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Interview
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow: „Habe Tausende aus der braun-blauen Ecke geblockt“
Die Anfeindungen gegen ihn werden härter, sagt Bodo Ramelow im Interview. Dabei geht es auch um ein eigenes, vermeintliches Handicap. Etwas anderes regt ihn aber noch viel mehr auf.
Erfurt – Zum Gespräch in der Linken-Landesgeschäftsstelle wird Vita-Cola gereicht, und Bodo Ramelow gerät ins Schwärmen. „Das ist ein original Thüringer Produkt“, sagt der Landesvater. Sowas mache ihn stolz. Nebenan wird umdekoriert: Die Partei hat sich gerade erst ein neues Logo gegeben, die Wände werden in frischen Rot-und-Violett-Tönen gestrichen.
Es herrscht Wahlkampf-Stimmung in der Landeshauptstadt, im September ist Landtagswahl in Thüringen. Dann wird die ganze Republik nach Erfurt schauen, mindestens: Denn es wird sich entscheiden, ob erstmals eine rechtsextreme AfD an einer Regierung beteiligt sein wird oder nicht – und ob die Brandmauer der demokratischen Parteien dem Druck standhalten kann.
Herr Ministerpräsident, Sie sind viel auf X unterwegs. Der Ton auf der Plattform wird immer rauer. Uns ist aufgefallen: Sie werden dort oft wegen Ihrer Legasthenie regelrecht verhöhnt.
Über diese Leute mache ich mich lustig. Ich gehe offen mit dem Thema Legasthenie um, mit meinem eigenen Handicap. Auch, um andere Menschen zu ermutigen: Leidet nicht unter eurem Handicap, sondern nehmt es an und geht positiv damit um. Und wenn einer kommentiert: „Der kann ja gar nicht schreiben“, antworte ich immer: „Ja, stimmt.“
Verletzt es Sie trotzdem, wenn Sie solche Beleidigungen sehen?
Ja, eine Zeitlang war das so. Aber ich habe eine Methode gefunden, die mir in solchen Momenten hilft. Wenn sich eine Verletzung gefährlich meiner Seele nähert, stehe ich auf und gehe eine Runde durch die Stadt und gucke Menschen an. Und dann werde ich unzählige Male freundlich gegrüßt und angelächelt. Und dann denke ich: „Jo, das ist die eigentliche Welt.“ Man muss aufpassen, dass man die nicht mit der digitalen Welt verwechselt. Und wer mich bei X beleidigt, wird im selben Moment halt geblockt.
Bodo Ramelow über Anfeindungen im Internet: „Wer mich ehrlich anspricht, mit dem bin ich auch bereit zu reden“
Wie viele Leute mussten Sie schon blocken?
Bestimmt 15.000. Darunter viele Bots. Aber auch Tausende aus der braun-blauen AfD-Ecke und irgendwelche Querdenker. Wer mich ehrlich anspricht, mit dem bin ich auch bereit zu reden. Aber nicht mit Leuten, die sich nur auskotzen wollen.
Apropos miteinander reden. Im April gibt es ein TV-Duell zwischen Mario Voigt von der CDU und Björn Höcke, den man laut einem Gerichtsurteil von 2019 einen Faschisten nennen darf. Könnten Sie sich so etwas für sich vorstellen: ein Fernseh-Duell mit Höcke?
Nein. Ich finde das Wort Duell schon seltsam martialisch. Aber wenn man schon dieses Bild bemühen will: Früher ist man bei Duellen davon ausgegangen, dass die Duellanten beide ehrenhafte Leute waren. Das kann man von Herrn Höcke aber nicht sagen. Deshalb habe ich ihm vor vier Jahren nach meiner Wahl zum Ministerpräsidenten auch den Handschlag verweigert. Ich kann nicht jemandem die Hand geben, der die Demokratie zerstören will. Er hat eine Ministerpräsidentenwahl missbraucht, um eine Falle zu stellen.
Sie meinen den Skandal um FDP-Politiker Thomas Kemmerich, der im Februar 2020 überraschend mit Stimmen von CDU, FDP und AfD für kurze Zeit zum Ministerpräsidenten von Thüringen wurde?
Ab März soll es einen Landesverband vom Bündnis Sahra Wagenknecht in Thüringen geben. Käme für Sie eine Koalition mit BSW infrage?
Im Moment ist mir das alles noch zu schräg. Nehmen wir etwa die von mir sehr geachtete Kollegin Katja Wolf …
… die noch Oberbürgermeisterin von Eisenach ist, aber jetzt für BSW bei den Landtagswahlen antreten will.
Genau. Sie sagt, sie wolle für die Wähler ein neues Angebot sein. Aber wieso war sie das die letzten 25 Jahre nicht schon? Ich könnte ja auch sagen: Ich will mal ein neues Angebot, wie so ein neues Potpourri. Bündnis Bodo Ramelow. Aber dann denke ich: Ich bin nicht Pippi Langstrumpf, ich kann mir nicht eine neue Welt ausdenken. Ich gestalte lieber die Welt, in der ich aktiv unterwegs bin. Und das kann ich im Landesverband der Linken. Obwohl ich nicht immer die Mehrheitsmeinung vertrete.
Ja, zum Beispiel. Ich verstehe die Mehrheit in der Linken, die gegen Waffen-Lieferungen ist. Weil Waffen zu noch mehr Tod führen. Aber erst mal müsste Putin die Waffen niederlegen. Ich bin auch für Frieden, kann aber die Augen nicht vor Moldau und Litauen verschließen – das sind Länder, die Angst vor einem Angriff Russlands haben. In Litauen stehen Thüringer Bundeswehrsoldaten für die NATO. Wenn das russische Parlament Litauen aber auf einmal die Souveränität aberkennt, sind unsere Soldaten plötzlich im Krieg. Keine Waffen an die Ukraine zu liefern, wird Putin nicht beeindrucken. Aber man darf jetzt auch nicht in eine reine Kriegsrhetorik verfallen.
Karl Lauterbach hat neulich erklärt, dass wir jetzt die Kriegstauglichkeit unserer Krankenhäuser prüfen müssen.
Ich dachte: Hat er jetzt zu heiß geduscht? Die Minister sollen sich mal um ihre eigenen Zuständigkeiten kümmern und nicht die ganze Gesellschaft kriegsbesoffen quatschen. Da kann ich Puls kriegen.
Noch gibt es das BSW hier ja gar nicht. Das sind Phantomdebatten, da habe ich keine Lust zu.
Dann ein anderes Thema. Der CDU-Landrat Christian Herrgott hat jüngst für bundesweite Debatten gesorgt, weil er Asylbewerbern im Saale-Orla-Kreis eine Arbeitspflicht auferlegt hat. Ist das der richtige Weg?
Er hat nichts Neues erfunden, sondern wendet geltendes Recht an. Mein Weg wäre ein ganz anderer. Ich möchte, dass Menschen kein Arbeitsverbot mehr bekommen, wie es im Moment bei vielen der Fall ist. Diese staatlich organisierte Beschäftigungslosigkeit in Asylbewerberheimen ist das eigentliche Problem, über das ich mich aufrege. Genau wie über die Debatte zur Bezahlkarte.
Thüringens Ministerpräsident Ramelow über Bezahlkarte: „Unsägliche Diskriminierung“
Was regt Sie daran schon wieder auf?
Das ist eine unsägliche Diskriminierung. Und es könnte viel einfacher und viel menschlicher gehen. Wir Linke haben immer dafür gekämpft, dass jeder das Recht hat, ein Konto zu eröffnen. Warum nicht auch Asylbewerber? Sie könnten dann begrenzte Summen Bargeld abheben. Man tut so, als wäre die Bezahlkarte ein Mittel für geordnete Zuwanderung. Ich bin nicht naiv, ich will weder einen Schläfer vom IS hier untergeschoben kriegen, noch einen vom russischen Geheimdienst. Da müssen wir wachsam sein.
Wie könnte geordnete Zuwanderung denn aussehen?
Über Abkommen, zum Beispiel mit Algerien oder Marokko. Wenn über diese Länder Menschen hierherkommen, kann ich die sowieso nicht dahin zurückschicken, selbst wenn ich wollte. Dann ist es doch sinnvoller, wenn es gemeinsame Regeln mit diesen Staaten gibt. Ich bin auch dafür, dass wir mit Georgien und Moldau ein Zuwanderungsabkommen schließen. Wenn die Russen militärisch intervenieren, werden viele Menschen fliehen. Auch nach Deutschland. Dafür brauchen wir praktische Lösungen und vor allem auch ermöglichende und nicht nur sanktionierende Ausländerämter. Die Behörden müssen massiv umsteuern.
Weil die Behörden zu restriktiv vorgehen?
Wir haben gerade in Erfurt eine Abschiebung einer 79-jährigen Koreanerin mit beginnender Demenz gehabt. Die Tochter ist Olympiasiegerin aus Südkorea, ihr Mann ist Thüringer. Ich war so stolz, als ich erfahren habe, dass die Familie nach Erfurt kommt und ein Lokal eröffnet. Aber dann hat die Polizei die Mutter abgeholt, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis hatte. Die Tochter durfte sie nicht mal mehr in den Arm nehmen. Und ich denke: Wie gehen wir denn mit Menschen um? Sie sehen mich da richtig fassungslos. Wir müssen Zuwanderung endlich als Bereicherung begreifen.
Glauben Sie, dass solche Geschichten und vor allen Dingen ein Erstarken einer rechtsextremen AfD in Thüringen auch potenzielle Fachkräfte davon abhält, nach Thüringen zu kommen?
Das muss ich nicht nur glauben, das weiß ich. Wir erhalten ständig Absagen. Zuletzt etwa hatten wir einen indischen Entwicklungsingenieur in einem Ostthüringer Dorf. Ein Top-Ass. Der ist gegangen. Viele andere Familien auch. Das liegt auch daran, dass sie die Pöbeleien beim Bäcker, beim Metzger, im Supermarkt nicht mehr ausgehalten haben. Ein dunkelhäutiger Metallbauer hat erzählt, dass er es nicht mehr ertragen konnte, dass ihm Kollegen jeden Tag im Pausenraum eine Banane hingelegt haben. Das macht was mit Menschen.
Wie erklären Sie sich so ein Verhalten?
Es gibt nicht viele Ausländer in Thüringen. Wir haben ungefähr sieben Prozent Nicht-Deutsche. Und die Abwesenheit von etwas führt immer dazu, dass es besonders auffällt. Dazu kommt, dass einige Politiker zusätzlich Öl ins Feuer gießen. Die AfD sagt: Jetzt wird die deutsche Blutlinie durch die Zuwanderung zerstört, das muss man verhindern. Dann denke ich: Jo, singt ihr mal euer „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ vor der Zentralklinik in Bad Berka – und die helfenden qualifizierten Fachkräfte aus dem Ausland gehen dann alle aus Deutschland weg. Na bravo, dann sieht aber unser Gesundheitswesen nicht mehr so toll aus. Meine Frau ist Deutsche, aber in Italien geboren. Wenn sie der AfD so zuhört, könnte sie glatt Angst bekommen, dass sie aus Deutschland wegmuss.
Sie spielen auf das Treffen in Potsdam an, wo Rechtsextreme die Deportation von Millionen Menschen diskutiert haben?
Ja. Viele Menschen haben deswegen Angst. Die kommen aus Afghanistan oder anderen Ländern und haben längst ein Aufenthaltsrecht. Studierende von der Bauhaus-Universität standen mit Tränen in den Augen neben mir und haben gesagt, sie haben Angst vor diesem zugespitzten Gerede.
Eine Tendenz zur Polarisierung in der Sprache scheint aktuell in der gesamten politischen Landschaft verbreitet zu sein. Nehmen Sie wahr, dass der Ton rauer geworden ist?
Ja, es findet eine regelrechte Enthemmung statt. Wenn man sich anschaut, wie vor allem die CSU permanent gegen die Grünen schießt. Das verfängt dann irgendwann. Gerade auf Social Media. Auf X ist der Ton teilweise widerlich, spätestens seit Elon Musk übernommen hat und es anscheinend keine Regeln mehr dort gibt. Was zum Beispiel Grünen-Chefin Ricarda Lang an Verunglimpfungen aushalten muss. Das ist so unerträglich.
Viele Politikerinnen und Politiker werden immer öfter auch in der analogen Welt angefeindet. Passiert Ihnen das auch?
Ja, das gibt es durchaus. Ich versuche es dann mit Humor. Da stehe ich zum Beispiel vor der Hauptpost und ein alter Mann kommt vorbei und schreit immer wieder „Volksverräter!“ und spuckt mir vor die Füße. Und ich gucke ihn an und sage: „Volksfahrräder? Sie machen Werbung für Volksfahrräder?“ Der ist dann irritiert und weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Oder ich komme in meinen Edeka-Markt, werfe meine Pfandflaschen in den Automaten, und dann pöbelt mich einer an. Und plötzlich springt mir der Marktleiter zur Seite und sagt dem die Meinung: „Sie machen unseren Kunden hier nicht an“. Sowas haut mich dann um, das berührt mich.