Schnupperstunden im Wasser
Der erste Schwimmbad-Besuch ihres Lebens: Migrantinnen lernen schwimmen in Waldkraiburg
Schwimmen zu können, ist für viele Geflüchtete keine Selbstverständlichkeit. Die Caritas möchte das ändern und bietet erstmals gemeinsam mit dem VfL Waldkraiburg Unterricht für Nichtschwimmerinnen an. So verlief die erste Schnupperstunde.
Waldkraiburg – Acht Frauen stehen auf der ersten Stufe zum Schwimmbecken in der Schulschwimmhalle Waldkraiburg. Es ist ihre erste Schwimmstunde, für einige von ihnen der erste Schwimmbadbesuch überhaupt. Vorsichtig bewegen sie ihren Fuß vor und zurück über das Wasser. Dann lädt Ariane Stamp, Leiterin der Schwimmschule bei den Piranhas des VfL Waldkraiburg, ein, mit ihr gemeinsam durch das Wasser zu laufen. Es reicht den Frauen etwa bis zur Mitte des Oberschenkels – sie beginnen im flacheren, abgetrennten Bereich der Halle.
Langsam anfangen, das hat sich Trainerin Stamp vorgenommen. „Keiner muss gleich ins tiefe Wasser”, sagt sie. Die größte Hürde ist in ihren Augen die Sprachbarriere: Die Teilnehmerinnen stammen aus Syrien, Somalia, Nigeria, Sierra Leone, dem Sudan und der Ukraine. Manche sind schon etwas länger in Deutschland, andere sprechen gut Englisch, wieder andere verstehen nur Bruchstücke. Um das abzufangen, hat sich Stamp viele Gesten überlegt.
„Sport ist für viele Frauen ein Fremdwort“
Sie zeigt den Teilnehmerinnen, wie sie die Arme von vorne nach hinten öffnen sollen, ähnlich wie die Flügel eines Schmetterlings. Angelehnt an den Beckenrand machen die Frauen die Bewegung nach. Beatrice Pieraccini schaut vom Beckenrand aus zu und ist begeistert. Sie ist Integrationslotsin im Caritasverband des Erzbistums München und Freising und hat diese erste Schnupperstunde auf den Weg gebracht. Es ist ein Experiment, wie sie sagt.
Die Idee entstand in ihren Deutschkursen, in denen sie Frauen langsam an die Sprache heranführt. Über Freizeit und Hobbys zu sprechen, gehört zu den vorderen Lektionen. „Da habe ich gemerkt, dass Sport für viele Frauen ein Fremdwort ist”, sagt Pieraccini. In ihren Herkunftsländern sei das eher Männersache, viele Frauen würden nur Arbeit und Zuhausesein kennen.
62 Personen sind 2023 in Bayern ertrunken
Doch schwimmen zu können, tut nicht nur körperlich gut, es ist auch wichtig. Allein im vergangenen Jahr sind in Bayern 62 Personen ertrunken, wie aus einer Studie der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) hervorgeht. „Auch viele deutsche Erwachsene können nicht schwimmen, aber Migranten haben zum Teil weniger Hemmungen, dennoch ins Wasser zu gehen – das Risikobewusstsein ist nicht so da”, sagt Alexander Fendt, Pressesprecher des DLRG Kreisverbands Mühldorf.
Badeunfälle von Migranten werden in der Statistik zwar nicht gesondert erfasst, aber ihm sind persönlich einige Fälle aus dem Landkreis Mühldorf bekannt. Diese verhindern, sollen die Baderegeln, die die DLRG bewusst in etlichen Sprachen sowie mit Piktogrammen herausgibt. Zudem empfiehlt Fendt, an bewachten Stellen zu baden. „Industriegewässer wie der Innkanal sind zum Schwimmen definitiv nichts.” Wer nicht schwimmen könne, solle außerdem im Nichtschwimmerbereich bleiben.
Sich langsam an das Wasser herantasten
Ein Waldkraiburg, in dem jedes Kind schwimmen kann, davon träumt auch Trainerin Stamp. Der Schwimmunterricht für Migrantinnen soll einen kleinen Beitrag dazu leisten. „Mit dem Angebot denken wir auch an die Kinder – Frauen sind Multiplikatorinnen”, sagt Pieraccini. Wenn die Frauen die Schwimmhalle kennen und Schwimmen können, würden sie dieses Wissen weitergeben. „Sie sehen die Notwendigkeit, dass ihre Kinder schwimmen lernen.”
Wie lange es dauert, damit man sicher schwimmen kann, ist laut Trainerin Stamp ganz individuell. Im Wasser tasten sie sich langsam heran: Stamp bittet die Frauen darum, sich nacheinander mit dem Rücken aufs Wasser zu legen, mit dem Kopf nach oben blickend und ohne sich zu bewegen. Dabei hält sie und eine andere Frau die Teilnehmerin an den Händen. Ein Teil ist sichtlich nervös.
„Sie müssen sich natürlich erstmal an das neue Element gewöhnen”, sagt Stamp später. Hinzu komme, dass man als Erwachsener schon ein bisschen unbeweglicher sei und mehr nachdenke als als Kind. „Es ist bewundernswert, wie viel die Frauen heute schon mitgemacht haben.”
Ein geschützter Raum und spielerisches Lernen
Diese Stunde haben sie und Integrationslotsin Pieraccini lange vorbereitet. Trainerin Stamp hatte sich bereits im Deutschkurs vorgestellt. Gemeinsam sind sie die Baderegeln durchgegangen, haben über die richtige Kleidung für den Schwimmbadbesuch gesprochen und das Bad einmal außerhalb der Öffnungszeiten besucht.
„Es ist eine große Leistung, dass die Frauen hier sind”, sagt Pieraccini. Ihr ist es wichtig, den Frauen einen geschützten Raum zu bieten, in dem sie ihre Community um sich haben und unter sich sein können. „Das und das Spielerische kann gerade für Traumatisierte ein erster Schritt sein, um wieder Fuß zu fassen”, sagt sie.
Fortsetzung des Kurses noch offen
Am Ende der Stunde wagt sich etwa die Hälfte der Frauen bereits ins tiefere Wasser. Ausgestattet mit zwei orang-farbenen Schwimmnudeln und begleitet von Trainerin Ariane Stamp, machen sie erste Schwimmzüge durch das Wasser. „Ich bin stolz, dass du dich schon getraut hast”, sagt Stamp zu einer der Frauen.
Ob das Angebot fortgeführt wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Am Dienstag, 18.06. ist zunächst eine weitere Schnupperstunde geplant. „Wenn die Frauen begeistert sind, schauen wir, ob wir einen längeren Kurs anbieten können”, sagt Pieraccini.
Binta Jalloh würde das auf jeden Fall freuen. Die Afrikanerin war zum ersten Mal in ihrem Leben im Schwimmbad. „Für das erste Mal hat es schon ganz okay geklappt”, sagt sie. Aber vor allem hatte sie Spaß. „Ich wünschte, ich könnte das jeden Tag machen und es richtig gut lernen.”


