Nach wie vor gebraucht
Zwischen Freude, Frust und Angst: Wie steht es um die Helfer für Geflüchtete?
Als 2015 die ersten Flüchtlinge in großer Zahl in den Landkreis kamen, folgte eine Welle der Hilfsbereitschaft. Neun Jahre später gibt es kaum mehr Helferkreise. Eine Spurensuche zwischen Erfüllung, Frust und Bedrohung.
Von Helena Gennutt und Markus Honervogt
Mühldorf/Schwindegg/Waldkraiburg – Es ist eine kleine Gruppe, die sich im Rathaus von Schwindegg eingefunden hat. Ein knappes Dutzend Frauen und Männer, alle über 50 Jahre alt, sitzt im Sitzungssaal an den Tischen. Vor ihnen lässig an einen Tisch gelehnt: Bürgermeister Roland Kamhuber. Sie alle verbindet eins: die Hilfe für Flüchtlinge.
Theoretisch könnten dort 68 Menschen sitzen, so viele sind in der WhatsApp-Gruppe zur Flüchtlingshilfe Schwindegg vernetzt. Einige sind inzwischen nicht mehr aktiv, andere sind nur noch selten dabei und wieder andere wollen sich nicht öffentlich zeigen. Dabei, sagt eine der Anwesenden über den Beginn der Hilfe vor knapp zehn Jahren: „Es war für uns eine innere Verpflichtung.“
Angst vor Anfeindungen
Das ist der erste Blick auf die Situation in der knapp 4000-Einwohner-Gemeinde an der nordwestlichen Landkreisgrenze. Helfen wollen. „Es ist schlimm, wenn man die Heimat verlassen muss, da sollten sie sich bei uns willkommen fühlen“, sagt ein Mann. Darum begleiten die Ehrenamtlichen die Flüchtlinge bei Behördengängen oder zum Arzt, helfen bei der Verhandlung mit Vermietern oder der Einrichtung der Wohnung. Gleichzeitig erwarten sie von den Flüchtlingen, dass sie sich in ihr neues Lebensumfeld einfügen. „Wir brauchen niemanden, der Ärger macht“, sagt einer.
Ihre Namen wollen die Mitglieder des Flüchtlingskreises nicht in der Zeitung sehen. Obwohl die Stimmung in Schwindegg friedlich sei, gebe es immer mal Anfeindungen. „Wir wollen keine Öffentlichkeit, weil man hat Angst, dass man angegriffen wird“, sagt einer und meint vor allem verbale Attacken. „Ich möchte nicht, dass bekannt wird, dass ich als Helfer arbeite.“
Helferkreise gibt es heute kaum noch
Anfeindungen von Ehrenamtlichen sind Martina Wastlhuber, Ehrenamtskoordinatorin im Bereich Asyl des BRK Mühldorf nicht bekannt. Dass das Engagement aber infrage gestellt wird, sehr wohl – ein nahezu tägliches Phänomen. Vor ein paar Jahren sei die Stimmung anders gewesen. Jetzt seien es viele Ehrenamtliche leid, sich immer wieder rechtfertigen zu müssen.
„Die Gruppen sind heute kleiner, Helferkreise – wie es sie vor drei bis fünf Jahren gab – heute größtenteils verschwunden“, sagt Wastlhuber. Neben Schwindegg gebe es nur in Gars und Mettenheim aktive Helferkreise.
Nur ein Interessierter bei Abendveranstaltung
Blick nach Waldkraiburg, der Stadt im Landkreis, in der die meisten Flüchtlinge untergebracht sind. Als sich 2015 Ehrenamtliche zusammenfanden, waren sie ein bunter Haufen. Übrig geblieben sind etwa zehn Personen, darunter auch Geflüchtete. „Unter den Menschen, die zu uns kommen, sind immer welche, die sich wirklich voll eingebracht haben”, sagt Eva Schnitker. Seit bald neun Jahren engagiert sie sich als Sprachpatin und Integrationshelferin.
Ins Gespräch kommen, Erfahrungen austauschen, neue Mitstreiter gewinnen, das wollten sie und Susanne Vogt-Höfer, Projektleiterin des Netzwerks Asyl, bei einem Treffen im Haus der Kultur. Nur ein Interessierter ist gekommen. Für Schnitker eine Enttäuschung: „Jede Hilfe wird gebraucht und vor allem brauchen wir auch jüngere Leute – die Menschen, die zu uns kommen, sind jung.“
„Ganz viele wunderbare Menschen“
Während ihres langjährigen Engagements haben die beiden Frauen nur positive Erfahrungen gemacht, wie sie betonen. Sie freuen sich, wenn Ankömmlinge Fuß fassen, eine Heimat finden und einen guten Beruf haben. „Es gibt so tolle Momente, wenn man merkt, dass jemand ganz schnell lernt, unsere Sprache zu sprechen”, sagt Vogt-Höfer. Sie motiviert eher die menschliche als die politische Seite. „Ich wünsche mir, dass man genauer hinschaut, wen man vor sich hat. Das sind ganz viele wunderbare Menschen, die nicht nur nehmen, sondern auch mitwirken und sich einbringen.”
Aber es gebe auch frustrierende Zeiten, da macht Vogt-Höfer keinen Hehl daraus. Angefangen bei der Asylgesetzgebung, bis zur Schließung des „Freiraum 36“. Seitdem fehlen dem Netzwerk Räume.
Ehrenamtliche fühlen sich von der Politik alleingelassen
„Die Politik hat den Ehrenamtlichen viel aufgebürdet und total auf ihr Engagement gesetzt“, sagt Ehrenamtskoordinatorin Wastlhuber. Manche von ihnen fühlten sich alleingelassen und hätten sich zurückgezogen. Eine Aufwandspauschale für Ehrenamtliche gibt es im Bereich Asyl nicht. Der Landkreis kann lediglich bei Fahrtkosten unterstützen.
„Aber über allem steht der Wunsch, mehr gehört zu werden“, sagt Wastlhuber. Denn die Helfer kennen die Belange und Probleme der Geflüchteten, die Gesetze würden aber die machen, die nicht mit den Menschen arbeiten. Der Rechtsruck in Deutschland trage zusätzlich dazu bei, dass sich Helferinnen und Helfer zurückziehen.
Hetznachrichten bei WhatsApp
Auch die Schwindegger Ehrenamtlichen bedrückt die Stimmung unter ihren Mitbürgern, die sich gewandelt hat. „Wir erleben eine Verrohung“, sagt Bürgermeister Kamhuber. Er sei mehrfach „in hitziger Weise“ darauf angesprochen worden, warum er als Bürgermeister nichts gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Schwindegg unternehme. „Ich befürchte, dass die Hemmschwelle immer weiter runter geht.“
Britta Hennersdorf (84), lange für die SPD politisch im Landkreis aktiv, erzählt von „fürchterlichen Aussagen“ in einem WhatsApp-Chat des Tennisvereins. Wiederholen will sie die Aussagen nicht. Sie sagt nur: „Dort wird richtig gehetzt, dass man heulen möchte.“
75 Flüchtlinge sind derzeit in Schwindegg, sie leben in neun Wohnungen, dezentral, wie Bürgermeister Kamhuber betont, keine großen Unterkünfte. Dazu kommen 21 Ukrainer, die privat untergebracht sind. „Damit liegt Schwindegg auf Platz fünf im Landkreis“, sagt der Bürgermeister. Schwindegg werde seiner Verantwortung gerecht. Aber er sagt auch: „Ohne die Unterstützung durch die Ehrenamtlichen bekämen wir als Kommunen ein riesiges Problem.“ Denn keine Gemeinde könne die Integrationsarbeit leisten.
Neue Helfer sind willkommen
Wastlhuber organisiert ein- bis zweimal jährlich einen runden Tisch für alle Ehrenamtlichen, an dem auch der Landrat teilnimmt. „Man sollte das auch nicht unterschätzen: Viele Helfer sind einzeln unterwegs“, sagt sie.
„Ausreichend ist die Hilfe nie, nach wie vor gibt es wöchentlich Neuankömmlinge im Landkreis.“ Wer helfen möchte, ist willkommen. „Ehrenamt ist auch eine Möglichkeit, sich auszuprobieren“, wirbt Wastlhuber. Neben Sprachkursen gibt es viele Projekte vom Gärtnern, über Malen mit Kindern bis zu Theater und bald auch Tanz. „Es gibt auch Ehrenamtliche, die seit Jahren mit Eifer und Freude dabei sind und die man erstmal begleiten kann – jeder Interessierte kann sich niederschwellig an uns wenden.“



