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Hitzige Debatte, viele Versprechen

Rechte eskaliert, Grüne geben wohl bittere Unterstützung: Von der Leyen bleibt – die EU–Sorge auch

Ursula von der Leyen bekommt weitere fünf EU-Jahre – wohl auch, weil die Grünen unter Schmerzen zustimmen. Die Rechten liefern neue Misstöne.

Straßburg – Verglichen mit einer Kanzlerwahl ist die Kür einer EU-Kommissionspräsidentin ein wahrer Krimi: Vor der Wahl des Kanzlers steht seit geraumer Zeit ein Koalitionsvertrag – im EU-Parlament gibt es nicht einmal eine offizielle Koalition, vom Vertrag ganz zu schweigen. Erst kurz vor der Entscheidung werden „Leitlinien” als Quasi-Regierungsprogramm bekannt. Die gefallen den Fraktionen dann in ausreichendem Maß. Oder eben nicht. Und so dürfte Ursula von der Leyen ziemlich erleichtert gewesen sein, als am Donnerstag (18. Juli) um 14.13 Uhr feststand: Sie bleibt für eine weitere Amtszeit EU-Kommissionspräsidentin.

Vorausgegangen war eine in Teilen turbulente Debatte in Straßburg. Verschmerzbar dürfte für von der Leyen gewesen sein, dass die sogar der hart-rechten „Patrioten“-Fraktion zu rechtsextreme Rumänin Diana Șoșoacă mit Maulkorb, Mutter-Gottes-Bildnis, Müllsack und Zwischenrufen einen solchen Zinnober veranstaltete – lachend gefilmt vom skandalumwitterten AfD-Politiker Petr Bystron –, dass sie des Saales verwiesen wurde. Mehr Spannung(en) offenbarte die Rede der Grünen Terry Reintke.

Diana Șoșoacă sorgte mit Maulkorb und lautstarken Zwischenrufen für einen kleinen Eklat im Europaparlament – Saaldiener geleiteten die Rechtsextreme aus dem Plenum.

EU-Mehrheitssuche: Grüne sticheln gegen von der Leyen – und lassen sie dann aufatmen

Denn die Ausgangslage war klar und unklar zugleich: Bislang bildete sich die Mehrheit im Europaparlament vor allem aus der konservativen EVP, Sozialdemokraten und Sozialisten (S&D) und der liberalen Renew. Diese drei haben immer noch rechnerisch eine Mehrheit – aber eine knappere. Auf den Parlamentsfluren waren vor dem Donnerstagmorgen Zweifel an Zuverlässigkeit und Geschlossenheit der Liberalen zu hören. Der deutsche FDP-Promi Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab den Gerüchten am Mittag weiteres Futter: Sie erwarte „mehr Zugeständnisse“, sagte sie dem Sender Phoenix.

Dabei braucht es mittlerweile fast die gesamte politische Mitte für konstruktive Schritte in der EU. Und so wanderten die Blicke zu den Grünen – in der Hoffnung, keine Rechtsaußen-Stimmen für die Kommissionspräsidentschaft zu benötigen. Die wiedergewählte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte schon am Dienstag eine konstruktive „Mehrheit der Hoffnung“ beschworen.

Ursula von der Leyen (re.) bei ihrer Bewerbungsrede – von Terry Reintke (Grüne) gab es Kritik und positive Signale.

Reintke sagte nun in der Aussprache vor der Wahl: „Hat sie uns die nötigen grünen Leitlinien gegeben? Nein.” Nach einer Kunstpause gab Reintke von der Leyen Raum für ein Aufatmen. Dennoch sei für die Grünen „eine Mehrheit der prodemokratischen Fraktionen im Parlament“ entscheidend, betonte sie. Denn eine große Sorge war, dass zu guter Letzt EU-Gegner die Kommission mittragen. Am Ende der geheimen Wahl stand ein vergleichsweise komfortables Ergebnis: 401 Stimme für die Deutsche, 376 wären nötig gewesen.

„Clean Industry Deal“: Von der Leyen im EU-Spagat – „Habe sehr lange Rede gehalten“

Von der Leyen hatte ihre Bewerbungsrede auf Englisch, Französisch und Deutsch gehalten – und schien bemüht, allen potenziellen Partnern etwas anzubieten. Teils in einer Art politischen Fusionsküche. Statt einem „Green Deal“ wie vor fünf Jahren stand nun ein „Clean Industrial Deal“ auf dem Menü – mit Investitionen für (energieintensive) Industrie und Infrastruktur, aber auch einem 90%-CO2-Reduktionsziel bis 2040.

Wie viele Wünsche in von der Leyens Regierungsprogramm passen müssen, zeigte schon die Rededauer: Rund doppelt so lang wie vorgesehen brauchte die alte und neue Kommissionspräsidentin. Kernpunkte, in dieser Reihenfolge: Kapitalmärkte, Sicherheit und Verteidigung, Polizei und hybride Bedrohungen, Migration – samt Menschenrechten und Drittstaatenabkommen – EU-Erweiterung und nötige Reformen an den Entscheidungsstrukturen der EU, Außenpolitik und Nahost, Landwirtschaft, soziale Rechte und Wohnraum, Frauenrechte, Demokratie und Rechtsstaat, bessere Zusammenarbeit mit dem Parlament. „Ich habe eine sehr lange Rede gehalten“, räumte von der Leyen im Schlusswort lachend ein.

Im Gepäck hatte sie auch recht plakative Ideen fürs eigene Personal: ein Kommissions-Vizepräsident für Bürokratieabbau, ein Kommissar für den Mittelmeerraum – Stichwort Migration –, einer für Wohnraum. Auch dieses Paket sollte wohl für alle etwas beinhalten. Schmerzen über die Lage bei der Bürokratie hatten im Gespräch mit IPPEN.MEDIA Abgeordnete aus den eigenen EVP-Reihen geäußert, Maßnahmen gegen hohe Mieten sind ein großes Anliegen der Grünen und der Sozialdemokraten.

Orbán-Anhänger jubeln bei von der Leyens Breitseite – Meloni-Fraktion bleibt vage

Und natürlich stand auch das Wirken der zahlenmäßig gestärkt aus der EU-Wahl hervorgegangenen Rechtsaußen und Rechtsextremen als Elefant im Raum. Von der Leyen griff noch einmal offen Viktor Orbáns Alleingang-„Friedensmission“ an. Es handle sich in Wahrheit um eine „Appeasement-Mission“, rügte sie – begleitet von Pro-Orbán-Rufen aus den hinteren rechten Reihen des Plenums. Der Ungar bleibt wohl der neue Posterboy der Rechtsaußen.

Zwischen allen Stühlen schien sich hingegen die etwas gemäßigtere EKR-Fraktion um die postfaschistische Fratelli d’Italia zu platzieren. Es gebe keine vorgegebene Linie zur Wahl, sagte Giorgia Melonis Parteifreund Nicola Procaccini: Die Fraktion bestehe aus „nationalen Parteien, die selbstständig entscheiden, aufgrund nationaler Interessen“. Im Übrigen werde die Kommissionspräsidentin von Staats- und Regierungschefs nominiert und vom Parlament „nur ratifiziert“. Zu dieser Frage dürfte es im Parlament geteilte Meinungen geben. „Ratifiziert“ ist von der Leyen nun jedenfalls. Allem Anschein nach wird es der Start in eine schwierige Aufgabe.

Aus Straßburg berichtet Florian Naumann

Rubriklistenbild: © Montage: picture alliance/dpa/Philipp von Ditfurth/Jean-Francois Badias/fn

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