Sparmaßnahmen im „InnKlinikum“
Verheerende Auswirkungen – Schließung der Schmerztherapie stürzt Patienten in Verzweiflung
Sie wissen nicht, wohin mit ihrem Schmerz. Nicht nur Andrea Klemms Schicksal zeigt, welch verheerende Wirkung die Schließung der Schmerztherapie in Mühldorf hat.
Mühldorf/Kraiburg – Die komplizierten Namen der Arzneien kommen Andrea Klemm leicht und flüssig über die Lippen. Es sind starke Medikamente, die sie nehmen muss, ohne die sie nicht leben könnte. Sie spricht von Opiaten, Aufhellern, Entzündungshemmern, Arzneien mit Suchtgefahr, Nebenwirkungen und starken Wechselwirkungen zu anderen Pillen. Von Medikamenten, die nur dann wirklich helfen, wenn ihre Einnahme begleitet wird.
Lebensretter Schmerztherapie
Diese Begleitung hat die Journalistin aus Kraiburg in der Schmerztherapie von Dr. Hans-Helmut Gockel im Mühldorfer Krankenhaus erlebt. Ihr drastisches Urteil über die vergangenen Monate: „Ohne Dr. Gockel wäre ich gegen den Baum gefahren.“
Klemm leidet seit fast zehn Jahren unter einem wandernden Körperschmerz, unter ständig verkrampfter Haltung, unter Abnutzung der Gelenke. Sie spricht sie von einem „abartigen Schmerzlevel“ seit mehr als fünf Jahren. Eine Operation der linken Schulter im Februar 2023 bringt die 43-Jährige an den Rand dessen, was sie ertragen kann, „es fühlt sich wie Abstechen an“, sagt sie.
Viele Patienten, viel zu wenig Geld
Die Zahl der Pillen wächst, zeitweilig sind es 30 Tabletten am Tag. Darunter mehrere Sorten Schmerzmittel, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig mindern. Im August 2023 geht Klemm in die Schmerztherapie im Mühldorfer Krankenhaus. Der langsame Weg der Besserung beginnt. Jetzt könnte er abrupt zu Ende sein, denn die Schmerztherapie gibt es nicht mehr. Das „InnKlinikum“ hat diese Abteilung am Krankenhaus Mühldorf im Dezember geschlossen.
Klinikchef: Chronisch unterfinanziert
Nicht medizinische Gründe oder mangelnde Patientenzahlen haben nach Angaben von Klinikchef Thomas Ewald“ zur Schließung der Schmerztherapie geführt: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese in der Region nicht wirtschaftlich zu betreiben ist“, sagt er. „Dieses spezielle Medizinangebot ist von den Kassen chronisch unterfinanziert und das ‚InnKlinikum‘ kann diese hochdefizitäre Abteilung in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation leider nicht mehr länger tragen.“
21 Mitarbeiter sind von der Schließung betroffen – und zuletzt 21 Patienten, die letzten wurden im Dezember, wenige Tage vor der Schließung neu aufgenommen. Insgesamt nahmen nach Klinikangaben 1317 Menschen das Angebot wahr. Ein Drittel der Patienten, das betont Ewald, seien nicht aus den Landkreisen Mühldorf und Altötting gekommen. Die beiden Landkreise als Besitzer der Krankenhäuser hätten aber das Defizit tragen müssen; zusätzlich zu den 28,7 Millionen Euro, die die Kliniken heuer kosten werden.
Krankenkassen zahlen Pauschalen
Die Schmerztherapie wird bei einer stationären Einrichtung, wie sie in Mühldorf zunächst betrieben wurde, über bundeseinheitliche Fallpauschalen finanziert, erläutert Helga Leirich von der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern auf Anfrage. Für teilstationäre Einrichtungen wie die spätere Tagesklinik handeln Krankenkassen und Kliniken eine Tagespauschale plus Pflegegeld aus.
Die Klinikleitung nennt verschärfte Anforderungen als Grund für die Kostenexplosion. „Durch die später erfolgte Verschärfung dieser Vorgaben konnte keine Kostendeckung mehr erreicht werden“, sagt Medizinvorstand Dr. Wolfgang Richter. Anders als zu Beginn 2021 sei mehr medizinisches und therapeutisches Personal notwendig gewesen.
Auch die Reduzierung auf eine Tagesklinik statt des Vollbetriebs habe das Scheitern nicht verhindern können. „Leider mussten wir im Betrieb feststellen, dass die komplexen Strukturvorgaben einen wirtschaftlichen Betrieb unmöglich gemacht haben.“
Nicht dauerhaft zu erhalten
Mühldorfs Landrat Max Heimer verteidigt die überraschende Schließung. „Man war damals so optimistisch“, sagt er zu Gründung der Schmerztherapie vor nur zweieinhalb Jahren. „Es ließ sich aber nicht so stabil aufstellen, dass man es dauerhaft erhalten kann.“
Andrea Klemms Erzählungen machen deutlich, warum die spezielle Schmerztherapie so wichtig ist, warum es nicht nur um die richtige Dosierung der richtigen Medizin geht: „In der Tagesklinik wird ganzheitlich gearbeitet.“ Zu den Pillen kommen Physiotherapie, seelische Übungen, Ernährungslehre und Schulungen über den Umgang mit den Arzneien. Von einer „Fünf-Sterne-Betreuung fachlich und menschlich“ spricht sie, von einer hohen Zahl an Therapeuten verschiedener Fachrichtungen. Sie vermutet: „Der Personalschlüssel war super, aber einfach zu hoch.“
Wie soll es für Schmerzpatienten weitergehen?
Wie es für Andrea Klemm und die anderen Schmerzpatienten jetzt weitergeht, ist offen.
Vor dem Kreistag konnte „InnKlinikums“-Chef Thomas Ewald die entscheidende Frage nicht beantworten: Wohin sollen Schmerzpatienten gehen, um ihr Leiden umfassend behandeln zu lassen? In Schmerz-Praxen in Burghausen oder Vilsbiburg kommen neue Patienten nur schwer unter, die Praxen sind übervoll. Für Ralf Lechertshuber ist die letzte Alternative München unerreichbar. „Das geht mit den Schmerzen nicht“, sagt der 53-Jährige. „Ich versuche hier jemanden zu finden, aber es gibt keinen Ersatz.“
Zu den körperlichen Problemen kommen bei ihm die finanziellen. Der Mühldorfer ist seit Mai 2019 im Krankenstand und kann wegen der Schmerzen nur sporadisch arbeiten. Die Fahrt nach München kommt da noch obendrauf.