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„Keine bessere Geschichte als die eigene“

Live auf Youtube: Vom Unternehmer in Uganda zum Putzmann in Waldkraiburg

Statt Videos produzieren eine Kantine putzen: Das Leben von Derrick Bizimana hat sich in den letzten Monaten von Hundert auf Null geändert, wie er sagt. Aber er lässt sich nicht unterkriegen.
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Statt Videos produzieren eine Kantine putzen: Das Leben von Derrick Bizimana hat sich in den letzten Monaten von Hundert auf Null geändert, wie er sagt. Doch der Ugander lässt sich nicht unterkriegen.

In seiner Heimat Uganda war Derrick Bizimana Geschäftsmann. In Waldkraiburg lebt er im Mehrbettzimmer, putzte bis vor Kurzem eine Kantine. Das hält er in Videos auf Youtube fest. Was den Ugander nicht aufgeben lässt.

Waldkraiburg – Blaue Gummihandschuhe, ein Wagen mit Putzwasser, Wischmop: So ausgestattet, geht Derrick Bizimana ans Werk. Er putzt die Kantine, in der Asylbewerber in der Anker-Dependance in Waldkraiburg essen. Es ist sein erster Job in Deutschland. Sein Lohn: 80 Cent pro Stunde und eine ruhige Ecke, um an seinen Videos zu arbeiten.

„Wenn das Leben dir Zitronen gibt, ist das, Limonade daraus machen, schätze ich”, sagt er in einem seiner Videos. Zweieinhalb Monate hat er geputzt und sich dabei gefilmt, das Material anschließend bearbeitet. „Jetzt ist es so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe.” Er nimmt die Situation mit Humor, sagt, der Job ist ein Training für seine Bauchmuskeln. Denn die Kantine ist groß.

„Ich bewundere ihn, wie positiv er den Job angegangen ist”, sagt Eva Schnitker. Die 79-Jährige engagiert sich schon seit acht Jahren ehrenamtlich für Geflüchtete, betreut ein Sprachpatenprojekt für die Neuankömmlinge im Ankerzentrum. „Mich fasziniert, wie stark Bima an sich und seine Zukunft in Deutschland glaubt, wie er alles mit wahnsinniger Freude macht.”

Bizimana teilt lustige und traurige Momente

Aber Bizimana sagt auch: „Ich kann nicht sagen, dass ich nie darüber nachgedacht habe, aufzugeben.” Sowohl die lustigen als auch die traurigen Momente möchte er festhalten, seine Gedanken strukturieren. Für sich selbst, aber auch, um anderen damit eine Freude zu machen. Darum hat er angefangen, Videos bei Youtube zu veröffentlichen. So verschwinden seine Erlebnisse nicht in irgendeinem digitalen Ordner.

Das ist ihm wichtig, weil er nicht nur seine Gedanken, sondern auch sein Leben derzeit neu sortieren muss. In Deutschland darf Bizimana bisher nicht arbeiten. Er ist aus Uganda geflohen und hofft, hier Asyl zu bekommen.

Erst nach sechs Monaten dürfen viele Asylbewerber arbeiten

Asylbewerber, die in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen, dürfen erst nach sechs Monaten einer Beschäftigung nachgehen. Bis vor Kurzem seien es sogar neun Monate gewesen, durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung kam es im Februar zu einer Verkürzung, wie Landratsamts-Sprecher Wolfgang Haserer auf Anfrage mitteilte. Für Integrationshelferin Schnitker ist das unverständlich: „Die Menschen wollen alle arbeiten und wir halten sie zurück.”

Eva Schnitker betreut ein Sprachpatenprojekt für Asylbewerberinnen und Asylbewerber im Ankerzentrum Waldkraiburg. Sie wünscht sich, dass die Geflüchteten hier schnell arbeiten dürfen.

Eigentlich ist Derrick Bizimana Geschäftsmann und „Content Creator“ – das heißt, er erstellt Inhalte für Webseiten oder soziale Medien. In seinem Heimatland studierte er Mediendesign und Animation. Kleine Filme und Audios zu erstellen, zu fotografieren und Videos zu animieren ist sein richtiger Job. „In Uganda habe ich ein von jungen Menschen geführtes Kreativstudio gegründet”, erzählt er. Anzug und Meetings gehörten zu seinem Alltag.

Ein Rückzugsort, um kreativ zu sein

Dass er nun abseits der Kantine einen Raum hat, um an seinen Videos zu arbeiten, hat er Schnitker zu verdanken. Sie hat ihm ein Zimmer in ihrer Wohnung als Studio zur Verfügung gestellt. In einer nächtlichen Aufräumaktion hat er es zu einem kreativen Arbeitsplatz umgestaltet. „Dieser Raum fühlt sich für mich wie ein sicherer Ort an, ein Ort an dem ich mich verstecken und nützlich für mich selbst, meinen Youtube-Kanal und alle, die sich auf mich verlassen, sein kann”, sagt er in einem Video.

Im Ankerzentrum kann er das nicht. Ein Ort, über den er nicht so gerne spricht. Er beschreibt die Unterbringung im Mehrbettzimmer für jeweils drei bis vier Personen. „Dort habe ich nicht die Freiheit, das Licht an- und auszumachen, wann ich möchte oder mein großes Radio einzuschalten, ohne jemanden aufzuwecken”, erzählt Bizimana. Da er sich gerne nachts nochmal an den Laptop setzt, fällt es ihm schwer, dort kreativ zu sein.

Waldkraiburger Ankerzentrum ist ein „guter Ort“

Neben ihm wohnen derzeit 321 andere Menschen aus 16 Herkunftsländern in der Aufnahmeeinrichtung. Etwa zehn Prozent von ihnen kommen wie Bizimana aus Uganda, rund 41 Prozent stammen aus der Türkei. Das teilt Wolfgang Rupp, Pressesprecher der Regierung von Oberbayern, auf Nachfrage mit. In einer Anker-Einrichtung wie dieser zu wohnen, sei für neu angekommene Asylbewerberinnen und Asylbewerber Pflicht. In Waldkraiburg würden die Menschen durchschnittlich etwa 100 Tage dort untergebracht.

Derrick Bizimana betont, dass das Ankerzentrum in Waldkraiburg für ihn ein guter Ort ist. „Es ist mein erstes dauerhaftes Zuhause in Deutschland, ich habe dort Freunde gefunden und einen gewissen Komfort.” Verglichen mit anderen Einrichtungen sei es dort nett: Ein richtiges Gebäude, mit Türen und fließend Wasser, einer eigenen Toilette und Dusche.

Von Hundert auf Null in einer kurzen Zeit

Die dortige Kantine putzt er seit etwa zwei Wochen nicht mehr. Bizimana besucht nun in München einen Deutschkurs, ist ab mittags unterwegs und kommt erst am Abend zurück nach Waldkraiburg. Die Sprache gut zu sprechen, ist ihm wichtig, kurze Sätze kann er inzwischen verstehen und beantworten. Für ein Interview reicht es noch nicht, aber als Muttersprachler spricht er fließend Englisch.

Die Kantine putzt Derrick Bizimana seit etwa zwei Wochen nicht mehr. Er besucht jetzt einen Deutschkurs in München und ist einen Großteil des Tages unterwegs.

Es ist viel, was in diesen Tagen auf Bizimana einwirkt. „Ich habe gelernt, dass sich das Leben in einer kurzen Zeit von Hundert auf Null ändern kann”, sagt er. In Uganda kannten ihn die Leute dafür, dass er gut in seinem Job war. „Als ich mein Video mit der Kantine hochgeladen habe, gab es besorgte Reaktionen, das haben sie in meinem Land nicht erwartet.”

Den Kopf voller Ideen für weitere Videos

Er selbst versucht, die Situation als einen Abschnitt seines Lebens zu betrachten. „Es ist wichtiger, wo man landet als wo man gewesen ist.” An Ideen für die Zukunft mangelt es ihm nicht, allein 25 weitere Videos hat er bereits geplant – ohne dass er mit seinem Youtube-Channel „Bima TV” im Normalfall Geld verdienen würde.

„Für meine Begriffe ist er ein Künstler, immer gut gelaunt und mit einem guten Blick für die Menschen”, sagt Schnitker. 442 Abonnenten folgen Bizimana derzeit auf seinem Weg. „Es gibt keine bessere Geschichte zu erzählen als die eigene”, sagt er.

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