Neujahrs-Schlägerei am Burghauser Bahnhof
Jugendliche „klären“ Streit: Messer, Macheten und eine durchtrennte Sehne
Am Neujahrstag treffen sich zwei Gruppen junger Männer am Burghauser Bahnhof. Es kommt zu einer brutalen Schlägerei, bei der auch Waffen im Spiel sind. Ein Mann wird schwer verletzt. Drei Beteiligte stehen jetzt vor dem Amtsgericht in Mühldorf.
Mühldorf/Burghausen – Sie streiten und schlagen sich nachts vor Diskos, sie treten zu und werfen mit Glasflaschen. Sie treffen sich mit Freunden und Bekannten, weil sie mit einer anderen Gruppe „reden“ wollen und bringen dazu, so Staatsanwältin Carolin Regensburger, Messer, Macheten, Hammer und Schlagstöcke mit. Und am Ende eines solchen „Gesprächs“ liegt ein Somalier mit zwei Stichwunden am Boden, sind ein Oberarmmuskel und die Patellasehne im linken Knie durchtrennt.
Das ist der Stoff, der derzeit vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Mühldorf unter Vorsitz von Richterin Dr. Angela Miechielsen verhandelt wird. Dazu hatten sich drei Angeklagte zwischen 17 und 23 Jahren aus dem Landkreis Altötting, vier Rechtsanwälte, Staatsanwältin Regensburger, zwei Mitarbeiterinnen der Jugendgerichtshilfe, Rechtsmediziner Dr. Fritz Priemer sowie zahlreiche Freunde und Verwandte der Angeklagten im Saal 116 eingefunden. Da zwei Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen, ist Mühldorf als Haftgericht für das Verfahren zuständig.
Höhepunkt vieler Streits: Gruppen-Schlägerei in Burghausen zu Neujahr
Staatsanwältin Regensburger warf den Dreien unter anderem gefährliche Körperverletzung vor: Am 16. Juli 2023 soll der 23-jährige Afghane Bari S. (alle Namen von der Redaktion geändert) nachts um drei Uhr einem Kontrahenten vor der Töginger Disko Silo einen Fußtritt gegen die Brust versetzt und am 1. Januar dieses Jahres unerlaubt eine Schreckschusswaffe bei sich gehabt haben. Am 18. November soll der 17-jährige Deutsche Thomas A. nachts um halb eins in einer Erlbacher Disko einem anderen eine Glasflasche an den Kopf geworfen haben.
Der „Höhepunkt“ ereignete sich am 1. Januar abends um halb acht vor dem Bahnhof in Burghausen. Zu dieser Zeit sollen sich die drei Angeklagten mit sieben weiteren Bekannten, die sie ihren Angaben nach teilweise nur vom Sehen und dem Spitznamen nach kannten, getroffen haben.
Zum Gespräch werden Messer, Macheten, Hammer und Schlagstöcke mitgenommen
Sie wollten sich mit einer Gruppe Somalier treffen, um einen Streit zu klären, den diese in der Silvesternacht bei der Messehalle mit Thomas A. und dem 18-jährigen Syrer Abdul M. hatten. Dazu sollen sie Messer, Macheten, Hammer und Schlagstöcke mitgebracht haben.
Statt Worte flogen schnell Fäuste hin und her. In dem Streit soll unter anderem Abdul M. einen Somalier festgehalten haben. Dann stach Bari S. mit einem Messer zu und traf den Oberarm. Anschließend soll Thomas A. das Opfer mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Als der Ostafrikaner am Boden lag, habe Bari S. noch einmal zugestochen und die Patellasehne durchtrennt, so Staatsanwältin Regensburger.
Verhandlung nach 25 Minuten unterbrochen
Kaum war die Anklage verlesen, unterbrach Richterin Miechielsen 25 Minuten nach Sitzungsbeginn die Verhandlung. Jörg Zürner, Anwalt von Abdul M., hatte um ein Rechtsgespräch gebeten.
Nach vielem Hin und Her verständigten sich die Verteidiger, die Staatsanwältin und die Richter auf Jugendstrafrecht und einen möglichen Strafrahmen, wenn diese „vollumfänglich gestehen“, so Richterin Miechielsen. Sie müssten sich dabei „also auch selber belasten“ und die Geständnisse selber ablegen, Stellungnahmen der Verteidiger alleine reichten ihr nicht. Nach eineinhalb Stunden ging das Verfahren damit weiter.
Angeklagte sagen zu früheren Auseinandersetzungen aus
Thomas A. gestand seinen Flaschenwurf in der Disko. Sein 20 Zentimeter größerer Kontrahent habe sich ihm in den Weg gestellt. Dann sei die Situation eskaliert, auch weil er deutlich alkoholisiert war.
Bari S. räumte den Besitz der Schreckschusswaffe ein. „Sie war aber nicht geladen“, ergänzte sein Anwalt Hanns Barbarino. Auch den Fußtritt vor der Disko gestand Bari und erzählte, er sei vorher mit einem handtellergroßen Stein beworfen worden. „Mit voller Wucht und Kraft stimmt nicht“, so Bari S.. „Es war nur ein leichter Kick, aber er ist umgefallen. Er war voll besoffen.“
Im Zeugenstand räumte das Opfer ein, dass Alkohol im Spiel war. Er habe mit dem Vorfall abgeschlossen und habe auch seine Anzeige zurückgezogen. Anwalt Barbarino wollte daraufhin diesen Teil einstellen. Staatsanwältin Regensburger schüttelte aber den Kopf: „Nein.“
Erst mal reden: „Wenn es nicht klappt, dann halt Schlägerei“
Der Mittelpunkt des Verfahrens war die Gruppen-Schlägerei am 1. Januar abends am Burghauser Bahnhof. „Wir wollten erstmal reden. Wenn es nicht klappt, dann gibt es halt eine Schlägerei“, sagte Abdul M..
Auch Thomas A. rechnete mit einer Schlägerei, wie er erklärte. Er habe auch einen „Schlagstock“ dabei gehabt: „Zur Abschreckung. Die anderen waren auch bewaffnet.“ Es sei kein verbotener Schlagstock gewesen, sondern eher ein billiger, den er im Internet „über Temu“ gekauft habe.
Messerstecher konnte nicht mehr gerade stehen
Bari S. ist nach seiner Aussage zufällig zu der Gruppe gekommen: „Ich wusste nichts davon.“ Er sei vorher in Burghausen alleine Essen gewesen und habe dabei sieben oder acht Gläser Whisky-Cola getrunken. Er könne sich nicht mehr an die Schlägerei erinnern.
„Bari war besoffen“, bestätigte Abdul M.. „Er konnte nicht mehr geradeaus gehen.“ Rechtsmediziner Priemer schätzte, dass Bari S. zum Zeitpunkt der Schlägerei 1,2 Promille gehabt haben könne.
Messer zur Selbstverteidigung bei sich
Das Messer habe er nur „zur Selbstverteidigung“ bei sich gehabt, sagte Bari S.. Wenn er trinke, „fühle ich mich damit sicherer“.
„Ich wusste, dass Bari S. ein Messer dabei hat“, sagte Abdul M.. „Ich dachte nicht, dass er es benutzen würde. Er ist eigentlich keiner, der ein Messer nützt.“ Auch Thomas A. sagte, er habe von dem Messer gewusst.
Den genauen Ablauf der Schlägerei konnten die Angeklagten nicht mehr schildern. Abdul M. bestätigte aber, dass er einen Somalier festgehalten habe, damit er nicht wie die anderen weglaufe.
„Es war mehr ein Gerangel als gezieltes Festhalten“
Wie es weiter ging, was genau geschah, blieb unklar. „Es war mehr ein Gerangel als ein gezieltes Festhalten“, erklärte Anwalt Christian Straub für Thomas A.. Der 17-Jährige ergänzte: „Es ist schon lange her und es war auch schon dunkel.“
Bari S. bestätigte, dass er dem Opfer „oben“ einen Messerstich versetzt habe.
„Ich war schockiert“
„Ich war schockiert“, so Abdul M.. Er habe den Somalier losgelassen und sei „weggelaufen“. Von einem zweiten Stich wisse er nichts. Auch Thomas A. erklärte, er sei nach dem Stich geflohen.
Bari S. konnte sich nicht erinnern, ein zweites Mal zugestochen zu haben, auch nicht, wo. „Wie soll ich das wissen, wenn ich voll unter Alkohol war?“
Nach der Schlägerei sei er in den Zug gestiegen und nach Hause gefahren.
Alle beteuern ihre Reue und sind aktenkundig
Alle drei Angeklagten beteuerten, es tue ihnen leid und sie würden es bereuen. Sie hätten „viel nachgedacht“, wollten ihr Leben ändern, eine Ausbildung machen, eine Familie gründen und sich auch Hilfe holen.
Abschließend gab Richterin Miechielsen noch bekannt, dass alle drei schon aktenkundig sind, unter anderem wegen Körperverletzung und schwerer Körperverletzung. Von Bari S. sei aktenkundig, dass er Kickboxen beherrsche und im Straßenkampf geübt sei. Und Staatsanwältin Regensburger wies an anderer Stelle darauf hin, dass sie gegen Thomas A. noch ein weiteres Verfahren auf dem Tisch habe; das habe sich nach der Neujahrs-Schlägerei zugetragen.
Eine letzte Umarmung vor der U-Haft
Damit endete der erste Verhandlungstag. Abdul M. und Bari S. wurden vor dem Sitzungssaal noch von Freunden und Verwandten umringt, umarmt und geherzt. Dann ging es für sie wieder in Untersuchungshaft.
Die Verhandlung wird am Dienstag, 29. Oktober, um 9 Uhr fortgesetzt. Dann sind weitere Opfer geladen – unter anderem der Somalier, auf den laut Anklage zweimal eingestochen wurde.