„Er hat die Grundlage für die Stadtkirche geschaffen“
Das tolerante Gesicht der Kirche – Mühldorfs langjähriger Stadtpfarrer Hans Sinseder ist tot
Hans Sinseder hat als Pfarrer die katholische Kirche in Mühldorf entscheidend mitgeprägt. Sein Umgang mit Jugendlichen und Ehrenamtlichen ist legendär. Ein Nachruf.
Mühldorf - Von seiner Kirche, dem Gotteshaus St. Pius in Mühldorf Nord, hat sich Hans Sinseder nie weit entfernt. Nur einen Steinwurf weit wohnte er in den letzten Jahren, das Geläut von St. Pius gab seinen Lebensrhythmus vor. Gottesdienste hielt er nur noch an ausgewählten Tagen, Weihnachten und Ostern waren solche. Und obwohl er sich in seiner Pfarrei eher rar machte, blieb er doch vielen als der präsent, der St. Pius und die Mößlinger Pfarrei Mariä Himmelfahrt entscheidend geprägt, ihnen ein Gesicht gegeben hat.
Es sind die kleinen Sätze, die zeigen, was die Menschen in Mühldorf Nord an Hans Sinseder liebten: Dass wer immer zu ihm kam, ein offenes Ohr fand; dass sich der Pfarrer als Hausherr nicht zu schade war, abends den Hausmeister zu spielen und das Pfarrheim abzusperren; dass er immer dazu kam, wenn sich Menschen rund um die Kirche trafen.
Volksnah, aber nicht jedermanns Spezl
Das Ehepaar Hechfellner hat lange mit Sinseder zusammengearbeitet. Er als Kirchenpfleger, sie als Pfarrsekretärin. Wenn Therese Hechfellner ihren ehemaligen Chef beschreibt, spricht sie von Balance: „Es war seine ganz normale Art“, beschreibt sie ihn, „er war immer freundlich, volksnah.“ Aber: „Er war auch immer der Pfarrer, die Respektsperson.“ Nicht abgehoben, aber auch nicht jedermanns Spezl.
Diese Art prägte die noch junge Pfarrei St. Pius, als Sinseder 1977 nach Mühldorf kam. Es gab in dem schnell wachsenden Stadtteil viel aufzubauen, eine Arbeit, die der damals 37-Jährige tatkräftig anpackte. Zuerst, so erzählen Weggefährten, schaute er sich an, was es gab, dann ging es los. Ulrich Niederschweiberer war bei Sinseder Ministrant und später Sänger. Der Mößlinger sagt: „Er war ein sehr offener und freundlicher Mensch, der aber genau wusste, was er wollte.“
Zusammenwachsen gefördert
Zum Beispiel das Zusammenwachsen der so unterschiedlichen Pfarreien Mariä Himmelfahrt in Mößling und St. Pius in Mühldorf, Dorf und Stadt. Das, sagt Niederschweiberer, hat Sinseder geschafft: Dass sich beide Pfarreien aufeinander zu bewegt und akzeptiert haben. Für Niederschweiberer hat Sinseder damit noch mehr erreicht: „Er hat die Grundlage für die Stadtkirche geschaffen“, die Jahrzehnte später eingerichtet wurde: 2007 mussten fünf Mühldorfer und eine Mettenheimer Pfarrei zusammenwachsen.
In St. Pius erinnern sich die Hechfellners an diese verbindende Art Sinseders. So motivierte er viele mitzuhelfen, als es um den Bau des Pfarrzentrums ging, um die neue Arbeit mit Ministranten, Frauengemeinschaft oder Seniorenclub. Sinseder sagte einmal: „Ohne die Menschen, ohne die Ehrenamtlichen ist der beste Pfarrer nichts wert.“ Sinseder konnte andere einbinden, Arbeit abgeben, delegieren - und blieb als Verbindungsglied und Respektsperson doch immer dabei.
Legendäre Jugendarbeit im Pfarrheimkeller
Fast schon legendär war in dieser Zeit die Jugendarbeit im Pfarrheim St. Pius, das „Wir-Team“, das auch offene Angebote machte. Zum Beispiel die Diskos im Keller des Pfarrheims. „Was die alles machen durften“, sagt der ehemalige Kirchenpfleger Josef Hechfellner, „das hätte ich nicht erlaubt.“
Aus Dorfen nach Mühldorf
Sinseder stammt aus Dorfen, sein Vater starb im Krieg, der kleine Hans kam mit zwei Jahren zu den Großeltern auf den Hof. „Über den Glauben wurde daheim nicht viel geredet“, sagte Sinseder anlässlich seines goldenen Priesterjubiläums 2017. „Wir haben ihn einfach gelebt.“ Er begleitet die Oma zur Andacht, wurde Ministrant, wechselte auf das katholische Internat Scheyarn. Es folgte das Studium der Philosophie und Theologe, die Priesterweihe, bevor er in Trostberg seine erste Stelle antrat. Dann Prien und Waldkraiburg, und schließlich der Schritt nach Mühldorf.
Als die Pensionierung 2007 anstand, ging Sinseder den nächsten Schritt. Er verließ die Pfarrei und den Ortsteil, in dem er so verwurzelt war und lebte eineinhalb Jahre in Spanien. Er wusste, wie schwierig es für einen Nachfolger sein kann, wenn der Vorgänger noch immer da ist, sich einmischt. Das wollte er den Seelsorgern der neu gegründeten Mühldorfer Stadtkirche nicht zumuten.
Er half auch im Ruhestand
Als er zurückkam, zog er natürlich wieder in die Nähe seiner Kirche. Und immer wieder war seine, vom Rauchen so rau gewordene Stimme zu hören, wenn sich Menschen in der Pfarrei trafen. Oft war er dabei, diskutierte über Stadtpolitik oder die neue Stadtkirche mit. Er drängte sich aber nicht auf, wollte kein mitarbeitender Ruhestandspfarrer sein. Er kam, wenn man ihn rief, half aus, wenn Not am Mann war.
Hans-Sinsederplatz als Zeichen der Anerkennung
Dann führte sein Weg in die Sakristei stets über den Hans-Sinseder-Platz im Innenhof des Pfarrzentrums. Den haben ihm seine Pfarrmitglieder vor einigen Jahren als Zeichen der Anerkennung und Zuneigung gewidmet. Zuletzt kam er immer seltener, denn seine Gesundheit zwang ihn kürzer zutreten.
Am Donnerstag, 31. August, ist Pfarrer Hans Sinseder im Alter von 83 Jahren zu Hause gestorben. Das Requiem feiert Weihbischof Wolfgang Bischof am kommenden Donnerstag, 7. September, um 11 Uhr in St. Pius. Beerdigt wird Sinseder am Freitag in Ruhpolding.