G20-Gipfelerfolg für Modi
Chinas Neue Seidenstraße bekommt Konkurrenz: Indien und der Westen planen Handelskorridor nach Europa
Der G20-Gipfel in Neu-Delhi war überraschend erfolgreich. Die Staaten einigten sich auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Und am Rande wurde eine neue Handelsroute von Indien nach Europa beschlossen.
Neu-Delhi/Frankfurt – Gipfeltreffen sind in aller Regel streng durchchoreographiert, Unerwartetes geschieht äußert selten. Doch der gerade zu Ende gegangene G20-Gipfel in Neu-Delhi war voller Überraschungen. Nicht nur gelang es dem Gastgeber, Indiens Premierminister Narendra Modi, die zerstrittenen Staaten zu einem gemeinsamen Abschlusskommuniqué zu bewegen. Der Gipfel lieferte zudem den Beleg, wie sich das Umfeld von Großveranstaltungen für separate Abkommen nutzen lässt, wenn es gute Ideen gibt.
So unterschrieb Indien am Rande des Treffens mit der EU, den USA, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Absichtserklärung für ein riesiges Schienen- und Schifffahrtsprojekt. Zwei Transportkorridore wollen die Partner für den Handel zwischen Indien und Europa schaffen. Das Infrastrukturprojekt mit Namen „India – Middle East – Europe Economic Corridor“ (IMEC) soll der US-Regierung zufolge das Wirtschaftswachstum ankurbeln, Anreize für neue Investitionen schaffen und damit eine „transformative Integration von Asien, Europa und dem Nahen Osten“ bewirken. Beteiligte bezeichneten das Abkommen als „historisch“. Die Absichtserklärung ist auch ein Signal dafür, dass der Westen und der aufstrebende globale Süden durchaus miteinander zusammenarbeiten können, wenn es die richtigen Ansätze dafür gibt.
Handelskorridore von Indien nach Europa: Antwort auf Chinas Seidenstraße
Pünktlich zum zehnten Geburtstag bekommt Chinas Neue Seidenstraße damit erstmals ein wirkliches Konkurrenzprogramm. Zwar hatte die EU schon Anfang 2022 ihr Vernetzungs- und Infrastrukturprojekt Global Gateway angekündigt und erklärt, bis 2027 rund 300 Milliarden Euro aus staatlichen und privaten Quellen mobilisieren zu wollen. 87 Projekte stehen bisher in der Pipeline oder sind bereits realisiert. Doch das sind bisher vor allem Einzelprojekte, etwa Unterseekabel, Straßen oder Brücken. So eine richtige Konkurrenz für die Neue Seidenstraße ist Global Gateway bisher nicht.
Gerade erst unterschrieben, ist IMEC bereits überraschend konkret, auch wenn es noch keine Ziffer für die Kosten gibt. Der östliche Korridor soll Indien und den Persischen Golf verbinden, unter anderem durch bessere Häfen in den Vereinigten Arabischen Emiraten und neue Unterseekabel für Internet und Strom. Die Verbindung vom Mittleren Osten nach Europa bildet den nördlichen Korridor, unter anderem mittels einer neuen Eisenbahnstrecke von den Emiraten quer durch Saudi-Arabien über Jordanien bis nach Israel. Sie verbindet damit Staaten, die noch vor nicht allzu langer Zeit verfeindet waren, was im besten Fall wirklich integrative Wirkung haben kann.
Modi: Neues Programm fördert Integration Indiens mit Europa
Entlang der Gleise wollen die Partner Kabel für Strom und Internet verlegen, ebenso wie Leitungen für den Transport von Wasserstoff. Von der israelischen Hafenstadt Haifa geht die Fracht dann per Schiff weiter, etwa zu Häfen am Mittelmeer. Sinnvoll ist, dass Global Gateway mit IMEC verzahnt wird und einige der Projekte finanzieren soll. Die neue Verbindung werde den Handel zwischen Indien und Europa um 40 Prozent beschleunigen, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Derzeit geht der Handel mit dem Schiff durch den ägyptischen Suezkanal.
„Das IMEC kann dazu beitragen, die wirtschaftliche Integration zwischen Indien und Europa zu fördern“, sagte der indische Premierminister Narendra Modi, während US-Präsident Joe Biden es als „eine große Sache, eine wirklich große Sache“ bezeichnete. Er hatte das Projekt maßgeblich gepuscht, auch wenn es gar nicht um Handelsströme in die USA geht. Washington sieht die Dinge vor allem im großen geopolitischen Kontext. Und da ist es eines der wichtigsten Ziele, Indien enger an den Westen zu binden, als Gegengewicht zur Volksrepublik China.
China in Neu-Delhi nur als Zuschauer
Chinas Staatschef Xi Jinping nun war gar nicht zugegen in Neu-Delhi. Und so konnte er sein großes politisches Gewicht dieses Mal nicht in die Waagschale werfen. Stattdessen musste sein Ministerpräsident Li Qiang das neue Projekt in Neu-Delhi zur Kenntnis nehmen. Li warb sogleich am Rande des G20-Treffens für mehr Zusammenarbeit mit der EU. China und Europa als zwei Haupttreiber der globalen Entwicklung sollten noch enger kooperieren, sagte Li Qiang laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua in einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Volksrepublik stehe bereit, mit Europa zusammenzuarbeiten, um in diesem Jahr einen EU-China-Gipfel auszurichten und das gegenseitige Vertrauen zu stärken.
Noch ist völlig unklar, ob die IMEC-Pläne so umgesetzt werden wie beschlossen. Immerhin aber soll es schon in 60 Tagen mehr Details geben. Als Xi Jinping 2013 mit einer Rede die Neue Seidenstraße startete, wollte auch er die Staaten Zentralasiens besser mit China vernetzen und neue Handelswege durch neue Infrastruktur schaffen. Anfangs war die Resonanz gering. Inzwischen ist aus der Seidenstraße ein milliardenschweres globales Programm geworden. Dem ambitionierten Modi ist das sicher ein Ansporn.
G20 für Indiens Modi ein großer Erfolg
Generell ist der G20-Gipfel ein großer Erfolg für Indiens Premier. Vor dem Gipfel waren die Erwartungen sehr gering gewesen. Um überhaupt einen gemeinsamen Abschlusstext zu bekommen, wurde darin die Kritik am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stark verallgemeinert. Daran gibt es Kritik, auch aus Kiew – und doch es ist ein Erfolg, dass man sich überhaupt zu einer Einigung durchringen konnte. Das hatten viele Modi nicht zugetraut.
In dem knapp 30 Seiten starken Dokument steht auch der Plan, bis 2030 die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu verdreifachen. Die Idee stammte aus Kenia, aber auch in diesem Punkt gab es anfangs viel Streit. Die G20-Abschlusserklärung betone nun „die erheblichen Investitionen, die für die Energiewende erforderlich sind“, schreibt Linda Kalcher, Direktorin des EU-Klimathinktanks Strategic Perspectives auf X. „Das ist ein großer Erfolg der indischen Präsidentschaft, insbesondere in schwierigen geopolitischen Zeiten.“
Auf Betreiben Indiens wurde zudem die Afrikanische Union (AU) in die G20 aufgenommen. Modi konnte sein Land damit als Fürsprecher des globalen Südens positionieren. Diese Rolle nimmt sonst gerne China ein. Und damit ist der G20-Gipfel für Modi insgesamt ein klarer Punktgewinn gegen den Rivalen in Peking.
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