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Kritik auch an Scholz

„Naiver kann man nicht verhandeln“: Grünen-Experte zerreißt Leyens Tunesien-Deal – und nennt Alternative

Wie lässt sich Migration ordnen? Ein Grünen-Politiker fordert bei Ippen.Media einen Kurswechsel – samt Kritik an EU und Kanzler Scholz.

Brüssel/Rabat – Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am ersten Tag ihrer Marokko-Reise einen kleinen Erfolg verbucht: Eine „Absichtserklärung“ ist unterzeichnet – offenbar nicht nur zu Sicherheits-, sondern auch zu Migrationsfragen. Der praktische Nutzen ist noch unklar. CDU und FDP forderten aber am Dienstag (31. Oktober) umgehend mehr: Ein echtes Zeichen für die „Zeitenwende im Umgang mit der illegalen Migration“ verlangte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei in der Rheinischen Post. Liberalen-Fraktionschef Christian Dürr drang an selber Stelle auf eine Einstufung Marokkos als sicheres Herkunftsland.

Einen ganz anderen Blick auf die Migrationspolitik von Deutschland und EU hat der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt: Im Gespräch mit Ippen.Media rügte er einen Regel-Dschungel, Naivität beim Versuch der Aushandlung von Abkommen und ein Scheitern des zwischenzeitlich gefeierten EU-Deals mit Tunesien: „Wir müssen jetzt mal den Schalter umlegen, statt immer wieder gegen die gleiche Wand zu rennen“, betonte Marquardt – samt einer indirekten Schelte für Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Abschiebungen im großen Stil? Grüner rügt gefühlte „Dauerkrise“: „Müssen Schalter umlegen“

Marquardt übte grundsätzliche Kritik an der Stoßrichtung der Migrations- und Asyldebatten in Deutschland. „Unser Einwanderungsland ist gefesselt in Bürokratie und Realitätsverweigerung, da helfen Debatten um Abschiebungen im großen Stil nicht“, sagte er – ein Verweis auf ein aktuelles Zitat aus Scholz‘ Munde. „Die meisten Menschen, die kommen, dürfen bleiben. Es muss darum gehen, wie sie schnell Teil der Gesellschaft werden.“

„Der Wettbewerb um die härteste Rhetorik über Rückführungen wird nur die Rechtspopulisten als Gewinner haben“, warnte Marquardt. Streit über Abschreckung, Abschottung und Abschiebungen habe in den vergangenen Jahrzehnten zu unzähligen Regeln, einem Mangel an Geld für Integration geführt – und in eine „gefühlte Dauerkrise“. „Wenn wir unser Rentensystem und unsere Wirtschaft erhalten wollen, brauchen wir mehr Migration“, betonte Marquardt. Nötig seien aber die entsprechende Infrastruktur und bessere Steuerung von Migration.

Migrationsabkommen mit Tunesien: „Naiver kann man nicht verhandeln“

Letztere lasse aber nicht über neue Regelungen in Deutschland, sondern über Abkommen mit Drittstaaten erreichen, erklärte der Migrationspolitiker Ippen.Media: So lasse sich irreguläre durch reguläre Migration ersetzen – wie etwa im Falle der Westbalkanstaaten geschehen. „Dazu muss man den Staaten ernsthaft etwas anbieten“, betonte Marquardt. In der Vergangenheit seien Migrationsabkommen gescheitert, weil sie einseitig auf „Rückführungen“ setzten.

Es funktioniert nicht, Autokraten wie Kais Saied ganz viel Geld zu geben und dann zu hoffen, dass er alles macht, was die EU will

Erik Marquardt urteilt im Gespräch mit Ippen.Media klar aber den Tunesien-Deal der EU.

Hart urteilte Marquardt über die Bemühungen der EU in Tunesien. Das unter anderem von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ausgehandelte Abkommen sei bereits gescheitert – auch weil Migrationspolitik „keine Showveranstaltung“ sei. „Wenn man sich hinstellt und in Pressekonferenzen erklärt, dass eine Fluchtroute bald geschlossen wird, steigen natürlich die Zahlen. Naiver kann man nicht verhandeln“, sagte der Grüne. Nun könne Tunesiens Präsident Kais Saied „den Preis hochtreiben“.

Schwierige Gespräche: Giorgia Meloni, Ursula von der Leyen und Mark Rutte zu Besuch bei Tunesiens Präsident Kais Saied.

„Es funktioniert nicht, Autokraten wie Kais Saied ganz viel Geld zu geben und dann zu hoffen, dass er alles macht, was die EU will“, erklärte Marquardt weiter. Nötig seien „ernsthafte Migrationsangebote und Perspektiven für die tunesische Bevölkerung und nicht ein paar Millionen für einen Diktator“. Biete die EU hingegen etwa Visa-Erleichterungen, dann könne sich „Diktator Saied dem schwer verweigern“. Man solle die Flucht aus afrikanischen Staaten nach Deutschland aber auch nicht überschätzen, sagte Marquardt Ippen.Media: „Sie macht nur etwa 12 Prozent der Asylanträge hier aus.“

Faeser in Marokko: Grüner Marquardt fordert neues Vorgehen - Ministerin sieht schon „Augenhöhe“

Auch seine Partei, die Grünen, wollte Marquardt nicht von der Kritik ausnehmen. Mit dem Finger auf andere zu zeigen, sei leicht, warnte er. Es müsse nun „ein gemeinsames Verständnis davon geben, dass Migrationsabkommen in der Vergangenheit gescheitert sind, weil sie einseitig auf Rückführungen gesetzt haben“.

Faesers Marokko-Reise dauert unterdessen auch am Dienstag noch an. Die Innenministerin betonte, dass Rückführungen nicht ihr einziges Anliegen sind. Sie hatte auch Arbeitsmarktzugänge für Marokkaner, eine Kooperation gegen Schleuser und gemeinsame Terrorbekämpfung als Angebote im Gepäck.

Man könne eine Perspektive für Menschen aus Berufen bieten, die in Marokko „nicht so sehr“ nachgefragt seien, erklärte Faeser am Montagabend in den ARD-„Tagesthemen“. Die Sinnhaftigkeit einer Einstufung Marokkos als sicheres Herkunftsland bezweifelte sie dort. Besser sei es, „auf Augenhöhe zu verhandeln“. Faeser kündigte auch einen weiteren Besuch vom Bevollmächtigten der Ampel-Koalition, Joachim Stamp, in Marokko an. (Florian Naumann)

Rubriklistenbild: © IMAGO/ANP/Freek van den Bergh

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