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Geopolitische Spannungen

Indien soll das Bollwerk gegen China sein: Mordvorwürfe aus Kanada stellen den Westen nun vor ein Dilemma

Demonstrierende Sikhs treten auf ein Bild von Indiens Premierminister Narendra Modi
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Wütende Sikhs protestieren in Toronto gegen Indien: Wie soll der Westen mit dem Mordvorwurf Kanadas gegen Neu-Delhi umgehen?

Kanadas Mordvorwürfe gegen Indien stören das Drehbuch einer florierenden Zusammenarbeit des Westens mit Neu-Delhi. Eine Abkehr von Neu-Delhi ist in niemandes Interesse. War der Getötete ein Terrorist?

Auf dem G20-Gipfel Anfang September strahlte Indiens Premierminister Narendra Modi noch im Glanz der politischen Weltbühne. Der Westen umwarb sein Land und schien ihm zu verzeihen, dass er sich den Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs nicht anschloss. Zu wichtig ist das bevölkerungsreichste, demokratisch regierte Land als Bollwerk gegen die autoritäre und zunehmend selbstbewusste Volksrepublik China. Doch die Harmonie ist im Westen einer gewissen Unsicherheit gewichen.

Denn auf einmal herrscht Eiszeit zwischen Indien und dem G20-Mitglied Kanada. Am Dienstag wies Indien 41 kanadische Diplomaten aus, Neu-Delhi vergibt zudem derzeit keine Visa an Kanadier. Und auf der Plattform X (früher Twitter) verbreiten indische Nationalisten Schmähschriften gegen das „völlig unwichtige“ Kanada, dessen Diplomaten alle „Spione“ seien. Der Grund für die Aufregung: Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat vor zwei Wochen öffentlich einen Verdacht ausgesprochen, der – wie man inzwischen weiß – schon auf dem G20-Gipfel im Raum stand: Er machte Indien für einen politischen Mord auf kanadischem Boden verantwortlich.

Im Juni war der Sikh-Aktivist Hardeep Singh Nijjar nahe Vancouver von einem Killerkommando erschossen worden. Die Sikhs sind eine indische Religionsgemeinschaft, die zwischen den 1970-er und 1990-er Jahren für einen eigenen Staat namens Khalistan kämpften, teils mit Gewalt. Die Bewegung ist in Indien immer noch verboten, der getötete Nijjar galt dort als Terrorist.

Kanada sieht „glaubwürdige Beweise“ für Indiens Verwicklung in den Nijjar-Mord

Es gebe „glaubwürdige Beweise“ für Indiens Beteiligung an der Tat, sagte Trudeau. Die entsprechenden Hinweise stammen den USA zufolge von westlichen Geheimdiensten. Indien weist den Vorwurf als „absurd“ zurück. Doch sollte sich der Verdacht einer indischen Beteiligung erhärten, dann steht der Westen vor einem Dilemma: Soll er den gerade erst gewonnenen Partner Indien an den Pranger stellen? Oder den Fall zähneknirschend aussitzen, weil die Diplomatie es in diesen Zeiten so gebietet? Der Mord ist ein Störfall für das Drehbuch des Westens, das eine florierende Zusammenarbeit mit dem aufsteigenden Indien vorsieht.

Die USA sind der engste Verbündete Kanadas und können sich daher kaum komplett aus der Angelegenheit heraushalten. Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, betonte: „Es gibt keine Ausnahmeregelung für Aktionen wie diese. Unabhängig vom Land werden wir aufstehen und unsere Grundprinzipien verteidigen.“ Und eine Sprecherin Bidens betonte, es sei „absolut inakzeptabel, im Ausland lebende Dissidenten ins Visier zu nehmen“. Indien sieht in Nijjar aber eben keinen Dissidenten, sondern einen gefährlichen Separatisten und Terroristen.

Staatliche Morde im Ausland auch durch westliche Geheimdienste

Ein unbequemer Teil der Geschichte ist, dass auch westliche Geheimdienste im Ausland Terroristen ermorden lassen. Allen voran die USA, aber auch der israelische Geheimdienst Mossad, haben immer wieder Personen eliminiert, die sie als Gefahr für die nationale Sicherheit ansahen. So tötete eine US-Eliteeinheit 2011 den Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden in Pakistan. Diplomatische Verwerfungen mit den Verbündeten löste das nicht aus.

Europa und die USA müssten also im Falle einer tatsächlichen Beteiligung Indiens entscheiden, wie sie mit einer solchen Tat auf dem Territorium eines befreundeten Staates umgehen wollen. Und auch, ob man Indiens Lesart akzeptiert, dass Nijjar kein harmloser Aktivist war, sondern ein Terrorist. Nijjar organisierte vor seinem Tod ein Referendum für eine unabhängige Sikh-Nation im mehrheitlich von Sikhs bewohnten indischen Bundesstaat Punjab, das in Indien allerdings keinerlei Folgen gehabt hätte. Wollte Nijjar auch Gewalt anwenden? Oder war er schlicht ein willkommenes Feindbild für Modis hindu-nationalistische Bharatiya Janata-Partei, die Minderheiten wie Muslims und auch Sikhs zunehmend ausgrenzt? Narendra Modi selbst schweigt bisher.

Testfall Saudi-Arabien: Nach Khashoggi-Mord nur zeitweise Lieferstopp für Waffen

Ganz klar zur Kategorie getöteter Dissidenten gehört etwa der saudische Journalist Jamal Khashoggi. Khashoggi wurde Ende 2018 in der Botschaft seines eigenen Landes in der Türkei brutal ermordet, wohl wegen seiner kritischen Berichterstattung. Spuren führten bis zum regierenden Kronprinzen Mohammed bin Salman, doch Beweise für seine Verwicklung kamen nie ans Licht.

Saudi-Arabien galt trotz seiner rigiden Auslegung des Islam lange als wichtigster Verbündeter der USA im Mittleren Osten, es liefert große Mengen Öl an den Westen. Der Fall Khashoggi zeigte, dass ein grausamer politischer Mord die Verhältnisse zwar kompliziert macht, aber langfristig nicht komplett umstürzt. Nach dem Khashoggi-Mord setzte zum Beispiel die damalige Bundesregierung ein umfassendes Exportverbot für Waffen nach Saudi-Arabien durch. Doch inzwischen liefert Deutschland wieder Waffen an Riad, sofern es sich um Exporte für Gemeinschaftsprojekte mit anderen EU- oder Nato-Staaten handelt. Es ist eine dauerhaft schwierige und umstrittene Gratwanderung.

Indien dagegen ist kein autoritäres Königreich, sondern eine künftige Supermacht mit einer lebendigen, zuweilen chaotischen Demokratie. Deshalb und auch wegen des großen strategischen Interesses an Indien agiert Washington im Fall Nijjar bislang eher vorsichtig. Eine völlige Abkehr von Neu-Delhi wäre aber auch nicht im Interesse Europas. Und so muss sich Kanada vorerst allein um den Fall kümmern. Man wolle wieder „privat“ mit Indien verhandeln, sagte Außenministerin Mélanie Joly am Dienstag. Laute Töne scheinen erst einmal nicht willkommen.

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