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Immer mehr Gerichtsprozesse gegen Schleuser in Mühldorf

Keine Sitze, keine Heizung, kein Gurt: Flüchtlinge auf Ladefläche zusammengepfercht

BundesAuf der Ladefläche eines Kleinlastwagens liegt Flüchtlinge. So wie auf der Ladefläche des Transporters, den die Polizei bei Rosenheim stoppte, wurden Flüchtlinge am Nikolaustag 2021 in die Region gebracht. 
polizei stoppt Schleuser bei Rosenheim
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Auf der Ladefläche eines Kleinlastwagens liegt Flüchtlinge. So wie auf der Ladefläche des Transporters, den die Polizei bei Rosenheim stoppte, wurden Flüchtlinge am Nikolaustag 2021 in die Region gebracht.

Schleuserbanden verdienen viel Geld mit dem Transport von Flüchtlingen. Weil der Druck auf die Banden verstärkt wird, landen nun mehr Fälle vor Gericht: Ein Mühldorfer Prozess über einen Fall aus Neuötting fördert erschreckende Details zu Tage.

Mühldorf – Drei Schleuser sehen gut aus: Ordentlich gekleidet, einer sogar im Sakko, die Haare akkurat geschnitten, die Bärte gestutzt. Nur der vierte fällt aus dem Rahmen, er trägt T-Shirt und eine etwas schlabbrige Hose, Gefängniskleidung. Auf dem Weg in den Gerichtssaal ist er mit Handschellen gefesselt, zwei Polizisten begleiten ihn.

Es sind vier Männer arabischer Herkunft zwischen 25 und 40 Jahren, die vor Richter Florian Greifenstein und zwei Schöffen sitzen. Neben jedem der Vier ein Anwalt, zwei Dolmetscher machen die Anklagebank komplett. Große Besetzung. Ein Bild aus dem Mühldorfer Gerichtssaal, wie es derzeit häufig zu sehen ist. Denn die Zahl der Prozesse vor dem Amtsgericht gegen Schleuser ist stark gestiegen.

Auf der Ladefläche zusammengepfercht

Die vier Männer werden beschuldigt, am 6. Dezember 2021 Menschen verbotenerweise aus Wien nach Bayern gebracht zu haben: 17 Frauen und Männer, die aus Syrien und Palästina stammen, der Jüngste ist erst 15 Jahre alt. Eine Frau konnte zeitweise im Fahrerhaus sitzen, die anderen 16 wurden auf der Ladefläche eines Mercedes Sprinters zusammengepfercht, ohne Sitze, ohne Heizung, nicht angeschnallt, ohne Möglichkeit, sich irgendwo festzuhalten. Das wird am Ende den Ausschlag für das strenge Urteil geben.

Der Zufall bringt die Polizei auf die Spur der Schlepper. Einer Streife fällt an diesem Nikolaustag ein Mann auf, der im Gewerbegebiet von Neuötting vor dem Aldi herumsteht. Bereitwillig gibt er den Beamten seine Personalien. Als die Polizisten wenig später auf einem benachbarten Parkplatz den Sprinter mit den Flüchtlingen entdecken, zählen sie eins und eins zusammen. Der Mann ist zwar verschwunden, die Personalien aber stimmen. Die Spur zu den Schleusern ist entdeckt.

Fenster blickdicht verklebt

Der Rest ist normale Ermittlungsarbeit: Die Spurensicherung findet Fingerabdrücke auf einer Red-Bull-Dose, die in der Mittelkonsole des Sprinters steckt, und an den Klebestreifen, mit denen die Fenster zugeklebt sind, damit niemand hineinschauen kann. Ein Anruf bei der Verleihfirma, es wird schnell klar, wer hinter der Schleusung steckt. Wohnungsdurchsuchungen und Handyüberprüfungen zeigen, machen die Aufgaben der Täter klar.

Eine Polizistin berichtet, dass die Flüchtlinge in Wien abgeholt worden seien, für 500 bis 900 Euro hätten sie über Simbach nach Deutschland, Holland oder Belgien gebracht werden sollen. Zwei Begleitfahrzeuge hätten den Transport vor Kontrollen geschützt. Als die Polizei die Menschen in Neuötting entdeckt, geht es ihnen verhältnismäßig gut. Sie frieren, weil sie keine Winterkleidung tragen.

Fahrer sitzt bereits im Gefängnis

Achmet T. sitzt seit einiger Zeit im Gefängnis. Obwohl er keinen Führerschein hat, ist er der Fahrer. Die Methode der Schleuser: Sie werden von irgendjemand angeworben, mieten Mercedes Sprinter-Lieferwagen und andere Autos . Oder kaufen sie und lassen sie nach der Schleusung einfach stehen.

Die Zahl der Schleusungsfahrten steigt. Das gilt bayernweit, das gilt in der Region über die A94 und die Bahnstrecke. So griffen die beiden Bundespolizeiinspektionen Passau und Freilassing 883 mal Schleuser am Grenzübergang Braunau oder auf der A94 und in Zügen auf. Zum Vergleich: 2022 waren es 677, 2021 660. Die Polizei weist allerdings auf die coronabedingten Einschränkungen im Grenzverkehr und damit verbundene niedrigere Zahlen in den zurückliegenden Jahren hin.

Immer mehr Schleuser landen vor dem Amtsgericht Mühldorf, bestätigt Richter Greifenstein auf Anfrage. Aus seiner Sicht hat das mehrere Gründe: die steigende Zahl der Schleusungen, die häufigeren Kontrollen der Polizei, die Verstärkung der Staatsanwaltschaft durch eine Sonderabteilung, die ausschließlich Schleusungen verfolgt. „Das belastet unsere Arbeit schon massiv.“

Ein lukratives Geschäft: 2000 Euro für den Fahrer

Für die Schleuser ist das Geschäft lukrativ. Achmed T., der Fahrer des Sprinters, erhält 2000 Euro für seine Tätigkeit, die kaum drei Tage dauern wird. Oft setzen die Schleuser ihre Fracht einfach an der Autobahn ab, am Autohof Frixing, im Gewerbegebiet Mühldorf Nord oder an einem anderen Ort nahe der A94. Immer wieder kreist der Hubschrauber über Mühldorf, wenn die Polizei die Flüchtlinge sucht.

Nur einer streitet alles ab

Drei Schleuser vor dem Mühldorfer Amtsgericht sind geständig, nur einer streitet alles ab. Basil A. will zwar in Wien dabei gewesen sein, auf der Rückfahrt aber habe er sich mit seinem Lotsenfahrzeug abgesetzt, weil ihm dieSache zu heiß geworden sei. Das Gericht glaubt ihm nicht, Basil A. muss für 2 Jahre und 3 Monate ohne Bewährung ins Gefängnis. Genauso wie Fahrer Achmed T., die beiden anderen kommen als Beifahrer und Ersttäter mit Bewährungsstrafen von gut einem Jahr davon.

Richter: Menschenunwürdiger Transport

Richter Greifenstein spricht von einem „gewissen Maß an krimineller Energie“, aber „unterschiedlichen Tatbeiträgen“ , deshalb die unterschiedlichen Strafen. Vor allem aber spricht er von einem „menschenunwürdigem Transport“, im Winter ungesichert auf der Ladefläche eines Kleintransporters. Er sagt: „Man will sich gar nicht vorstellen, was da hätte passieren können.“

Rechtsanwalt Jörg Zürner hat einen der beiden Männer verteidigt, die mit Bewährungsstrafen davon gekommen sind. „Die politische Tendenz in Bayern ist es, keine Bewährungsstrafen mehr zu verhängen, um so die Abschreckung zu erhöhen“, sagt er, ohne eine juristische Wertung abgeben zu wollen. Im zurückliegenden Fall lobt er ausdrücklich das Vorgehen des Richters, der den Verzicht auf eine Bewährungsstrafe genau geprüft habe. „17 Leute, 16 nicht angeschnallt auf der Ladefläche, das ist brutal“, stimmt Zürner zu.

Schleuser kommen nicht wieder

Ob diese Abschreckung funktioniert, kann der Rechtsanwalt nicht sagen. Nur so viel: „Was Schleuser bei uns angeht, habe ich noch keinen zweimal gesehen.“ Auch Richter Greifenstein will sich nicht festlegen. „Ob die nach der Strafe geläutert sind? Das ist Spekulation.“ Er betont, dass die meisten Täter nicht ortsansässig sind, die jetzt verurteilten kommen aus dem Kölner Raum. „Aber der Fundus ist offensichtlich unerschöpflich.“ Und die Aussicht auf scheinbar leicht verdientes Geld auf Kosten anderer sehr verlockend.

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