Leben mit einem fremden Organ
„Ich will richtig leben“: Warum Ben aus Polling seine Spenderniere nicht wie ein rohes Ei behandelt
Ben aus Polling lebt seit elf Jahren mit einer Spenderniere und ist dankbar: Doch in Watte packt er sich deswegen nicht. „Ich will richtig leben“, ist sein Motto.
Polling – Der Frühling ist da und Ben würde gerne garteln, seine Finger in die Erde graben, Blumen einpflanzen. Doch das darf er nicht. „In der Erde sind Keime oder Schimmelsporen, das könnte gefährlich für mich sein“, erklärt der 40-Jährige, der seit elf Jahren mit einer gespendeten Niere lebt. Und eben so lange Immunsuppressiva einnimmt, damit sein Organismus den Fremdkörper nicht abstößt.
Doch er sagt: „Im Garten blühe ich auf. Ich will leben und nicht nur krank sein. Ich will ja auch ich sein.“ Bachmeier ist Mühldorfer, lebt aber inzwischen in dem Pollinger Ortsteil Annabrunn, also mitten in der Natur, die er so liebt.
Gesunde Menschen verstehen ihn oft nicht, erzählt er. „Die meinen, ich muss mich in Watte packen. Die denken, ich muss dankbar und immer total vorsichtig sein. Ich bin dankbar, dass der Mensch, dem die Niere gehörte – oder seine Angehörigen – die Spende-Entscheidung getroffen hat. Aber jetzt ist das meine Niere“, sagt Ben Bachmeier.
Seltener Gendefekt auch bei Geschwistern
Ständig in der Angst zu leben, sein Körper könnte das fremde Organ abstoßen, mache die Situation nicht besser. „So verliert man sie doch erst recht. Ich bin relaxt, weil ich genau weiß, dass ich irgendwann wieder zur Dialyse muss. Aber ich kann jetzt nichts dagegen tun.“
Ben hatte einen älteren Bruder: Alex Bachmeier. Er ist im Februar gestorben. Auch er lebte mit einer Spenderniere, die sein Körper nach 14 Jahren abstieß. Die beiden Brüder und auch ihre Schwester Rebekka verbindet das Schicksal, an einem seltenen Gendefekt zu leiden. Rebekka war 13, als ihre Niere versagte. Sie lebt seither mit einem Spenderorgan. „Ich kenne Patienten, die ihre Niere schon über 30 Jahre haben. Bei Alex kam es zu einer Abstoßungsreaktion und er war die letzten fünf Jahre auf die Dialyse angewiesen. Das ist heftig, das schlaucht dich jedes Mal wie ein Marathon“, weiß Ben.
Auch er musste sich mehr als sechs Jahre der Blutwäsche unterziehen. „Meine Niere hat sich verabschiedet, als ich 23 war“, erzählt er, heute ist er 40. Er musste dreimal die Woche für je vier Stunden im „InnKlinikum“ Mühldorf an der Hämodialysemaschine angeschlossen werden.
„Je nachdem, wie viel Restfunktion deine kaputte Niere noch hat, entscheidet das darüber, wie viel Flüssigkeit aus dem Körper rausgezogen wird, die sich abgelagert hat.“ Die Trinkmengen wurden beschränkt. Hatte er Durst, biss er in eine Zitrone oder lutschte Eis. „Damals war ich vier Jahre nicht pinkeln.“
Das hinderte ihn nicht, an Festivals, wie Rock im Park in Nürnberg, teilzunehmen und es krachen zu lassen. Oder etwa in die Türkei in den Urlaub zu fliegen. „Man kann sich über die Krankenkasse eine Urlaubsdialyse genehmigen lassen. Ein Reiseinstitut stimmt alles mit dem Hotel, der Versicherung und der Klinik vor Ort ab, Mehrkosten entstehen nicht.“ So baute er seine Freizeit um die Dialysetermine herum.
Dank der Spenderniere, die 2014 nach einem Anruf von Eurotransplant im Klinikum Großhadern in München transplantiert wurde, hat Ben wieder Lebensqualität. Er arbeitet 30 Stunden die Woche als Industriekaufmann.
Corona, Koma, Depression
Vollzeit schafft er nicht. Denn er hat Begleiterkrankungen wie Osteoporose, einen starken Tremor und eine Depression. Die entwickelte sich nach einer schweren Corona-Erkrankung. „Mich hat es 2021 niedergestreckt, obwohl ich mehrfach geimpft war. Ich war zum Sterben hergerichtet.“ Zunächst musste er im „InnKlinikum“ beatmet und ins künstliche Koma versetzt werden. Nach einer Verlegung nach Murnau wurde er aus dem Koma geholt. „Die setzten meine Immunsuppressiva ab. Das hat mir den Arsch gerettet, denn die Behandlung schlug langsam an“, erzählt er.
Dabei hätte er seine Niere verlieren können. In der Rückschau sagt er, „was nutzt mir die Niere, wenn ich Corona nicht überlebe?“ Der Genesungsweg war lang und steinig.
Sein Organ habe die Strapazen gut überstanden. Seine Psyche nicht. Es folgte der Zusammenbruch, neun Monate konnte Ben nicht mehr arbeiten. Während der Dialyse war er in Rente. Seit er eine Spenderniere hat, stuft ihn die Rentenkasse als „gesund“ und „voll erwerbsfähig“ ein. „Das bin ich nicht. Ich habe eine Teil-Erwerbsminderung beantragt, damit ich meine Arbeitsstunden reduzieren kann.“ Die Antwort steht noch aus.
Es ist seine Erfahrung, die Bens Haltung zur Organspende prägt: Er und seine Familie setzen sich für die Widerspruchslösung ein. In Deutschland gilt jedoch die Entscheidungslösung. Nur wer sich zu Lebzeiten entscheidet, Organspender sein zu wollen, ist einer. Wenn keine Willenserklärung vorliegt, müssen die Angehörigen entscheiden.
Bei der Widerspruchslösung müsste man aktiv Nein sagen, wer dies nicht tut, wäre automatisch Spender. So handhaben es viele europäische Länder. In Deutschland lehnte das der Bundestag 2020 ab.
2024 haben laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) 953 Menschen hierzulande nach ihrem Tod Organe gespendet. Insgesamt wurden 2.854 Spenderorgane entnommen, alleine 1.391 Nieren. Gleichzeitig stehen in Deutschland 8.260 Menschen auf den Wartelisten.
Durch Eurotransplant kommen viele Spenderorgane aus dem europäischen Ausland. In deutschen Transplantationszentren wurden 2024 insgesamt 3.013 Organe nach postmortaler Spende aus Deutschland und Eurotransplant übertragen, informiert das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG).
Ben weiß, dass Menschen Vorurteile haben, wenn es um Organspende geht. „Die lassen mich an der Unfallstelle sterben“, höre er oft. Dann versucht er, aufzuklären. „Nur wer für hirntot erklärt wurde, kommt infrage“, sagt er.
Intensivmedizinische Geräte müssen das Herz-Kreislauf-System künstlich aufrecht erhalten, sonst sterben auch die Organe ab. „Der Hirntod ist ein seltenes Phänomen, das nur auf der Intensivstation eines Krankenhauses festgestellt werden kann“, informiert das BIÖG.
„Gerade für Angehörige, die mit der Situation fertig werden müssen und dann auch noch entscheiden sollen, was mit den Organen passiert, weil das zu Lebzeiten nicht geregelt wurde, ist das extrem belastend“, sagt Ben Bachmeier. Er ruft dazu auf, dass sich jeder selbst damit beschäftigt.


