Versicherungsfremde Aufgaben verschlingen Milliarden
„Prekäre Finanzsituation“: Welche Auswirkungen haben die Probleme in der Pflegeversicherung für Rentner?
Die Pflegeversicherung steht vor einem Geldmangel. Es gibt Debatten über eine „Notoperation“ innerhalb der Ampel-Koalition. Es besteht die Möglichkeit, dass die Sozialabgaben auf ein historisches Hoch steigen.
Update vom 7. Oktober, 12.39 Uhr: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird nach Angaben eines Ministeriumssprechers in Kürze ein Konzept für die in großen finanziellen Schwierigkeiten steckende Pflegeversicherung vorlegen. Der Sprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur, damit solle die Versicherung sowohl kurz- als auch langfristig wieder auf stabilere Füße gestellt werden.
Einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) zufolge wird in der Ampel-Koalition fieberhaft an einer Notoperation gearbeitet. Das RND schreibt unter Berufung auf Koalitionskreise weiter, es drohe eine Zahlungsunfähigkeit. Lauterbachs Sprecher sagte, den Bericht könne er in dieser Form nicht bestätigen.
Dass die Pflegeversicherung sowohl kurzfristig wie auch strukturell Schwierigkeiten habe, habe Lauterbach mehrfach in der jüngsten Vergangenheit betont. „Das hat im Wesentlichen drei Gründe: Mit der jüngsten Pflegereform haben wir die Pflegebedürftigen in Heimen erheblich entlastet, Pflegekräfte bekommen höhere Löhne, und es gibt mehr Pflegebedürftige als angenommen.“
„Notoperation“ in der Pflegeversicherung – Warnung vor Rekord-Sozialabgaben
Erstmeldung vom 7. Oktober, 09.37 Uhr: Berlin – Steht die Pflegeversicherung vor dem Kollaps? Interne Gespräche der Ampel-Koalition sollen darauf hindeuten, dass die Politik derzeit fieberhaft nach Antworten auf die Kostenentwicklung in der Pflege sucht. Das grundlegende Problem ist dasselbe, wie mit der Rente: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, die Zahl derjenigen, die die Pflege bezahlen, sinkt.
Die finanzielle Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung ist „dramatischer als bisher öffentlich bekannt“. Laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) könnte sie bereits im Februar zahlungsunfähig sein, wenn die Regierung nicht vorher eingreife. Innerhalb der Koalition gebe es bereits Gespräche über eine „Notoperation“, die diese Pleite verhindern soll.
Pflegeversicherung vor Pleite? Auch für Rentner könnte es Folgen geben
Je nachdem, wie diese Notoperation am Ende aussieht, besteht die Möglichkeit, dass die Sozialabgaben auf ein Rekordmaß steigen können. Sollte die Pflegeversicherung dagegen zahlungsunfähig werden, das berichtete das RND weiter, stehe zu befürchten, dass Pflegeheime, Pflegedienste und Pflegebedürftige sowie deren Angehörige kein Geld mehr erhalten. Weil die Pflegebedürftigkeit logischerweise im Alter steigt, würde das auch viele Rentner betreffen – laut dem Statistischen Bundesamt sind die meisten Pflegebedürftigen über 90.
Sozialbeiträge in der Pflegeversicherung – Anstieg wie seit 20 Jahren nicht mehr
Es gibt bereits Zahlen dazu, wie ein Anstieg der Sozialabgaben aussehen könnte. Eine Erhöhung des Beitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte, wie es die Krankenkassen derzeit prognostizieren, reiche nicht aus. Stattdessen müsse die Erhöhung zwischen 0,25 Prozent bis 0,3 Prozentpunkten liegen. Die Begründung: Nach der Bundestagswahl im Herbst 2025 müsse mit einer „längeren Phase der Regierungsbildung“ gerechnet werden, die Erhöhung müsste also dafür sorgen, dass das Geld bis zum Frühjahr 2026 ausreiche.
Aktuell besteht in der Pflegeversicherung ein allgemeiner Beitragssatz von 3,4 Prozent, für Kinderlose 4,0 Prozent, Familien mit mehreren Kindern können Abschläge erwarten. Die Beitragserhöhung im Zuge der „Notoperation“ von 0,3 Prozentpunkten würden sich mit der geplanten Erhöhung der Beiträge in der Krankenversicherung addieren, die – so zumindest derzeit die Erwartung – bei 0,7 Prozent liegen soll. Die Sozialbeiträge könnten zum 1. Januar 2025 so stark steigen wie seit über 20 Jahren nicht mehr.
„Politik fährt nur auf Sicht“ – Finanzsituation der Pflegeversicherung wird bedrohlich
Dass die soziale Pflegeversicherung sich in einer Notlage befindet, ist keine Überraschung – schon vor Längerem wies der BKK-Dachverband auf die „kritische“ Finanzlage hin. Die letzten Reformen hätten „keine nachhaltige finanzielle Stabilisierung“ bewirkt, im Gegenteil. Das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz von 2023 habe seine Mittel trotz Anhebung des Beitragssatzes um 0,35 Prozentpunkte (Juli 2023) bereits aufgebraucht. Der Ausgabenanstieg setze sich „ungebremst“ fort, das Defizit wachse.
Ein Resultat: Die Pflegekassen rechnen für 2024 mit einem Defizit von etwa 1,5 Milliarden Euro, 2025 sollen es 3,4 Milliarden Euro sein. Davor warnen jedenfalls die jüngsten Prognosen. Vonseiten der Bundesregierung fehle die Kraft, die „prekäre Finanzsituation“ der Pflegeversicherung zu lösen. „Die Politik fährt hier nur auf Sicht und rettet sich von Monat zu Monat.“ Der Verband forderte unter anderem eine Refinanzierung von pandemiebedingten Kosten, die sich auf 5,5 Milliarden Euro belaufen und auf denen die Pflegekassen einst sitzen geblieben waren.
Mehrbelastung für Pflegeversicherung durch „versicherungsfremde“ Aufgaben
Das ist noch nicht alles. Nebenher übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen zahlreiche „versicherungsfremde“ Aufgaben, zum Beispiel das Mutterschaftsgeld. Der GKV-Spitzenverband forderte hier ebenfalls eine komplette Übernahme durch den Staat. Um solche versicherungsfremden Aufgaben zu übernehmen, zahlt der Staat im Jahr 14,5 Milliarden Euro Bundeszuschuss, dessen Höhe gesetzlich festgeschrieben ist. Das Problem dabei: Die Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen steigen jährlich.
Die steuerliche Gegenfinanzierung der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige stehe im Koalitionsvertrag, argumentierte der BKK-Verband in diesem Rahmen. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weswegen sie auf den Schultern aller Steuerzahler getragen werden müsse, nicht nur von den Versicherten.
Die Belastungen für die Pflegekassen werden allein schon wegen des demografischen Wandels weiter wachsen. Seit der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 steigt die Anzahl der Pflegebedürftigen pro Jahr im Schnitt um 326.000 Personen. Die Reform hatte dafür gesorgt, dass erstmals kognitive Einschränkungen, zum Beispiel Demenz, als Grund für den Bezug von Leistungen aus der Pflegeversicherung gelistet werden. (Laernie mit dpa)
Rubriklistenbild: © IMAGO / Panthermedia sweettomato
