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Krisen-Ansprechpartner rund um die Uhr

„Weihnachten lässt keinen kalt“ - So arbeitet die Telefonseelsorge in Bad Reichenhall

Raphael Koller von der Telefonseelsorge Bad Reichenhall
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Raphael Koller ist Dienststellenleiter der Telefonseelsorge in Bad Reichenhall

An Weihnachten kochen bei vielen Menschen Lebenskrisen besonders hoch. Um solche Fälle kümmert sich schon seit Jahrzehnten die Telefonseelsorge. Und das nicht nur an Weihnachten, sondern das ganze Jahr über, rund um die Uhr. Über welche Themen am häufigsten gesprochen wird und wie die ehrenamtlichen Mitarbeiter mit der Belastung umgehen.

Bad Reichenhall – „Weihnachten lässt keinen kalt. Der eine freut sich, für den anderen ist es eine sehr schwierige Zeit. Es kommt auch darauf an, wie man Weihnachten in der Vergangenheit erlebt hat. Es gibt viele Menschen, die sehr froh sind, wenn Weihnachten wieder vorbei ist. Das erleben wir auch am Telefon“, erklärt Raphael Koller. Der Sozialpädagoge und Sozialtherapeut ist seit zwei Jahren Dienststellenleiter der Telefonseelsorge in Bad Reichenhall.

„Wir gehen an die Ränder“: Einsamkeit, Erkrankung, Depression

Bad Reichenhall gehört neben München und Mühldorf zu den drei Niederlassungen auf dem Gebiet der Erzdiözese München und Freising. Über 100 Ehrenamtliche beraten hier die Menschen per Telefon, Mail und Chat. In Bad Reichenhall gibt es rund 30 Mitarbeiter, davon sind zwei Drittel Frauen. Koller selbst ist auch einmal die Woche am Apparat und übernimmt alle drei Wochen einen Nachtdienst. Das Wichtigste ist das niedrigschwellige Angebot. Die Telefonseelsorge ist durchgehend besetzt, die Gespräche verlaufen komplett anonym. „Wir gehen an die Ränder, dahin, wo Menschen keine Kontakte mehr haben und nicht mehr erreicht werden“, so Koller.

Im Jahr 2022 haben sich rund 36.000 Menschen an die Telefonseelsorge der Erzdiözese gewandt: gut 90 Prozent per Telefon, 3,5 Prozent per Mail und 5,5 Prozent über den Chat. In jedem fünften Gespräch war Einsamkeit das Hauptthema. An zweiter Stelle standen Erkrankungen und körperliches Befinden. 16 Prozent der Ratsuchenden berichteten über eine depressive Stimmung. Danach folgten Familienthemen und Alltagsbeziehungen. Auch Ängste, Stress und die aktuelle Nachrichtenlage wurden häufig thematisiert.

Die Hauptthemen der Gespräche bei der Telefonseelsorge laut Jahresbericht 2022

Suizidprävention als wichtigstes Thema von Anfang an

Die Telefonseelsorge hat ihren Ursprung in den protestantischen Kirchen Englands. Der anglikanische Pfarrer Chad Varah hat 1953 die erste Zeitungsanzeige mit einer Telefonnummer veröffentlicht, an die sich Menschen mit Suizidgedanken wenden konnten. „Wir kommen aus dieser Tradition der Suizidprävention“, erklärt Koller. Nach wie vor sei dies das wichtigste Thema. „Die Menschen können sich hier in einem anonymen Rahmen mit all ihren Gedanken und Nöten äußern. Es ist erwiesen, dass der Kontakt und Austausch sehr hilfreich sind. Ein Psychotherapeut oder ein Arzt ist da in einer ganz anderen Verpflichtung.“ Besonders häufig werden Suizidgedanken in den Onlineangeboten formuliert, nämlich in jedem vierten Chat und in jeder dritten Mail. Dies hängt vermutlich auch damit zusammen, dass speziell Jugendliche und junge Erwachsene eher diese Kanäle suchen und das Thema in diesem Alter sehr präsent ist.

Abends und nachts gehen die meisten Anrufe ein

Grundsätzlich ist in der Telefonseelsorge immer viel los. „Bei uns steht das Telefon nie still“, meint der Dienststellenleiter. Doch es gibt auch gewisse Stoßzeiten, nämlich genau dann, wenn sonst kaum jemand erreichbar ist. Das ist im Urlaubsmonat August sowie in den Wintermonaten. Zwischen Freitag und Montag kommen die meisten Anrufe, besonders viele sonntags und hier jeweils am häufigsten von abends bis spät in die Nacht.

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter erhalten eine fundierte Ausbildung. Doch wie geht man mit einem Menschen um, der sich an Weihnachten alleine fühlt? Besonders bedeutsam ist erst einmal, dass dieser Mensch jemanden am anderen Ende der Leitung hat, der ihm zuhört. Und das ohne festgesetztes Limit. Ein Anruf dauert so lange, wie er eben nötig ist. „Im Gespräch ist der Anrufer der, der Herr über das Thema ist. Wir sind für die Gesprächsführung zuständig. Letztendlich liegt es an dem Anrufer, was er in das Gespräch einbringt. Wir fragen, was ihm heute weiterhelfen könnte“, erklärt Koller. „Wir bieten jedem einmal am Tag ein gutes Gespräch an. Auch demjenigen, der regelmäßig anruft.“

Die Arbeit bedeutet zugleich Belastung und Bereicherung

Der ständige Kontakt mit Anrufern in schwierigen Lebenssituationen kann für die Mitarbeiter natürlich auch belastend sein. Dem wird aber entgegengewirkt. Zum einen durch klare räumliche Trennung. Es gibt kein Homeoffice, sondern die Ehrenamtlichen kommen alle in die Dienststelle. „Das gibt den Mitarbeitern einen gewissen Schutz, wenn sie das hier und nicht in den eigenen vier Wänden machen. Ich gehe hinterher raus und lasse schwierige Gespräche hinter mir“, betont Koller. Zum anderen gibt es zusätzlich einmal im Monat eine Supervision, in der das Erlebte im gegenseitigen Austausch reflektiert und aufgearbeitet wird.

So niedrigschwellig das Angebot der Telefonseelsorge auch ist, so ist das Ehrenamt selbst recht anspruchsvoll. Raphael Koller: „Ehrenamtliche zu finden, ist nicht leicht. Man möchte sich nicht mehr so verpflichten und binden und eher etwas projektbezogener machen. Man muss sich hierfür entscheiden und eine Ausbildung machen. Man kann das nicht einfach im Vorbeigehen mitnehmen. Aber diejenigen, die sich dafür entscheiden, melden auch zurück, dass sie davon sehr profitieren.“

Für Koller ist der Job sehr sinnstiftend. „Man erlebt ja auch sehr viel Dankbarkeit. Ich finde es selbst oft berührend, dass Menschen sich öffnen und Einblicke in ihr Leben gewähren, die man sonst nicht hätte. Dieses Vertrauen zurückzugeben, indem man zuhört und begleitet, ist sehr bereichernd.“ Viele Mitarbeiter sind seit Jahren und Jahrzehnten dabei. Auch und besonders an den Weihnachtsfeiertagen legen sie keine Pause ein, um den Menschen immer beistehen zu können, deren einziger Kontakt oftmals nur noch die Telefonseelsorge ist. Höchste Zeit, dafür danke zu sagen!

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenlos erreichbar:

Wenn Sie suizidale Gedanken haben, ist professionelle Hilfe verfügbar und kann lebensrettend sein. Zögern Sie nicht, die Hotline der Telefonseelsorge anzurufen oder einen Therapeuten zu kontaktieren.

mf

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