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Staatsministerin watscht Merz-Forderung nach Abschiebe-Haft ab: „Ist illusorisch“
SPD-Staatsministerin Sarah Ryglewski wirft der Union vor, sich „aus der politischen Mitte“ verabschiedet zu haben. Merz‘ Fünf-Punkte-Plan sei nicht umsetzbar.
Berlin – Es ist eine Zäsur: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat ein Antrag dank einer Partei, die zumindest in Teilen rechtsextrem ist, im Parlament eine Mehrheit bekommen. Für den Fünf-Punkte-Plan von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zur Migrationspolitik stimmten Abgeordnete der Union, der FDP, einige Fraktionslose – und die AfD.
Dafür, dass Merz auch Rechtsextreme vor der Bundestagswahl zu Mehrheitsbeschaffern macht, gab es massive Kritik – nicht nur unter anderem von Grünen und SPD. Auch Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) rügte den Vorstoß öffentlich als falsch. Sarah Ryglewski (SPD), Staatsministerin für Bund-Länder-Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung, geht noch weiter: Der Vorgang lasse befürchten, dass CDU und CSU nach der Bundestagswahl womöglich auch zu einer Koalition mit der AfD bereit wären. Die vom CDU-Kanzlerkandidaten eingepreiste AfD-Zustimmung sei ein Zeichen, dass „sich die Union und Friedrich Merz aus der politischen Mitte verabschiedet“ haben.
Merz holt Mehrheit für Migrationsplan mit AfD-Stimmen: „Scheinlösungen helfen nur den Rechten“
Beim Gespräch im Bundeskanzleramt mit der Frankfurter Rundschau erklärt die Ministerin aus Bremen, dass sie den Fünf-Punkte-Plan zur Asylverschärfung für regelrecht gefährlich halte, „weil er den Eindruck erweckt, es gäbe eine Wunderpille, die die komplexe Problemlage Migration einfach so löse. Solche Scheinlösungen führen zwingend zu Enttäuschungen und helfen am Ende nur den Rechten“.
Ryglewski zufolge hat Merz damit eine doppelte Niederlage herbeigeführt. Einerseits den politischen Dammbruch, andererseits falsche Versprechen an die Menschen. Denn, so das Argument der Staatsministerin, die im ständigen Austausch mit den Bundesländern ist: Das Gesetz wird gerade dort nicht umsetzbar sein.
„Selbst wenn wir die rechtlichen und humanitären Bedenken ausklammern, würden die Vorschläge von Friedrich Merz die Probleme nicht in der Art und Weise lösen, wie es die Union die Menschen glauben lässt“, sagt Ryglewski. Merz‘ Vorhaben sieht unter anderem vor, dass die Länder selbst mehr Haftplätze für ausreisepflichtige Menschen schaffen sollen. Wie, das sagt der Kanzlerkandidat in seinem Plan nicht. „Die Länder können die von der Union geforderten Haftplätze nicht einfach aus dem Boden stampfen“, sagt SPD-Ministerin Ryglewski. „Ich wünsche Friedrich Merz viel Erfolg, wenn er den Ländern sagt, sie sollen jetzt mehr Kapazitäten schaffen. Die werden ihm sagen, dass der Bund die Flächen zur Verfügung stellen und die Abschiebezentren selbst bauen soll. Merz‘ Forderung nach Haftplätzen ist illusorisch.”
Union und Merz wollen dauerhafte Grenzkontrollen und mehr Abschiebungen
Neben mehr Abschiebungen und der Inhaftierung abgelehnter Asylbewerber will die Union dauerhafte Grenzkontrollen einführen. Auch das ist der SPD-Politikerin zufolge wenig hilfreich. Menschen, die nach Deutschland wollten, würden dann einen anderen Weg über die Grenze finden. „Herr Merz kann ja mal bei Donald Trump nachfragen, wie sein Zaun funktioniert hat. Ich halte das für ganz schlimmen Populismus.” Trump hatte während seiner ersten Amtszeit eine Mauer an der Grenze zu Mexiko versprochen. Bauen lassen hat er letztlich mehrere Zaunstücke, die immer wieder überwunden werden.
Ryglewski, die 2025 nicht mehr zur Wahl für den Bundestag antritt und die Karriere als Berufspolitikerin vorerst ruhen lässt, sagt selbst, dass der Wunsch nach einer restriktiveren Migrationspolitik bei vielen Menschen spürbar sei, „bei gleichzeitiger Offenheit gegenüber Menschen in Not und der Einwanderung von Fachkräften.“ Sie verweist darauf, dass die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) schon viel zur besseren Steuerung der Migration getan habe. Nun müsse es darum gehen, diese Regelungen besser umzusetzen.
Mehr psychologische Angebote für Geflüchtete
„Abschiebungen sind in erster Linie Aufgabe der Länder. Wir haben in Sachen Migrationskontrolle schon weitreichende Gesetze. Und die Zahlen sind auch deutlich zurückgegangen. Unsere Aufgabe muss nun sein, zu gucken, in welchen Prozessen wir uns noch verbessern können“, so Ryglewski. „Ein echtes Manko ist die Digitalisierung der Ausländerbehörden. Da ist seit 2015 einfach zu wenig passiert.“
Die Ministerin plädiert gegen den Unions-Kurs, einem Staat Reaktionsfähigkeit abzusprechen. „Als Demokraten verlieren wir, wenn wir unsere eigene Handlungsfähigkeit klein machen und uns nur noch im nächstgrößeren Wurf verschärfter Migrationsvorschriften überbieten.“
Statt nur neue Ressourcen für Polizei und Haftanstalten zu fordern, weisen dieser Tage viele Sozialverbände und Politiker links der Mitte auf die Notwendigkeit hin, soziale und psychologische Hilfsangebote auch für Geflüchtete auszuweiten. Auch um potenzielle Gefährder frühzeitig zu erkennen. Der Angreifer von Aschaffenburg etwa hatte offenbar große psychische Probleme. Ryglewski zufolge werden Gelder und solche Hilfen für Geflüchtete aber direkt von rechts diskreditiert. „Hilfsangebote für Geflüchtete hängen sehr von der Infrastruktur in den Kommunen vor Ort ab. Und nur mit mehr Fachleuten vor Ort ist das Problem auch nicht gleich gelöst. Allein die unterschiedlichen Sprachen stellen für gute psychische Hilfe schon eine große Hürde dar. Nichtsdestoweniger hätten auch wir als Bund in der Vergangenheit mehr Augenmerk darauf richten müssen.”
Rubriklistenbild: © Michael Kappeler, Bernd von Jutrczenka/dpa, Peter Sieben
