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IPPEN.MEDIA-Interview
„Steuerbonus für Ausländer wird nicht kommen“: Kühnert kritisiert Ampel-Plan als ungerecht
Der SPD-Generalsekretär beginnt seine Wahlkampftour durch Thüringen. Im Interview spricht er über Ampel-Pläne, Sahra Wagenknecht und Ostdeutschland.
Altenburg – Eine Handvoll Leute schlendert mit einer Gemütlichkeit über den Marktplatz, wie es vielleicht nur Thüringer können. Man tauscht Mutzbraten-Rezepte aus, klagt ein bisschen übers Wetter – es ist schwül und locker 30 Grad. Als plötzlich der knallrote SPD-Bus angefahren kommt und Berliner Politprominenz aussteigt, sorgt das nicht für Aufsehen. So leicht sind die Menschen in Altenburg in Ostthüringen nicht zu beeindrucken.
Vor Landtagswahl in Thüringen: Kevin Kühnert spricht über Sahra Wagenknecht
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert startet in der 35.000-Einwohnerstadt seine Sommertour vor der Landtagswahl, jede Menge Wandern im Thüringer Wald steht in den nächsten Tagen auf dem Programm. Doch erst mal Luft holen. Ein bisschen abgekämpft sieht er aus, die Anreise über Leipzig war strapaziös, der Zug hatte Verspätung – „Tja, running Gag“, sagt Kühnert grinsend und fächelt sich mit einem SPD-Flyer Luft zu. Im nahen Künstlerladen Farbküche ist Zeit für ein Gespräch über aktuelle Ampel-Pläne, die Sorgen der Menschen vor der Landtagswahl in Thüringen und Sahra Wagenknecht.
Kevin Kühnert: Das sehe ich auch so. Ich gehe aber eh davon aus, dass diese Maßnahme nicht kommt. Zu viele Koalitionspolitiker haben sich nach Bekanntwerden dieses Vorschlags öffentlich dagegen ausgesprochen. Ausländische Fachkräfte gewinnt man schließlich nicht, indem man ganze Belegschaften mit steuerlicher Ungleichbehandlung konfrontiert. Die SPD ist dafür, dass wir die Steuerlast für alle Normalverdiener dämpfen – nicht nur für Menschen mit einem bestimmten Pass. Dafür haben wir Konzepte vorgelegt, die auch Vorschläge zur Gegenfinanzierung enthalten.
Ich erlebe in vielen Gesprächen die Annahme, dass die Politik nichts Positives unternimmt, dass sich eh nichts ändert. Dieses verbreitete Gefühl nehme ich ernst, widerspreche als Sozialdemokrat aber auch mit Zahlen, Daten und Fakten. So wurde der Mindestlohn eingeführt und erhöht, davon profitieren allein in Thüringen Hunderttausende. Zudem wurde die Midi-Job-Grenze ausgeweitet, Kinderzuschlag und Wohngeld für Menschen mit kleinen Einkommen erhöht und die Grundrente wurde eingeführt. Der deutsche Niedriglohnsektor schrumpft massiv. Die Rentenangleichung zwischen Ost und West ist ebenfalls schneller erfolgt als ursprünglich angedacht. Das sind allesamt Maßnahmen, die auf die SPD zurückgehen. AfD und BSW verantworten hingegen nichts davon. Und es gibt natürlich auch trotz des schwierigen Haushalts keinen Kahlschlag bei der Rente.
Menschen mit ohnehin schon sehr kleiner Rente oder Niedriglohn hilft das im Alltag nur bedingt.
Mir ist schon klar, dass niemand eine Flasche Sekt aufmacht, der eine niedrige Rente hat. Aber ich möchte verdeutlichen: Es hat einen Unterschied gemacht, wenn jemand vor drei Jahren sozialdemokratisch gewählt hat. All die genannten Maßnahmen hätte es unter einem Bundeskanzler Armin Laschet nicht gegeben. Und da haben wir Sahra Wagenknecht auch einiges voraus. Die fordert zwar im Zweifel immer ein bisschen mehr als die SPD, hat aber in ihrem ganzen politischen Leben noch nie irgendeine Maßnahme durchgesetzt, sondern war immer nur Opposition. Davon geht es keinem Menschen besser.
Unzufriedenheit in Thüringen vor der Landtagswahl: „Stichwort Heizungsgesetz“
Viele Menschen in Thüringen machen die Entwicklungen nach der Wiedervereinigung für viele der Probleme in den Städten, wie mangelnde Infrastruktur oder fehlende Krankenhäuser, verantwortlich. Können Sie das nachvollziehen?
Ich bin vier Monate vor dem Mauerfall geboren und ich kann nicht authentisch berichten, wie es damals war. Was ich weiß, ist, dass es damals natürlich eine große Euphorie gab und den Wunsch nach schneller Angleichung der Lebensverhältnisse. Nicht alles davon ist im Rückblick ideal gelaufen. Prägend sind bis heute manche ökonomische Unterschiede, für die die Menschen in Ostdeutschland zurecht ein feines Gespür haben. Bundesländer wie Thüringen, Sachsen oder Brandenburg sind nach 1990 mit quasi keinem Vermögen gestartet, im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern, in denen viele Menschen längst Vermögen hatten. Das zieht sich bis heute durch. Stichwort Heizungsgesetz, wo es um große Investitionen geht. Anderes Beispiel: Erbschaftsteuer. In Thüringen leben 2,5 Prozent der Deutschen, aber das Land generiert nur 0,3 Prozent der Erbschaftssteuer. Sowas prägt einen Landeshaushalt auf Dauer und sorgt für Frust, wenn die Politik nicht gegensteuert.
Politiker aus Thüringen berichten, dass es seit einigen Monaten deutlich mehr Beleidigungen in den Sozialen Medien aber auch Übergriffe auf der Straße gegen sie gibt. Erleben Sie das selbst auch?
Die Sozialen Medien sind die üble Spitze des Eisbergs, da geht es wirklich eklig zu. Glücklicherweise ist es bei mir auf der Straße und im direkten Gespräch differenzierter und überwiegend positiv. Übergriffe dürfen nicht den Effekt haben, den sich Demokratiefeinde wünschen. Sie wollen nämlich, dass sich Demokraten nicht mehr engagieren, nicht mehr demonstrieren, nicht mehr fürs Stadtparlament kandidieren – sondern zu Hause bleiben. Wir haben Rücktritte von Bürgermeistern in Deutschland, in Sachsen ist aktuell ein Landrat zurückgetreten, weil die Bedrohung von Rechtsaußen gegen ihn und vor allem seine Familie zu massiv war. Das beste Gegenmittel ist, dass sich mehr Menschen engagieren – auch in Parteien.
Übergriffe auf Politiker nehmen in Thüringen zu: „Wir brauchen Herdenschutz“
Wie gehen Sie denn selbst mit Beleidigungen um? Perlt das ab? Oder kann das belastend sein?
Nach mehreren Jahren Spitzenpolitik und als Person des öffentlichen Lebens bin ich einiges gewohnt, aber um mich geht es nicht. Ich werde gut bezahlt für das, was ich mache, und bei meinen öffentlichen Veranstaltungen ist eine Polizeistreife vor Ort. Mir geht es um die Leute, die im Ehrenamt als Gemeinderäte oder als Pfarrer oder Betriebsrat der Zivilgesellschaft ein Gesicht geben. Die werden eingeschüchtert und wir müssen uns als Gesellschaft darum kümmern, dass sie die Flinte nicht ins Korn werfen. Dafür brauchen wir Herdenschutz: viele Menschen, die klar an ihrer Seite stehen, auch parteiübergreifend.