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Von Augentropfen bis Schmerzmittel

Lieferengpässe auf Rekordniveau: Kassen-Patienten müssen auf 300 Medikamente verzichten

Maria Doba PTA Labor
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Täglich wird im Labor der Inn-Apotheke Mühldorf gemischt. Hier wiegt Maria Doba, pharmazeutisch technische Assistentin (PTA) Wirkstoffe ab, um spezielle Kapseln herzustellen.

„Ihr Medikament ist leider nicht lieferbar“ – diesen Satz hören Patienten derzeit in den Apotheken so oft wie nie. So ist die aktuelle Lage im Landkreis Mühldorf.

Mühldorf – Seit Monaten läuft die Versorgung mit bestimmten Medikamenten eher schleppend. Früher schoben Patienten in der Apotheke ihr Rezept über den Tresen und bekamen ihre Tabletten postwendend ausgehändigt. Heute vertiefen sich Apotheker nach Erhalt des Rezeptes erst mal in ihren Bildschirmen, blättern sich durch diverse Produzenten und kommen immer öfter zum Schluss: „Das Medikament ist derzeit nicht lieferbar.“

Nicht-Lieferbarkeitsliste wird länger

„Wir werden nach wie vor täglich herausgefordert“, muss Mühldorfs Apotheker-Sprecher Thomas Leitermann feststellen. „Und immer wieder gibt es neue Überraschungen, wenn ich in die aktuelle Nicht-Lieferbarkeitsliste schaue.“ Dienstagvormittag waren es bei dem einen Lieferanten 271 nicht lieferbare Positionen, 25 bei dem anderen. „Es sind also rund 300 Medikamente, die ich nicht bestellen kann.“

„Momentan ist es eine Katastrophe“, klagt Apotheker Thomas Leitermann, Sprecher der Apotheker im Landkreis Mühldorf.

„Momentan ist es eine Katastrophe“

Was als nicht lieferbar angezeigt wird, erstreckt sich über die gesamte Palette an Arzneien. Leitermann, Inhaber der Inn-Apotheke in Mühldorf, zählt auf: „Was ich nicht habe sind Antibiotika in Tablettenform oder auch als Saft, bestimmte Cholesterinsenker und Magenschutz, Blutdrucktabletten, Antidepressiva, antibiotische Augentropfen und solche mit Kortison, starke Schmerz- und Betäubungsmittel und so weiter. Momentan ist es eine Katastrophe.“

Diabetes-Patienten gehen leer aus

Auch Medikamente zur Behandlung von Diabetes sind oft Mangelware. Hier gibt es neben der zu geringen Produktionsmenge auch noch einen anderen Grund. So wird die sogenannte Abnehmspritze, die eigentlich Diabetikern bei der Gewichtsreduktion helfen sollte, immer öfter auch gegen reines Übergewicht eingesetzt. „Wir haben immer wieder Verordnungen aus Privatrezept, wobei wir natürlich nicht wissen, welche Diagnose dahinter steht“, weiß Leitermann. „Ein Diabetes-Kassenpatient, der das Präparat bekommen soll, kann dann bei Lieferschwierigkeiten schon mal leer ausgehen und muss vertröstet werden.“

Arzneien in der Apotheke selbst herstellen?

Apotheker könnten doch nicht verfügbare Arzneien selbst herstellen? „Im Prinzip können wir alles herstellen, wir haben es ja gelernt“, stimmt Leitermann schmunzelnd zu. „Allerdings ist im Labor einer Apotheke nicht alles umsetzbar, wie etwa die Herstellung steriler Augentropfen.“ Fiebersenkende Zäpfchen und hustenstillende Säfte seien kein Problem. Ebenso Mittel zur Schmerztherapie oder dermatologische Cremes und Salben. In Leitermanns Inn-Apotheke wird täglich im Labor gemischt und gerührt.

„Das ist wie mit einer Küche vom Schreiner“

Aber, zum einen ist die Einzelanfertigung in der Apotheke teurer als das Produkt eines Großherstellers. „Das ist wie mit der Küche, die ich mir entweder vom Schreiner machen lasse oder die ich beim Möbeldiscount kaufe.“ Überhaupt sei die Honorierung solcher In-Haus-Produktionen das Problem. Der Apothekensprecher weiß aus eigener Erfahrung: „Die Krankenkassen sollten diese Arbeit in unseren Laboren zwar bezahlen und manche machen es auch, andere verweigern die Bezahlung.“

Apotheker müssen täglich zaubern

„Wir müssen täglich zaubern“, ist Susanne Engelmanns erste Antwort auf die Frage nach Ihrer Erfahrung mit Medikamentenknappheit. Bei rund einem Drittel aller Rezepte von Patienten der gesetzlichen Krankenkassen heißt es „Nicht lieferbar“. „Dann suchen wir nach einem gleichwertigen Ersatzpräparat eines anderen Herstellers, der hoffentlich liefern kann“, erklärt die Chefin der Antonius Apotheke Waldkraiburg das Vorgehen. „Wenn das nicht zu finden ist, halten wir Rücksprache mit der Arztpraxis, um eine Lösung zu finden. Aber meistens kriegen wir es hin.“

60 Cent für 30 Minuten Sucharbeit

„Dieser Mehraufwand an Arbeit und Zeit für nur ein Medikament kann schon mal bis zu 30 Minuten dauern“, so die Apothekerin. „Dafür bekommen wir von den Kassen ganze 60 Cent als Lieferengpass-Pauschale honoriert.“ Diese Fahndung nach Medikamenten nervt nicht nur die Apotheken-Mitarbeiter, auch die Patienten müssen mehr Zeit in der Apotheke verbringen oder am nächsten Tag zur Abholung wiederkommen.

„Wir müssen täglich zaubern“, Apothekerin Susanne Engelmann ist genervt von den Engpässen.

Zu kleine Hersteller, zu kleine Mengen

Meistens sind besonders gängige Medikamente nicht lieferbar – die sogenannten Generika, also Nachahmer-Medikamente, für die das lukrative Patent bereits abgelaufen ist. Diese werden überwiegend in China oder Indien produziert. „Oft sind diese Hersteller aber so klein aufgestellt, dass sie bei der Produktion an die Grenzen stoßen und nicht in ausreichender Menge liefern können“, weiß die Waldkraiburgerin. Dazu kommen noch immer Lieferproblem aus der Corona-Zeit, während der Lieferketten zusammengebrochen sind.

Produktion in Deutschland wäre unbezahlbar

„Es ist eine große Verlogenheit der Politik, zu verkünden ‚wir produzieren die Medikamente wieder selbst in Deutschland‘“, kritisiert Susanne Engelmann. „Denn das wäre mit dem deutschen Mindestlohn überhaupt nicht zu finanzieren.“

„Abnehmspritze“ ist kaum noch zu kriegen

Ein massives Problem hat die Apotheke derzeit ebenfalls mit der „Abnehmspritze“ Ozempic, die immer öfter auch im Landkreis verschrieben wird, um Kilos purzeln zu lassen. So wie es die Promis in Amerika vorgelebt und als Life-Style-Medikament propagiert haben. Engelmann: „Unsere Kartei ist voll mit Diabetes-Patienten, die dringend auf dieses Medikament warten.“ Dieser Engpass ist enorm und wird noch dadurch verschärft, dass der Hersteller in den USA dafür deutlich mehr Geld als in Deutschland bekommt und deshalb den Großteil seiner Produktion dorthin liefert. „Und wir dürfen schauen, wo wir bleiben“, klagt die Apothekerin.

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