Von der geheimen Pulverfabrik zur Stadt
Ein Besuch im Bunker 29: Meine erste Begegnung mit Waldkraiburgs Geschichte
Der „Bunker 29“ ist ein besonderes Museum: Er zeigt den Weg vom geheimen Pulverwerk zur Industriestadt. Für die 18-jährige Autorin aus Gars-Bahnhof war es die erste Begegnung mit Waldkraiburgs Geschichte.
Waldkraiburg - Auf den ersten Blick ist er unscheinbar. Auf den zweiten wirkt er zwischen den Wohngebäuden doch etwas deplatziert. Dabei stand er schon da, bevor es die Stadt Waldkraiburg überhaupt gab: der Bunker 29. Heute ist er ein Industriemuseum.
Ich sitze auf der Bank gegenüber des Bunkers und betrachte ihn. Sechs graue Türen in gleichmäßigem Abstand. Eine wirkliche Ahnung davon, was sich hinter ihnen befindet, habe ich nicht. Ich bin 18, komme aus Gars-Bahnhof. Es ist meine erste Begegnung mit der Geschichte Waldkraiburgs, in die mich Elke Keiper, Leiterin der städtischen Museen, einführt.
Ein Wohlfühlort ist es zunächst nicht
Raum 1: Der Ursprung: Es ist etwas kühl und riecht wie in einem alten Keller. In der Mitte steht eine wuchtige, grüne Maschine mit einem eckigen Behälter, der bis auf eine Luke verschlossen ist. Rechts führt eine Holztreppe zu einer Plattform im hinteren Teil des Raums.
Eine alte Deckenlampe ist die einzige Lichtquelle im Raum. Ich bin froh über die offene Tür und das Licht, das sie hineinlässt. Ein Wohlfühlort ist es trotzdem nicht.
Die Beschriftung an der Wand „Die Knetmaschine“ und Elke Keiper klären mich über die Maschine auf. Sie ist eine Rekonstruktion, während des Zweiten Weltkriegs diente der Bunker als Knetmaschinen-Gebäude.
Am liebsten würde ich Schutz suchen
Dann fragt mich Keiper, ob ich noch mehr erleben möchte. Ich nicke und dann geht es los: Es knattert und knallt und fühlt sich nicht richtig an, einfach so dazustehen. Ich würde mir am liebsten Schutz suchen. Eine Schießerei.
Impressionen aus dem Besuch im Waldkraiburger Industriemuseum „Bunker 29“




Dann erläutert ein Sprecher die Anfänge Waldkraiburgs als geheime Pulverfabrik „Werk Kraiburg“. Meine Anspannung fällt ab. Ein abgesperrtes Waldgelände, auf dem in Bunkern Munition für den Krieg hergestellt wird. Das ist aber geheim, die Arbeiter sprechen nur von der „Schokoladenfabrik“.
Einsturzgefahr und neues Leben nach dem Krieg
Raum 2: Im Wandel: Gewaltige Risse in der hinteren Wand und Decke. Einzelne Teile scheinen sich bereits zu lösen und drohen den Raum zum Einsturz zu bringen. Ich zögere kurz, bevor ich mich hineintraue. Natürlich sind die zerstörten Wände eine Attrappe. Aber in der unmittelbaren Nachkriegszeit war der Anblick eines zerstörten Bunkers keine Ausnahme.
Denn das Ende des Kriegs bedeutete auch das Ende des Pulverwerks. „In diesem Raum geht es um den Versuch, sich das Leben einzurichten“, erklärt Keiper. Nach Kriegsende kommen Heimatlose, aber auch vertriebene Firmen auf das Gelände und siedeln sich an.
Manches erinnert mich an mein Büro
Raum 3: Wiederaufbau: Wie ein Bilderrahmen schließt sich der dunkelrot gestrichene Raum um die Nachstellung eines Büros: ein Schreibtisch mit Stuhl, dahinter ein Schrank mit Ordnern und Bildern an der Wand. Es könnte mein Arbeitsplatz sein, nur die Möbel sind altmodischer, das Telefon hat ein Kabel und eine Schreibmaschine ersetzt meinen Computer.
Wonach ich in meinem Büro aber lange suchen kann, ist das große, rote Stativ, auf dem eine Modellskizze einer Pumpe lehnt. So wie hier fing in Waldkraiburg die Pumpenfabrik Dickow an. „Wiedergründung“, beschreibt Keiper das Schicksal der Firma knapp. Das Wissen war schon vorhanden, jetzt ging es in den alten Bunkern neu los.
Der Gummi spielte auch in Waldkraiburg eine Rolle
Raum 4: Neuaufbau durch Vorhandenes: Als Elke Keiper die vierte Tür aufschließt, strömt mir bereits der Geruch von Gummi entgegen. Kein Wunder: An der linken Wand hängen schwere Gummimatten, da macht der Lkw-Reifen rechts auch keinen Unterschied mehr.
Protagonist des Raums ist ein massives Walzwerk, das trotz der unterschiedlichen Funktion an die Knetmaschine des ersten Raums erinnern lässt. Beide Maschinenarten wurden auch ursprünglich im „Werk Kraiburg“ verwendet.
Viele Maschinen des Pulverwerks gingen nach dem Krieg als Reparationszahlungen ins Ausland. „Diese wurde aber übersehen“, erzählt Keiper. Ein Glücksfall, denn so konnte die Gummiindustrie auch in Waldkraiburg Fuß fassen.
Bonbons zeugen von guter Laune und Zuversicht
Raum 5: Der Alltag kehrt zurück: Das Gröbste ist überwunden. Keine einstürzenden Wände und schwere Maschinen mehr. Stattdessen pastellfarbene Wände, ein Schachbrettmuster auf dem Boden, links erleuchtete Bilder von bunten Bonbons und Kindern, rechts Bonbons in einer kleinen Glaskuppel und ein kupferfarbener Kessel.
Eine Arbeiterin in weißem Kittel und mit Haube lächelt mich an. Ihre Hände sind in einem großen Behälter voller Bonbons vergraben. Ich beneide sie ein bisschen, abgesehen davon, dass sie einen Weltkrieg durchlebt hat.
„Das war eine typische Nachkriegsware“, sagt Keiper. Die Herstellung und Beschaffung der Zutaten sei leichter und vor allem günstiger gewesen, als die von Schokolade. Und so gab es auch in Waldkraiburg eine Bonbon-Fabrik.
Das Ende meiner Zeitreise in Waldkraiburgs Geschichte
Raum 6: Zurück in der Zukunft: Mit dem letzten Raum ist die Zeitreise beendet. Er steht ganz für die heutige Industrie. Hier wird keine Szene rekonstruiert, so wie sie mal war oder gewesen sein könnte. Viele kleine Schaukästen sind an der Wand, jeder gibt einen Einblick in eines der Unternehmen der Industriegemeinschaft Waldkraiburg: ein Spiegel der vielseitigen Industrie Waldkraiburgs.
Nach einer guten Stunde stehe ich wieder vor dem Bunker. Die Sonne scheint. Die sechs Türen sind wieder fest verschlossen. Bislang kannte ich Waldkraiburg hauptsächlich vom Einkaufen, hatte mir nie viel Gedanken über sie gemacht. Ich bin beeindruckt, welche Geschichte die Stadt hinter sich hat, wie aus der einst geheimen „Schokoladenfabrik“ das Waldkraiburg von heute geworden ist.
Tag des offenen Denkmals im „Bunker 29“
Am Sonntag, 10. September werden anlässlich des Tag des offenen Denkmals Führungen durch das Industriemuseum „Bunker 29“, Schweidnitzer Weg 6, angeboten. Diese finden von 14 Uhr bis 15.30 Uhr alle halbe Stunde statt. Der Eintritt ist frei.