Vorstoß „ohne Not“
„Jeden Tag abschieben“: Das steht im 5-Punkte-Plan von Merz – so reagiert die SPD
Unions-Kanzlerkandidat Merz will die Migrations- und Sicherheitspolitik ändern. Die SPD-Spitze kontert – und hat nun eine Forderung an die CDU.
Berlin – Fünf Punkte sollen es richten: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) will wenige Wochen vor der Bundestagswahl tiefgreifende Änderungen in der Migrations- und Sicherheitspolitik voranbringen. Dazu wird die Union Anträge in den Bundestag einbringen, die Entwürfe liegen unserer Redaktion vor. Der Vorstoß sorgt für hitzige Debatten – und jetzt für eine klare Reaktion der SPD: Die Parteispitze präsentiert jetzt einen Gegenentwurf.
Merz reagiert mit Fünf-Punkte-Plan zu Abschiebung auf Aschaffenburg: Kritik der anderen Fraktionen
Merz‘ Pläne sind auch eine Reaktion auf den Messerangriff in Aschaffenburg: Ein abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan hatte dort ein Kleinkind und einen Mann getötet und weitere Menschen verletzt, die Opfer hatten ebenfalls Migrationshintergründe. Kritiker werfen Merz vor, zum Teil Positionen der AfD zu übernehmen und einer Zusammenarbeit mit der Partei den Weg zu ebnen. Denn Merz hatte angekündigt, Mehrheiten für die Anträge mit allen Fraktionen beschaffen zu wollen, die AfD hatte er nicht explizit ausgeschlossen. Nach Ansicht von Kritikern wäre dies das Ende der Brandmauer nach rechts.
Konkret fordern Friedrich Merz und die Union:
- Dauerhafte Grenzkontrollen
- Zurückweisung „ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise“. Das gelte für alle Personen ohne gültige Einreisedokumente, „unabhängig davon, ob sie ein Schutzgesuch äußern oder nicht.“
- Ausreisepflichtige Personen sollen unmittelbar inhaftiert werden, die Zahl der Haftplätze in den Bundesländern soll „signifikant erhöht“ werden. Die Zahl der Abschiebungen soll erhöht werden: „Abschiebungen müssen täglich stattfinden“, heißt es im Antrag der Union.
- Der Bund soll die Länder beim Vollzug der Ausreisepflicht stärker unterstützen, zudem sollen „Bundesausreisezentren“ geschaffen werden.
- Ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sollen in einem zeitlich „unbefristeten Ausreisearrest“ bleiben, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder abgeschoben werden.
Die „Migrationskrise geht maßgeblich aus vom syrischen Bürgerkrieg, den der russische Diktator Wladimir Putin über Jahre angefacht und verlängert hat“, heißt es weiter.
SPD reagiert auf Merz-Aussage: „Keine Zusammenarbeit mit Nazis“
Bei der SPD herrscht nun Zugzwang. Vor allem als Reaktion auf Merz‘ implizite Ankündigung, notfalls auch mit AfD-Stimmen die Unionsanträge durchzubringen, entwarf die Partei einen Slogan, den sie jetzt in den sozialen Medien verteilt: „Nur falls jemand fragt: Keine Zusammenarbeit mit Nazis. Seit 1863.“ Aus der Parteispitze ist auf Nachfrage nun zu hören, dass man von der Union nun eindringlich fordern wird, das Sicherheitspaket der Ampel-Regierung nicht länger zu blockieren.
Tatsächlich hat die Union im Bundesrat einen Teil des Pakets, das die Ampel im letzten Jahr auch als Reaktion auf den Anschlag von Solingen beschlossen hatte, abgeschmettert – darin ging es ausgerechnet um weiterreichende Befugnisse für Sicherheitsbehörden. Doch der Union ging das nicht weit genug. Folge: Die Maßnahmen aus dem Paket sind damit immer noch nicht in vollem Umfang beschlossen.
Der SPD-Parteivorstand hat jetzt in einem Beschluss einen Gegenentwurf zum Merz-Plan verfasst, der dieser Redaktion vorliegt. „Die grausame Gewalttat in Aschaffenburg hat uns zutiefst erschüttert“, heißt es darin. Der Täter müsse nun für diesen „feigen Mord die volle Härte des Rechtsstaates“ spüren. Außerdem müsse „in aller Dringlichkeit aufgearbeitet werden, was in den zuständigen Behörden falsch lief. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.“ Klar ist: Der Täter hätte gar nicht mehr in Deutschland sein dürfen, seine Abschiebung war längst beschlossen. „Sollten sich im Zuge der Aufklärung Gesetzeslücken auftun, werden wir diese schließen.“
„Das Grundrecht auf Asyl steht für uns nicht zur Disposition“, macht die Parteispitze klar – und präsentiert konkrete Maßnahmen:
- Zusätzliche Befugnisse und neue Ermittlungsinstrumente für die Sicherheitsbehörden (BKA und Bundespolizei). Dazu gehört demnach die Befugnis, einen nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten mittels automatisierter Verfahren vorzunehmen.
- Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas). Heißt vor allem: Künftig soll über einen Großteil der Asyl-Anträge schon an den EU-Außengrenzen entschieden werden.
- Die Bundespolizei soll modernisiert und mit neuer Technik ausgestattet werden
- Ein neuer Punkt in der Debatte: „Darüber hinaus wollen wir, dass die Gefährlichkeit von Menschen, die aufgrund psychischer Erkrankungen eine Gefahr für sich wie für andere darstellen, von den Behörden besser erkannt und erfasst werden kann“, heißt es in dem Beschluss. Dazu soll es auch mehr Unterstützung der Vollzugsbehörden durch psychosozial spezialisierte Fachkräfte geben, sowie eine bessere Kommunikation der Behörden untereinander und „eine immer gewährleistete Erreichbarkeit – rund um die Uhr und an allen Tagen.“
Weiter macht die Parteispitze klar: „Die verständliche Wut über unvorstellbare Gewalttaten darf nicht zu Enthemmung und Radikalisierung führen. Schon heute spüren Menschen mit Migrationsgeschichte ein verändertes Klima auf den Straßen und in ihrem Alltag. Menschen, die seit wenigen Monaten oder seit 30 Jahren hier leben, werden wieder anders angeschaut, teilweise sogar angegriffen oder bedroht, weil sie anders aussehen.“
Merz-Plan juristisch strittig: „Alptraum für Sicherheitsbehörden“
Die Sozialdemokraten konzentrieren sich nun auch darauf, den Antrag juristisch zu sezieren. „Die impulsiven Vorschläge von Friedrich Merz und seiner Union verstoßen nicht nur gegen Europa- und Verfassungsrecht, sie sind auch größtenteils einfach nicht durchsetzbar in der Praxis“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete und Jurist Macit Karaahmetoğlu im Gespräch mit dieser Redaktion. „Knapp 4.000 Kilometer Grenze dichtzumachen ohne dafür vorhandenes Personal ist nicht mehr als ein tollkühner Traum vom Unionsvorsitzenden – ein Alptraum hingegen für alle Beamtinnen und Beamten und Sicherheitsbehörden unseres Landes.“
Die SPD-Bundestagsfraktion werde sich keineswegs verweigern, wenn es um „durchdachte, umsetzbare Lösungen“ gehe, so Karaahmetoğlu. „Wir sind gesprächsbereit, wenn es etwa darum geht, die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik in nationales Recht zu gießen oder bei Befugnissen der Bundespolizei.“ Man habe in den vergangenen Monaten immer wieder Angebote gemacht, auch innenpolitische Vorhaben anzugehen, die die innere Sicherheit stärken könnten. „Alle wurden von der Union vehement ausgeschlagen. Nun den schrecklichen Mord an zwei Menschen zu nutzen, um im Wahlkampf den großen Wurf für Deutschlands Sicherheit vorzuspielen, ist ein beschämendes Manöver“, findet der SPD-Politiker.
Kritik an den Merz-Plänen gab es auch beim Bundesparteitag der Grünen am Sonntag in Berlin. Dabei ging es vor allem um die Brandmauer-Debatte: Merz‘ Vorstoß sei „ohne Not“ gewesen, womöglich übereilt, mutmaßten manche; der Kanzlerkandidat der Union habe sich offenbar nicht recht im Griff, sagten andere. In der Union selbst hält man sich bei dem Thema eher zurück, man stehe hinter Merz; hinter vorgehaltener Hand wird aber an der CDU-Basis geraunt, einige seien durchaus schockiert gewesen ob der Aussage, notfalls die Stimmen aller Fraktionen, und damit auch der AfD, mitnehmen zu wollen.
Rubriklistenbild: © Peter Sieben, Christoph Reichwein/dpa (Fotomontage)

