Rund um die Uhr ein offenes Ohr
Auf den Spuren von „Felicitas“ und „Loretta“: Telefonseelsorge Mühldorf sucht Ehrenamtliche
Nahezu rund um die Uhr läutet bei der Telefonseelsorge in Mühldorf das Telefon. Nicht alle Anrufe können angenommen werden. Darum braucht es weitere Ehrenamtliche. Das sollten Interessierte mitbringen.
Mühldorf – Wenn „Loretta“ die Tür aufsperrt und die Treppe zum Büro hinaufgeht, lässt sie ihre Sorgen hinter sich. Denn wenn kurz darauf das Telefon klingelt, schenkt sie allein der Person am anderen Ende der Leitung ein offenes Ohr. Loretta arbeitet als Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge in Mühldorf. „Loretta“ steht nicht in ihrem Ausweis, sondern ist ein Alias-Name, der ihrer Person jedoch fest zugeordnet ist. Die Gespräche bei der Telefonseelsorge sind anonym – das gilt auch für die Ehrenamtlichen.
Ihre volle Aufmerksamkeit braucht „Loretta“, denn die Themen der Anrufer sind meistens ernst: Einsamkeit, Erziehungsprobleme, Beziehungskrisen, Suizidgedanken. „Wenn ich mich nicht ganz darauf einlassen könnte, merken das die Anrufenden”, sagt sie.
Im Nachgang dokumentiert sie jedes Gespräch – je intensiver sie das tue, desto besser könne sie selbst das Gesprochene verarbeiten. Falls sie selbst Redebedarf hat, gibt es für sie und die anderen Ehrenamtlichen eine Rufbereitschaft, die rund um die Uhr erreichbar ist. „Es wird gut für uns gesorgt”, sagt sie.
Einjährige Ausbildung für Ehrenamtliche
Damit Ehrenamtliche wie „Loretta“ den verschiedenen Lebenssituationen und Problemen der Menschen gewachsen sind, machen sie eine einjährige Ausbildung. „Mit ein bisschen Quatschen am Telefon ist es nicht getan, das Ehrenamt ist höchst professionell”, sagt Andrea Fürnrohr, die die Telefonseelsorge Mühldorf leitet.
An fünf Wochenenden und circa zehn Fachabenden lernen und erproben die Ehrenamtlichen Grundlagen aus Psychologie und Kommunikation. „Es ist wichtig, dass man sich mit dem Ehrenamt identifiziert – Telefonseelsorge ist nichts, was man schnell mal macht.”
„In der Ausbildung lernen wir Gesprächstechniken und diese umzusetzen, lernen Gespräche zu führen”, umschreibt die Ehrenamtliche „Felicitas“. Darauf folgt eine Hospitationsphase, bei der ein Azubi und ein erfahrener Telefonseelsorger im Wechsel ein Telefonat führen und anschließend gemeinsam reflektieren. Wer die kostenfreie und intensive Ausbildung durchlaufen hat, sollte mindestens zwei Jahre ehrenamtlich dabei bleiben.
Telefonseelsorge erfordert Zeit
Konkret bedeutet das: Jeden Monat etwa 15 Stunden am Telefon verbringen. Eine Schicht dauert in der Regel vier Stunden. Alle zwei Monate muss eine Nachtschicht übernommen werden – entweder als Doppelschicht oder man teilt sich den Dienst als Tandem auf. Die Zeiteinteilung ist dabei flexibel, fast stündlich beginnt in Mühldorf eine Schicht.
Zeitintensiv
„Das hört sich erstmal moderat an, aber mit regelmäßigen Supervisionen, Fortbildungen, Mitarbeiterbesprechungen und der Fahrzeit zur Dienststelle ist es doch zeitaufwendig”, sagt „Felicitas“.
Darum sind laut Fürnrohr drei Viertel der Ehrenamtlichen im Ruhestand oder kurz davor. Aber auch für Berufstätige ist das Ehrenamt machbar, wenn man sich bewusst dafür entscheidet. Gut sei, wenn man bereits etwas Lebenserfahrung mitbringe und fest im Leben stehe. „Viele unserer Ehrenamtlichen möchten etwas an die Gesellschaft zurückgeben”, sagt Fürnrohr.
Ehrenamtliche schätzen die Gemeinschaft untereinander
Obwohl die Telefonseelsorge Mühldorf als eine von drei Telefonseelsorgestellen von der Erzdiözese München und Freising getragen wird, ist eine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche keine Voraussetzung für das Ehrenamt. Allerdings werde eine christliche Einstellung im Sinne von wertschätzend, offen und freundlich sein vorausgesetzt.
Das schätzen auch die Ehrenamtlichen untereinander. „Ich bin in eine Gemeinschaft gekommen, die von gleichen Werten getragen wird”, sagt „Felicitas“. Sie ist bereits 2016 mit der ersten Ausbildungsgruppe gestartet und immer noch gerne dabei.
„Wir ticken alle sehr ähnlich”, betont auch „Loretta“, die sich unter den Engagierten auf Anhieb wohlgefühlt hat. Für die Ehrenamtlichen selbst könne die Aufgabe nach dem Eintritt in den Ruhestand eine Lücke ausfüllen, erklärt Fürnrohr: Sie sind eingebunden und haben eine Aufgabe.
Nicht alle Anrufe können sie annehmen
Diese erfüllt das Team rund um die Uhr. „Das gibt es sonst nicht”, sagt Fürnrohr. Andere Fachstellen und Therapeuten haben Öffnungszeiten und Urlaube. „Bei uns gilt dagegen das Motto 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche”, betont „Felicitas“.
Trotzdem können sie nicht immer, wenn das Telefon klingelt, abheben. „Deswegen möchten wir noch mehr ausbilden”, sagt Fürnrohr. In Mühldorf besteht das Team derzeit aus 19 Personen. Doppelt so viele wären möglich, doch die Suche gestalte sich schwierig. In München sei das kein Problem, doch auf dem Land gebe es viele Ehrenämter und alle seien auf der Suche, um diese zu besetzen.
Im Januar startet ein neuer Ausbildungskurs, Interessierte sind zu einem Info-Abend am Mittwoch, 16. Oktober, um 18.30 Uhr in den Pfarrsaal St. Peter und Paul in Mühldorf eingeladen. Um telefonische Anmeldung unter 089/213774142 oder per E-Mail an afuernrohr@eomuc.de wird gebeten.
„Nur weil es euch gibt, lebe ich noch“
Die Anrufer danken den Ehrenamtlichen regelmäßig für ihr Engagement. „Es gibt Leute, die sagen, nur weil es euch gibt, lebe ich noch”, erzählt Fürnrohr. Andere würden seit 15 Jahren immer wieder mal anrufen. Die Anonymität bringt für viele eine große Offenheit mit sich und sie trauen sich, auch Themen anzusprechen, mit denen sie nahestehende Personen nicht belasten möchten.
Über die Stimme bekommt „Loretta“ ein gutes Gefühl dafür, wie es ihrem Gegenüber geht. Am Ende ihrer Schicht lässt sie die gehörten Sorgen an der Dienststelle und kehrt zurück in ihren eigenen Alltag.
