Neue Flugblatt-Medienschelte
„Besser wie Sie!“ – Aiwanger und Lang reden sich bei „Maischberger“ in Rage
Wer schadet hier der Demokratie? Und wer verbreitet das Flugblatt? Hubert Aiwanger und Grünen-Chefin Ricarda Lang eskalieren bei „Maischberger“.
Berlin/München – Hubert Aiwanger hätte sich am Mittwochabend (8. November) auch eine Halbe aufmachen können: Markus Söder und Bayerische Landtag hatten den Freie-Wähler-Chef gerade erst erneut als stellvertretenden Ministerpräsidenten bestätigt. Durchaus ein Anlass zum Feiern. Stattdessen trat Aiwanger bei den von ihm so gescholtenen Medien auf; im ARD-Talk „Maischberger“.
In Feierlaune schien der Niederbayer nicht zu sein. Darauf deuteten mehrere nervöse Räusperer hin. Dazu bot ihm die Runde mit Moderatorin Sandra Maischberger und Grünen-Chefin Ricarda Lang aber auch wenig Gelegenheit. Das Gespräch geriet zunehmend turbulent, Aiwanger unter Fake-News-Verdacht – am Ende warfen sich die Grüne und der Konservative gegenseitig Defizite als „demokratische Politiker“ vor. Die Gastgeberin musste daran erinnern, dass gleichzeitig zu reden dem Verstandenwerden nicht dient. Wohlwollend ließ sich der Streit als Musterbeispiel für stark unterschiedliche Positionen in Deutschlands Politik hören. Zu Migration, Asyl – und zum Zustand der Demokratie.
Aiwanger erhebt bei „Maischberger“ neuen Medien-Vorwurf: „Grässliches Flugblatt verbreitet“
Zum Auftakt stellte Maischberger aber nochmal kritische Fragen zur Flugblatt-Affäre. Wobei Aiwanger bekannte Positionen um einen frappierenden neuen Vorwurf ergänzte. „Na ja, im Nachgang kann man immer die Dinge so oder so bewerten“, wich er der Frage auf seine Reaktion zum Flugblatt-Eklat aus. „Auf der anderen Seite muss ich wieder feststellen, es war eine Schmutzkampagne, die gegen mich gerichtet war“, betonte Aiwanger. Die Bürger hätten schließlich es „bewertet“, als „Schweinerei“ – und mit einem „Spitzen-Wahlergebnis“ in Bayern quittiert.
Wofür er sich eigentlich entschuldigt habe? „Das war allgemein gemeint, dass man als Jugendlicher Mist macht.“ Ob allgemeiner „Mist“ mit Antisemitismus vergleichbar sei? „Nichts ist miteinander vergleichbar“, erwiderte Aiwanger. Und holte zum Konter aus. „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“, forderte er – worauf Lang die Stirn runzelte und sich Maischberger erkundigte: „Sitz ich jetzt im Glashaus, oder was?“
Demut, Demut, Demut war die Forderung, na ja – wie viel Demut muss man denn zeigen? (…) Was will man eigentlich erreichen? Aiwanger politisch zur Seite räumen.
„Nicht Sie, aber auf alle Fälle die Journalisten, die mich damals vorführen wollten“, antwortete Aiwanger und stellte wieder einmal die Medien an den Pranger: „Eine Süddeutsche, die mir mit dieser Kampagne Antisemitismus anhängen wollte, aber selber ein grausames Flugblatt hunderttausendfach verbreitet hat, mit dem Ziel mich zu beschädigen, aber ohne Not dieses grässliche Flugblatt für die ganze Welt lesbar verbreitet hat.“ Lang reagierte irritiert auf Aiwangers Verteidigung. „Wenn ich an Mist in der Jugend denke, dann denke ich daran, dass ich zu viele Alcopops getrunken habe“, erklärte sie. Und: „Statt über Antisemitismus in Deutschland zu sprechen, machen Sie sich selbst zum Opfer.“
Grüne-Chefin und Aiwanger in der ARD: Antisemitismus-Schelte - „zur eigenen Positionierung“?
Über Antisemitismus in Deutschland sprach Aiwanger freilich auch – Sandra Maischberger hatte ihrer Kommentatoren-Runde eingangs noch die Frage gestellt, ob der bayerische Vize-Ministerpräsident nach der Flugblatt-Affäre dazu überhaupt glaubhaft in der Lage sei. Es gebe „aggressiven Antisemitismus auf den Straßen“, sagte Aiwanger zu islamistisch geprägten Demos im Land – „das wird in meinen Augen weggewischt von einer linken Medienlandschaft, die dem Aiwanger nachläuft, was der vor 40 Jahren vielleicht getan haben könnte“.
Dann nahm Aiwanger Lang ins Visier. Auf die Grünen könne man sich bei dem Thema Antisemitismus auch nicht verlassen, „bei dieser Einwanderungspolitik“. Die Parteichefin wiederum sah einen verengten Blick auf das Thema bei ihrem Gegenüber. „Wenn man Antisemitismus nur benennt, wenn es bequem ist, dann geht es nicht um den Schutz von Jüdinnen und Juden, dann geht es um die eigene politische Positionierung.“ 84 Prozent der antisemitischen Taten gingen 2022 auf das Konto von Rechtsextremisten, zitierte Maischberger das Innenministerium am Tag vor dem Gedenken an die November-Pogrome des NS-Regimes.
Asyl-Streit mit Aiwanger: „Alles wegmachen“
„Wir haben uns Antisemitismus ins Land geholt, importiert, ohne Not“, fuhr indes Aiwanger fort. Nötig sei härteres Durchgreifen, auch gegen aus dem Ruder laufende Demonstrationen – die Polizisten seien am Rande der Einsatzfähigkeit, mahnte er auf den Einwand hin, genau das geschehe bereits. Gegen Israel gerichtete Demonstrationen seien zu verbieten und aggressiv auftretende Teilnehmer ohne deutschen Pass abzuschieben. Letzteres hatte vor wenigen Tagen auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) angekündigt – jedenfalls für den Fall antisemitischer Äußerungen.
„Man macht es sich zu leicht, wenn man so tut, als ob sich ein Problem einfach wegschieben lässt“, entgegnete Lang. Junge Menschen lebten teils in zweiter, dritter Generation in Deutschland. „Alle wegmachen“ funktioniere in einem Rechtsstaat gar nicht. Neben Härte brauche es auch Integrationsbemühungen. „Wir haben eine Zuwanderung von teils 1.000 Menschen pro Tag“, konterte Aiwanger. Viele davon würden „auffällig“. Um diese wieder außer Landes zu bringen, tue die Ampel-Koalition zu wenig. Der Großteil der Geflüchteten sei 2022 aus der Ukraine gekommen, betonte Lang. „Und viele andere“, grätschte Aiwanger dazwischen.
„Das stimmt nicht!“ Aiwanger kassiert Fake-News-Vorwurf bei „Maischberger“
Lang forderte indes mehr Geld für die Unterbringung Geflüchteter, schnellere Verfahren, Migrationsabkommen – denn die meisten Abschiebungen scheiterten an der Rücknahme durch die Herkunftsländer – und Arbeitsmöglichkeit für Arbeitswillige. Womit gleich das nächste Fass aufgemacht war. „Ja, bitteschön. Aber sie geben das Bürgergeld ja auch Menschen, die könnten, aber gar nicht arbeiten wollen“, rief Aiwanger. Unter den Ukrainern gebe es deutlich geringere Arbeitsquoten als in Nachbarländern. „Weil die bei uns Wohnung, Heizung und 560 Euro bekommen, das verdient nicht mal ein Mindestlohnempfänger!“
Wie schon in einem Talk vor der Bayern-Wahl musste Aiwanger Fake-News-Vorwürfe einstecken. „Das stimmt nicht, das ist nachgewiesen, wenn man arbeitet, hat man in Deutschland immer mehr“, stellte Lang klar. Wogegen Aiwanger bestenfalls indirekt protestierte. „Vielleicht 100 oder 200 Euro und arbeitet 40 Stunden“. Womit die nächste Eskalationsstufe erreicht war: Steuerpolitik. „Wenn wir dafür sorgen wollen, dass sich Arbeit noch mehr lohnt in Deutschland, dann sind wir gern dabei“, bot Lang an, „Erhöhung des Mindestlohns, mehr Tarifbindung …“, das bringe auch Binnennachfrage. Aiwanger winkte ab: „Damit unsere Wirtschaft noch weniger wettbewerbsfähig ist …“: „Sie müssen die Steuern senken!“
Das Spiel ging weiter: Sie könne wenig damit anfangen, Gruppen gegeneinander auszuspielen, sagte Lang zum Widerstreit zwischen Mindestlohn und Bürgergeld – „man muss Probleme benennen“, erwiderte Aiwanger. Da war das Thema Abschiebungen noch gar nicht angeschnitten.
Grünen-Chefin Lang und Aiwanger bei „Maischberger“ in Rage: „Jetzt ist es plötzlich ein Schnellverfahren ...“
Denn Lang bezweifelte die Erfolgsaussichten von Plänen für Asylverfahren in Drittstaaten. Jeder Vorschlag müsse dem Europarecht entsprechen, betonte sie. Das britische „Ruanda-Modell“ aber widerspreche der Genfer Flüchtlingskonvention. Nach „gesundem Menschenverstand“ müsse man an der Grenze Menschen zurückweisen können, nach Österreich, Tschechien oder Polen, betonte Aiwanger. Nach der Flüchtlingskonvention habe jeder das Recht, einen Asylantrag zu stellen, erklärte Lang. Ob Aiwanger denn daraus austreten wolle?
„Auf jeden Fall können wir so nicht weitermachen“, erklärte der ausweichend. Nötig seien Schnellverfahren. Wem nachgewiesen werden könne, dass er die Behörden „veräppelt“, solle zurückgeschoben werden können. „Jetzt ist es plötzlich ein Schnellverfahren an der Grenze. Gerade war’s noch die Zurückweisung“, wunderte sich die Grüne. „Das widerspricht sich nicht, das kann man beides parallel machen!“, redete sich Aiwanger in Rage. „Ihr höchstes Ding ist die Genfer Flüchtlingskonvention und wenn Deutschland draufgeht, Hauptsache die Genfer Flüchtlingskonvention!“ Der nächste Vorwurf klang vage nach bekannten Verschwörungstheorien: „Die grüne Politik ist, dass sie Deutschland verändern wollen.“
Auch Lang wurde daraufhin grundsätzlich: „Die Lehre aus der Shoah ist, dass das individuelle Recht auf Asyl für uns gilt und ich finde, wie Sie damit umgehen …“, setze sie an und ging zwischenzeitlich in Aiwangers Replik unter. Aiwanger werde seiner „Verantwortung als demokratischer Politiker an verschiedensten Stellen nicht gerecht“, war etwas später schließlich wieder gut zu verstehen. „Besser wie Sie!“, rief der Gescholtene: „Besser wie Sie!“
Aiwanger wirft Habeck Beschädigung der Demokratie vor – „Und jetzt passen‘s auf...“
Und auch eine letzte Eskalationsstufe hatte Aiwanger noch parat. Wobei die große Frage nach den Pflichten demokratischer Politik implizit auf dem Tablett lag. Gilt es, zwischen den Wahlen auch unliebsame Entscheidungen zu treffen – oder dem aktuellen Willen der Wähler zu folgen? Unter anderem Habeck beschädige die Demokratie, erklärte der oberste Freie Wähler mit Blick auf den Heizungsstreit des Frühjahrs und Sommers. „Wir sind nicht in der Politik, um beliebt zu sein, sondern wir ziehen unser Ding durch“, sei die Haltung gewesen. „Damit fahren sie den Karren an die Wand, damit machen sie die AfD stark“. Lang relativierte – mit einer Spitze: „Manche Menschen haben die Ängste ganz bewusst und ein bisschen an den Fakten vorbei gefüttert.“
Nicht einig wurden sich Lang, Aiwanger – und die skeptisch bis amüsiert dreinblickende – Maischberger auch bei der Frage, ob Aiwanger bei seiner Rede in Erding die Demokratie im Lande infrage gestellt hat. Die Ampel „praktiziert die Demokratie nicht“, erläutert Aiwanger seine Haltung. Man müsse doch auch die Sätze vor seinem Ruf nach dem „Zurückholen der Demokratie“ anhören. Für Lang war die Sache klarer: „Sie haben gesagt, Sie wollen die Demokratie zurückholen und damit implizieren Sie, dass die Demokratie weg war!“
„Und jetzt passen’s auf, noch letzter Satz“, grätschte Aiwanger Maischbergers nächste Frage nach der Energiepolitik ab. Grünen-Geschäftsführerin Emily Büning habe sogar gefordert, die Demokratie „zurückzuerobern“, also „mit Gewalt zurückholen“. Lang reagierte mit einem irritierten Blick. „Dann googlen‘s das mal!“, forderte Aiwanger.
Tatsächlich kursiert der Satz seit ein paar Wochen vorwiegend in rechten Medien. Büning hatte das Zitat nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen dem TV-Sender Phoenix gegeben. Kontext waren die Ergebnisse der AfD. „Unsere Demokratie ist stark, aber wir müssen sie uns jetzt auch zurückerobern, denn ich nehme das schon als große Gefahr auch wahr, für unsere Demokratie, aber auch für unsere Wirtschaft und Gesellschaft“, sagte sie. Womöglich wäre das ja ein konsensfähiger Punkt gewesen: Dass es auf den Kontext immer ankommt. (fn)