannt. Ohne ein Eingreifen der Bundesregierung drohe bereits im kommenden Februar eine Zahlungsunfähigkeit, berichteten die RND-Zeitungen. Der Gesundheitsminister widersprach: „Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent, ihr droht auch nicht die Insolvenz“, sagte Karl Lauterbach (SPD) am Montag (7. Oktober 2024) in einem Pressestatement. Er wolle in Kürze eine Reform auf den Weg bringen, man sei „in der Feinabstimmung“.
Lauterbach zur drohenden Pflegeversicherungs-Pleite: „Schwäche bei den Einnahmen und hohe Ausgaben“
Die hohen Ausgaben von 60 Milliarden Euro sollten durch die Beiträge der Versicherten finanziert werden. Aktuell liegen diese bei 4,0 Prozent des Einkommens für Kinderlose und 3,4 Prozent für Eltern. Dass dies aber nicht mehr funktioniert, hat verschiedene Gründe. Einerseits werden die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1950ern und 1960ern alt.
Im Jahr 2023 gab es Lauterbachs Angaben zufolge zusätzlich rund 360.000 Pflegebedürftige, für das laufende Jahr werde mit rund 400.000 zusätzlichen Pflegebedürftigen gerechnet. Außerdem sind alte Menschen öfter alleine oder leben weiter von ihren Kindern weg als früher. Lauterbach gestand: „Wir haben eine Schwäche bei den Einnahmen und hohe Ausgaben.“ Auch er nannte den starken Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen als Grund, neben der schwachen konjunkturellen Lage. Er erwägt eine Deckelung der Pflegekosten.
Pflegeversicherung: Bundesregierung könnte schnell helfen um Beiträge nicht zu erhöhen
Auch die Bundesregierung trägt nach einer Analyse der Wirtschaftswoche eine Mitschuld an der finanziellen Misere. Einerseits könnte der Bund die zusätzlichen 5,3 Milliarden Ausgaben aus der Coronazeit zurückbezahlen, andererseits die Rentenbeträge, die für pflegende Angehörige und deren Altersvorsorge überwiesen werden, was rund vier Milliarden ausmache. Mit diesen beiden Posten „müssten wir nicht schon wieder über Beitragserhöhungen sprechen“, beklagt die Chefin des Spitzenverbandes der gesetzlichen Kassen, Doris Pfeiffer.
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Die hohen Ausgaben der Versicherungen sind auch auf der „Alterung und auch eine neue Definition von Leistungen“ begründet, wie BKK-Verbandsvorständin Anne-Kathrin Klemm bereits im Frühjahr erklärte. Heißt: Umfangreichere Leistungen sind teurer. Zu rechnen sei mit einer Erhöhung der Beiträge laut Pfeiffer um 0,25 Prozent im Januar. Klemm schätzt sogar noch mehr: „Spätestens 2025 wird der allgemeine Beitragssatz um 0,63 Prozentpunkte auf 4,03 Prozent steigen, für Kinderlose sogar auf 4,63 Prozent.“
Wirtschaftswissenschaftler kritisiert geplante Reform der Pflegeversicherung
Der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen bezeichnete die angekündigte Reform der Pflegeversicherung in der Augsburger Allgemeinen als ungerechte Belastung künftiger Generationen. „Die Pflegeversicherung ist von Anfang an ein Schneeballsystem zu Lasten der zukünftigen Beitragszahler gewesen und es geht munter weiter“, sagte er. „Gerechter wäre ein Einfrieren der Beiträge bei Abschmelzen der Leistungen, denn das würde die Generationen gleichmäßiger belasten“, forderte der Ökonom.
Ein weiterer Grund, warum die Pflegeversicherungen mehr Geld ausgeben, sind die gestiegenen Löhne der Pflegekräfte. Es gibt laut Wirtschaftswoche zu wenige von ihnen, und in kaum einem anderen Berufsfeld seien die Löhne so stark gestiegen. So nahm der mittlere Vollzeitlohn für Fachkräfte in der Altenpflege seit 2015 um 53 Prozent auf 3901 Euro zu (im Vergleich: die Löhne anderer Berufe stiegen nur um 23 Prozent).
Viele Ältere sind mit den Kosten für die Pflege überfordert
Auch seien viele Ältere mit den Kosten für die Pflege mittlerweile überfordert. Jeder Dritte im Pflegeheim Betreuter hänge von Sozialhilfe, die Rente reiche nicht für den Eigenanteil. Monatlich sind im Vergleich zu 2023 211 Euro mehr zu entrichten, wie aus dem Überblick der Ersatzkassen hervorgeht.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hat von der Bundesregierung verlässliche Aussagen zur Finanzierung der Leistungen gefordert. Die finanzielle Situation der 840.000 Pflegeheimbewohner sei desaströs, sagte er der Rheinischen Post. Durchschnittlich müssten diese fast 2900 Euro pro Monat stemmen. „Das sind in den letzten drei Jahren Mehrkosten von monatlich 750 Euro“, betonte Brysch.
Ebenso dramatisch sei die Lage der rund eine Million Pflegebedürftigen, die zu Hause mit der Unterstützung von Pflegediensten betreut würden. „Auch hier ist die Kostenexplosion offenkundig. Jedoch lässt die Bundesregierung dazu keine verlässlichen Daten erheben“, kritisierte der Patientenschützer. Gesundheitsminister Lauterbach treffe keine Aussagen darüber, „woher die Milliarden kommen sollen, um die laufenden gesetzlichen Leistungen zu finanzieren“, sagte Brysch. (cgsc mit afp)
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