Was Sie schon immer wissen wollten
„Lost Places“ in Waldkraiburg: Die Geheimnisse einer Ruine am Oderweg und ein tödlicher Hügel
Waldkraiburg lebt und pulsiert. Doch auch hier gibt es – von Autofahrern, Radlern und Fußgängern unbemerkt – vergessene Zeugnisse der Geschichte; eines sogar mit einer tödlichen Warnung.
Waldkraiburg – Geht es um „lost places“ – also um sogenannte verlassene Orte –, dann kann Waldkraiburg in jedem Falle ein Stück weit mitreden, findet Waldkraiburgs Stadtarchivar Konrad Kern. Er nennt dafür zwei Plätze in der Stadt, die einen Blick in die Vergangenheit gewähren. Jedoch wissen davon wahrscheinlich die wenigsten.
Würde der Prinz wie bei Dornröschen „Am Oderweg“ die Hecken zerschlagen, dann wäre sein Lohn kein Schloss und erst recht keine liebreizende Prinzessin, sondern eine alte, zerfallene Ruine, die zu den verborgenen und weitestgehend unbekannten Gebäuden im Stadtgebiet gehört. Die breite Öffentlichkeit nimmt dieses Gemäuer jedoch kaum wahr, weil es sich tatsächlich hinter starkem Baumbewuchs versteckt.
Wie der Ruinenweg zu seinem Namen gab
Die Ruine diente im Zweiten Weltkrieg als eines von insgesamt elf Pressengebäuden des Pulverwerkes. „Diese Gebäude waren sehr kompakt gebaut und für die zivile Nutzung ab 1946 unbrauchbar“, so Kern. Daher seien die Gebäude ein Jahr später gesprengt worden. Die übrig gebliebenen Ruinen wurden im Zuge der weiteren Besiedelung abgetragen. Drei der Ruinen standen am Ruinenweg. Sie gaben der Straße ihren Namen.
Weil die Ruine am Oderweg im Bereich des „Grünen Rings“ steht und dieses Areal als Dauergrünfläche von einer Bebauung verschont blieb, ist sie bis heute unverändert erhalten. Aus Sicherheitsgründen wurde die Fläche aber eingezäunt. Am Oderweg zählt zu den Stationen auf dem „Weg der Geschichte“ in der Industriestadt.
Erdhügel als Schauplatz eines tödlichen Unfalls
Im sogenannten „Komotauer Park“ an der Ecke Troppauer Straße und Komotauer Weg weist Stadtarchivar Kern auf einen weiteren spektakulären Platz hin. Eigentlich ist dort nur ein bewachsener Erdhügel zu sehen, der es aber in sich hat. Einige US-Soldaten verloren an dieser Stelle nach dem Kriegs nämlich ihr Leben.
Der Erdhügel gehört zum Bunker 222, der durch einen Unglücksfall vollkommen zerstört wurde. Das im Mai 1945 stillgelegte und unkontrolliert sich selbst überlassene weitläufige Gelände der DSC wurde von Einheimischen, Ausländern und den oft wechselnden Besatzungseinheiten der US-Armee wiederholt geplündert. „Die Leute konnten alles gebrauchen, angefangen von Werkzeugen, Kupferrohren bis hin zu Eisenhämmern, Schaufeln und Brettern“, erzählt Kern. Schubkarrenweise wurden die Materialien abtransportiert.
US-Soldaten, die vermutlich im Juli 1945 ebenfalls auf dem Gelände unterwegs waren, warfen in einen offenstehenden, noch mit Pulver gefüllten Bunker einen glimmenden Zigarettenstummel. Die sofortige Explosion tötete die Soldaten und zerstörte das Gebäude.
Beginn der deutschen Verwaltung des heutigen Waldkraiburgs
Dieser Vorfall veranlasste die Militärregierung offenbar dazu, eine deutsche Verwaltung für das Gebäude zu gründen. Für den Posten wurden zwei ehemalige leitende Männer der Deutschen Sprengchemie (DSC) GmbH ausgewählt: Dr. Bernd Meppen und Ingenieur Carl Ringe. Sie berichteten dem bayerischen Wirtschaftsministerium 1946 von diesem Vorfall.
Meppen und Ringe wiederum versuchten ehemalige Mitarbeiter zurückzuholen, um das Werk vor wilden Plünderungen, Zerstörungen und Demontagen zu schützen. Außerdem mussten die bei der Bombardierung entstandenen Schäden notdürftig behoben und Blindgänger nach Möglichkeit entsorgt werden.
Es gab seinerzeit auch erste Überlegungen, wie man das Areal eventuell zivilen Zwecken zuführen könnte. Die Gehälter der Notbelegschaft übernahm auf Anweisung der Militärregierung das Landratsamt Mühldorf. Für Konrad Kern ist es beinahe ein Wunder, dass trotz gewaltiger Explosion ein Hügel übrig geblieben ist, wenn dieser auch ein trostloses und ziemlich unbekanntes Dasein fristet.
Bekannt, aber selbst bei Stadtführungen ausgespart
Sogar bei den Stadtführungen werden der Oderweg und der Hügel am Komotauer Park meistens ausgespart. Selbst der Stadtarchivar gibt zu, keinen Abstecher dorthin zu machen. Ein etwas besserer Blick auf die dunkle und schaurige Ruine am Oderweg ist im Herbst und Winter zu erhaschen, wenn der dichte Baumbewuchs zum großen Teil seine Blätter verliert.
Ferienausschuss beschließt über Haushalt und Bunker
Die Zeugnisse der Kriegszeit waren der Grundstock für die Entwicklung Waldkraiburgs und beschäftigen die Stadträte noch heute, so auch am Dienstag, 5. September. Um 18 Uhr tagt der Ferienausschuss des Stadtrates ab 19 Uhr im Rathaus im Großen Sitzungssaal. Auf der Tagesordnung steht unter anderem ein Bauantrag für eine neue Nutzung und Aufstockung eines bestehenden Bunkers in der Porschestraße. Hier sollen Lager- und Geschäftsräume sowie eine Einliegerwohnung entstehen. Der wichtigste Tagesordnungspunkte sind aber der Haushaltsplan 2023 sowie der Finanz- und Investitionsplan bis 2026, über den die Stadträte beschließen und damit die haushaltslose Zeit beenden werden. (esc)

