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Ampel plant Erhöhung

Bürgergeld „unsozial“? Boris Palmer macht Probe-Berechnung für sich selbst – und staunt

Die Bürgergelddebatte dreht sich um eine Frage: Lohnt sich arbeiten? Tübingens Oberbürgermeister hat es sich ausrechnen lassen – und zweifelt.

Tübingen – Lohnt sich Arbeit überhaupt noch? Diese Frage schwingt in der Bürgergelddebatte immer mit. Die Hartz-IV-Nachfolger-Zahlung steigt Anfang 2024 um zwölf Prozent an. Kritische Stimmen bemängeln, dass arbeitsfähige Menschen so keinen Arbeitsanreiz mehr hätten. Auch Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen klinkt sich in die Diskussion ein – und kritisiert die Sozialstrafregelungen.

Gedankenexperiment: Tübingens Oberbürgermeister lässt sich Bürgergeldanspruch ausrechnen

Palmer ließ es sich vom Caritas-Rechner ausrechnen, welchen Bürgergeldanspruch seine Familie hätte: zwei Erwachsene, kein Einkommen, zwei Kinder und eine hohe Miete. Demnach liegt der Bedarf bei 3868 Euro im Monat – 500 Euro würden abgezogen werden, denn das Bürgergeld wird gedeckelt. Einen Screenshot der Rechnung teilt er auf Facebook und schreibt: „Da wird man nicht reich. Aber wenn ich Alleinverdiener wäre, müsste ich schon um die 4500 brutto heim bringen, um dasselbe zu erreichen.“ Er verdiene als Bürgermeister natürlich mehr, fügt er hinzu.

„Unsozial“: Palmer kritisiert Bürgergeldregelungen der Ampel

Seine Kritik richtet der Ex-Grünen-Politiker an die Ampel-Regierung: „Die Haushaltsentscheidungen der Ampel werden als sozial dargestellt“, schreibt Palmer. Daran habe er erhebliche Zweifel, denn: „Wenn es sich kaum noch lohnt, Jobs im unteren bis mittleren Teil des Lohnsegements anzunehmen, dann ist ein Bürgergeld in dieser Höhe unsozial gegenüber denen, die mit eigener Arbeit ihr Leben finanzieren und kaum einen Vorteil gegenüber denen haben, die sich voll von der Gemeinschaft finanzieren lassen.“ Während Betriebe im Niedriglohnbereich händeringend nach Beschäftigten suchen, beziehen rund 4 Millionen erwerbsfähige Menschen Bürgergeld – diese Logik geht für Palmer nicht auf.

Tübingens Oberbürgermeister hält das Bürgergeldsystem für unsozial.

Rechenbeispiele: Arbeit lohnt sich in der Regel immer

Tübingens Oberbürgermeister geht einen Schritt weiter und schreibt: „Das Gegenargument, Arbeit lohne sich immer, ist erstens nicht richtig.“ Ein Gutachten für die Bundesregierung habe gezeigt, dass einige mit Bürgergeld ohne Arbeit besser dastehen, als mit Arbeit. „Zweitens besagen die Rechnungen, die häufig aufgemacht werden: Man habe am Monatsende 300 Euro mehr in der Tasche durch Vollerwerbstätigkeit“ – das würde sich nicht lohnen, heißt es weiter.

Wichtig ist anzumerken, dass Palmer den Bürgergeldrechner mit seinen Angaben gefüttert hat – sie sind deswegen nicht repräsentativ. Focus führte eine Vielzahl an Rechenbeispielen durch – demnach lohne sich Arbeit in der Regel immer. Mit einer Ausnahme: Bessergestellt ist nur eine Familie mit vier Kindern, die vom Mindestlohn leben muss. In so einem Fall würden vom Staat aber noch weitere Hilfen, etwa Wohngeld, folgen.

Bürgergeld: Problem liegt bei unstimmigen Grundsicherungssystemen

Das Problem der Haushaltsbeschlüsse liege darin, dass der Volkswirtschaft Leistungskraft entzogen werde, statt sie zu stimulieren, so Palmer weiter. „Die fünf Milliarden Mehrkosten für 12 Prozent mehr Bürgergeld bei nur noch 3 Prozent Inflation sind unsozial, denn sie vermindern die Leistungskraft der Volkswirtschaft erheblich und werden durch verkappte Steuererhöhungen für Leistungsträger finanziert.“

Auch Ökonom Andreas Peichl vom Ifo-Institut sieht Schwächen im Sozialsystem. „Das Problem ist weniger das Bürgergeld als die Erhöhung des Wohngelds im vergangenen Jahr“, sagt Peichl im Interview mit dem Spiegel. „Diese Anhebung hat zu relativ großen Bereichen geführt, in denen sich mehr Arbeit weniger lohnt“, so seine Einschätzung. Die zwei Grundsicherungssysteme – Bürgergeld und daneben die Systeme Wohngeld und Kindergrundsicherung – würden demnach nicht stimmig aufeinander aufbauen.

„Einschnitte verkraften“: Arbeit lohnt sich, mehr Arbeit nicht

Laut Peichl liege das Problem also nicht darin, dass sich Arbeit nicht lohne – sondern dass sich mehr Arbeit nicht lohne. Es sei ein ständiges, intransparentes Rechenspiel. Palmer befürchtet aber: „Ich habe große Sorgen, dass der Sozialstaat noch viel härtere Einschnitte verkraften muss, wenn wir nicht wieder dafür sorgen, dass die Wirtschaft läuft und Arbeit sich lohnt.“ (hk)

Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

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