Sars-Covid in der Region Rosenheim
Fünf Jahre Corona: Wie alles begann, wie es endete – und was man daraus lernen kann
Lockdown, Masken, Schulschließungen: Vor fünf Jahren überrollte das Corona-Virus die Region Rosenheim. Es kostete Hunderte Menschen das Leben. Corona ist heute so alltäglich wie eine Grippe – und hat doch in bestimmten Bereichen schlimme Auswirkungen.
Rosenheim – Ende Februar, Anfang März 2020 schwankte Rosenheim zwischen Verwegenheit und Vorsicht. Auf der einen Seite des Starkbierfest, ein Fixpunkt im Jahresablauf. Auf der anderen Seite: Dieser neue Erreger, der sich zuerst im Dezember 2019 in China bemerkbar gemacht hatte.
Mittlerweile warf er auch in Bayern schon Menschen aufs Krankenlager. Am 29. Februar registrierte man den ersten Fall in der Region Rosenheim, Anfang März wurden die ersten Patienten ins Klinikum eingeliefert.
Doch da war so viel Vorfreude aufs Starkbier. Und es waren doch noch so wenige Patienten. Wegen dieser paar Fälle ein ganzes Fest abzusagen, mit allem Geld und aller Mühe, die schon reingesteckt worden waren, bei aller Lebensfreude, die man den Menschen nehmen würde? War dieser Preis nicht zu hoch? „Dieser Meinung waren viele. Ich auch“, sagt Rosenheims aktueller Oberbürgermeister Andreas März heute, fünf Jahre später. „Heute würde ich wahrscheinlich anders entscheiden. Aber im Nachhinein ist man immer gescheiter.“
Peter Kirmair las der lokalen Prominenz die Leviten. Die Rosenheimer tranken. Es folgte der Kater. Waren es Rückkehrer aus dem Ski-Urlaub, die den Sars-Virus in der Festgemeinde verteilten, sodass sich Corona in den Tagen danach wie ein Lauffeuer verbreitete? Rosenheim wurde so etwas wie ein Vorzeigestädtchen, ein mahnendes Beispiel, und das über Deutschlands Grenzen hinaus. Ein „three-day strong beer festival“ sei zum „super spreader“ geworden, hieß es später in der britischen „Financial Times“.
„Highway to Hell“, so hatte der Titel von Peter Kirmairs Fastenpredigt gelautet. Auf dem schnellsten Weg in die Hölle des politischen Abseits. So war das gemeint, Kirmair hatte an die bevorstehenden Kommunalwahlen gedacht. Mit dem Corona-Virus und einer Welle, die die Region Rosenheim zum bundesweit ehrfürchtig beobachteten Hotspot machte, erhielt der Satz neue Aktualität. „Eigentlich“, so sagt Peter Kirmair fünf Jahre später, „lag ich mit meinem Motto ganz richtig.“
Rosenheim wurde zum Hotspot
Die Zahl der Infizierten schoss durch die Decke, neben Rosenheim verzeichnete Bad Feilnbach viele Angesteckte. Dort hatte ein Musikfestival Ende Februar, Anfang März als Viren-Karussell gedient. Im Juni schaute deswegen sogar das Robert-Koch-Institut vorbei. Um zu schauen, wie hoch die Dunkelziffer der Angesteckten, aber nicht Erkrankten ist. Man stellte fest, dass sich jeder 20. der rund 8000 Feilnbacher gleich zu Beginn angesteckt haben musste.
Bei Romed wurden Masken, Desinfektionsmittel und Schutzanzüge knapp. Manche Produkte kosteten kurzzeitig das 300fache der normalen Summe. Schnell wurde der Andrang so stark, dass man Patienten verlegen musste: Zu Romed in Wasserburg, in Prien und in Bad Aibling. Und schließlich nach Südtirol. Vor allem unter Alten und Vorerkrankten wütete der Virus, in Altenheimen spielten sich Szenen ab, die an die Bilder der Sarg-Reihen in Bergamo erinnerten. Man versuchte, die Alten zu isolieren, um sie zu schützen.
Manchmal ging das schief. Dann starb ein Mensch einsam, und seine Angehörigen blieben ohne den Trost des Abschieds. So wie bei Sepp Mangstl aus Ostermünchen, dem offiziell ersten Corona-Toten in der Region. Der erste von über 900 Menschen, die Corona in Stadt und Landkreis zum Opfer fielen.
Inzidenz und Hotspot: Wortschatz einer Krise
Wir alle lernten viele neue Wörter. Hotspot, Inzidenz, Mortalität, Super Spreader, RKI, Durchseuchung. Der Wortschatz veränderte sich, passte sich an, wuchs mit der Krise. Schließlich, Anfang 2021, kam die Impfung, bald gab es „Drei G“. Wer getestet, geimpft oder genesen war und das nachweisen konnte, durfte rein. Ins Theater zum Beispiel. Oder in eine Wirtschaft.
Der Flickenteppich vom Beginn – Rosenheims Starkbier-Fest war eine Ausnahme gewesen, andere Gemeinden hatten ihre Festivitäten abgesagt – wich den Allgemeinverfügungen. Mit 15-Kilometer-Bannkreis-Regelungen, Kontaktbeschränkungen und so weiter und so weiter. Schulen wurden geschlossen; Eltern fehlte seinerzeit bald der Nerv, den Kindern und Jugendlichen aber fehlen bis heute - wichtige Jahre.
Nicht jeder, der gegen die Regeln verstieß, tat das absichtlich. Es war einfach kompliziert. Sogar für die Corona-Routiniers, die Geschichte darüber erzählen konnten, wie sie die erste, zweite, dritte Impfung vertragen hatten, oder zu welcher Tageszeit am Testzentrum am wenigsten los ist. Mit einer Mischung aus Grusel und Faszination verfolgte man die Inzidenz-Kurven.
Bleierne Zeit in Rosenheim
Es kam der zweite Lockdown, zu spät, wie der Dr. Wolfgang Hierl, Leiter des Gesundheitsamtes, heute findet. Viel zu lang für manchen damals. Erst von November an eine „Light“-Version, dann ab Dezember strenger. Und zwar bis Mai. Eine bleierne Zeit, dunkel, allein schon deswegen, weil die Gastronomie dichtmachen musste. Das Licht der Kneipen und Restaurants - es fehlte. Corona veränderte sich, es wurde sozusagen altersweise: Was hat der Virus als Gast davon, wenn er seinen Wirt tötet? Wildtyp, Delta, Omikron: Letzterer ist noch heute vorherrschend, extrem kontaktfreudig, aber längst nicht mehr so aggressiv wie die ersten Typen. Und vor allem mit einer durchseuchten und geimpften Bevölkerung konfrontiert.
Der lange Schatten von Covid
Schon während der ersten Wellen hatte sich jedoch Beunruhigendes erwiesen. Die akute Krankheit mochte überstanden sein, Patienten spürten aber noch lange Zeit später Beschwerden. Etwa Atemnot und Abgeschlagenheit. Das war Post Covid. Je mehr Zeit ins Land ging, desto klarer wurde: Es gibt auch Long Covid.
Bis heute ist nicht klar, wie Corona genau wirkt. Es befällt die Atemwege und vor allem die Lunge, es kann auf die Nieren gehen, schädigt in vielen Fällen aber auch die Nerven. Und es zeigte sich: Es befällt auch die Gesellschaft.
Menschen haben unterschiedliche Ansichten. Nichts besonderes. Doch während der Corona-Pandemie wurden aus Meinungsverschiedenheiten Gräben. Ansichten wurden Glaubensgrundsätze. Die Allgemeinverfügungen, die Regeln: dem einen waren sie zu lasch. Dem anderen zu hart. Mal wurde die WHO zum Feindbild, mal die Charité, dann die Stiko, dann Karl Lauterbach, auch mal der Staat und die Polizei, meistens alle zusammen. Der Verdacht vom „Corona-Regiment“ war in der Welt, obwohl ein Regiment doch Planmäßigkeit voraussetzt. Die gab es angesichts der unbekannten Seuche kaum.
Man sei im Nebel getappt, habe erst lernen müssen, wie mit der Pandemie umzugehen sei. So sagte es Prof. Dr. Stephan Budweiser, Chefarzt am Romed-Klinikum, kürzlich dem OVB. Andere Länder gingen anders vor, Deutschland hatte, was Lockdowns betrifft, bei weitem nicht die strengsten Regeln. China riegelte alles ab. Überall setzten Behörden Regeln. Und änderten sie kurz darauf oft wieder. US-Präsident Trump spekulierte über die Möglichkeit, Infizierten Desinfektionsmittel zu spritzen.
Soldaten rufen zum Bürgerkrieg auf
Auch in Oberbayerrn trübte Corona das Urteilsvermögen. Auf einer Impfgegner-Demo in Wasserburg faselte ein Ex-Soldat vom Bürgerkrieg gegen das „System“, in Rosenheim tat es ihm ein Oberfeldwebel der Gebirgsjäger gleich. Bei weitem nicht jeder Impfgegner wurde zum Verschwörungstheoretiker. Aber die meisten Verschwörungstheoretiker waren Impfgegner gewesen.
Die Grenzen verschwammen. Harte Regeln wie Auftrittsverbote ließen Künstler auf Distanz zum Staat gehen. Und Gastronomen. Und viele andere. Im Bad Feilnbacher Ortsteil Kematen rückte die Polizei wegen der Geburtstagsfeier einer jungen Frau nach Schilderung von Anwohnern wie ein „Überfallkommando“ an. Erst vor wenigen Tagen war der Gemeindeteil wieder in den Schlagzeilen: Bei der Bundestagswahl kam die AfD dort auf 47 Prozent
Das Starkbier-Fest 2025 steigt am 14. März. Peter Kirmair hat sein Motto schon: „Let´s danzn oda Da letzte Tango“. Eine neue Pandemie ist grad nicht im Anmarsch, das Fest wird statttfinden. Angesichts der vielen Krisen als Tanz auf dem Vulkan.