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Strafbefehl bei X gepostet

„Leben in keinem Rechtsstaat mehr“: Paula oder Paul aus Waldkraiburg & ein spezieller Gerichtstag

Ein Waldkraiburger (57) hatte auf Twitter (jetzt X) verfassungswidrige Bilder gepostet. Dafür musste er sich jetzt vor dem Amtsgericht Mühldorf verantworten.
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Eine Waldkaiburgerin (58) hatte auf X ihren Strafbefehl gepostet. Dafür musste sie sich jetzt vor dem Amtsgericht Mühldorf verantworten.

Eine Frau aus Waldkraiburg hatte einen Strafbefehl bekommen und diesen ein Dutzend Mal auf X veröffentlicht. Deswegen stand sie jetzt vor dem Amtsgericht Mühldorf und sorgte für eine ungewöhnliche Verhandlung. 

Mühldorf – Diese Verhandlung forderte Amtsrichterin Dr. Angela Miechielsen einiges an Geduld ab. Immer wieder musste sie die Angeklagte Paula M. (Name von der Redaktion geändert) daran erinnern, dass es bei ihr einzig und allein darum gehe, ob sie Strafbefehle vor ihrem Verfahren im Internet veröffentlichen darf – oder nicht.

Doch die angeklagte 58-Jährige aus Waldkraiburg kam trotzdem immer wieder auf eine frühere Anklage gegen sie zurück, in der sie sich noch als Mann verstanden hatte: Unerlaubtes Verbreiten von verfassungsfeindlichen Symbole im Internet (siehe Kasten). Damit die Richterin verstehe, „dass ich fälschlich beschuldigt werde“. Darum sie den Strafbefehl veröffentlicht habe. 

Unerlaubtes Verbreiten verbotener Symbole

Die 58-jährige Waldkraiburgerin war bereits im Dezember von Amtsrichter Florian Greifenstein wegen des Verbreitens von Fotos mit verfassungsfeindlichen Symbolen wie Hakenkreuzen sowie mit ukrainischen Nazis verurteilt worden; hatte sich damals noch als Mann bezeichnet. Sie hatte sich damals darauf berufen, dass sie nur das Zeitgeschehen dokumentiert habe. Richter Greifenstein überzeugte das aber nicht und er verurteilte die Waldkraiburgerin zu 180 Tagessätzen zu je 15 Euro. 

Paula M. hatte gegen das Urteil beim Landgericht Traunstein Berufung eingelegt; ebenso die Staatsanwaltschaft. Die Berufungen wurden am Dienstag, 8. Oktober, als unbegründet verworfen, so Cornelia Sattelberger, Pressesprecherin am Landgericht Traunstein. Das Urteil wird am Mittwoch, 16. Oktober, rechtskräftig, wenn die Parteien keine Rechtsmittel dagegen einlegen.

„Ich werde vom Staatsanwalt persönlich verfolgt“, sagte Paula M. ein ums andere Mal. Um das zu belegen, habe sie zwischen dem 26. November und dem 1. Dezember vergangenen Jahres auf X (früher Twitter) insgesamt zwölf Mal den Strafbefehl gegen sie – zum Teil geschwärzt – veröffentlicht. 

Schon vor Prozessbeginn die erste Überraschung

Das aktuelle Verfahren hatte aber schon vor Beginn die erste Überraschung parat. Mit Bartstoppeln und einer roten Perücke auf dem Kopf betrat Paul M. den Gerichtssaal und erklärte, er sei eine Transfrau, war fortan: Paula.

Die Waldkraiburgerin verteidigte sich selbst, zitierte immer wieder lange und ausführlich verschiedene Urteile bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Wie sie es gerade für richtig befand, befragte sie die Staatsanwältin und Zuschauer, wollte von dem als Zeugen geladenen Polizisten seine persönliche Rechtsauffassung erfahren und einmal sogar von Richterin Miechielsen. „Wie ich die Rechtslage sehe, sage ich Ihnen dann in meinem Urteil“, konterte die.

Ungewöhnlich viele Zuhörer

Diesen durchaus nicht alltäglichen Auftritt verfolgte ein Publikum, das im Laufe der Verhandlung auf elf Personen anwuchs. Nach dem Urteil scharten sich die Besucher vor dem Saal um Paula M. und lobten ihr Auftreten.

Staatsanwältin Pilz blieb dabei: Die Veröffentlichung war eine verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen und damit strafbar. „Ihnen war bewusst, dass Ihre Beiträge durch die Veröffentlichung auf der frei zugänglichen Plattform X für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar waren.“

Keine Öffentlichkeit in juristischem Sinn?

Das bestritt die Angeklagte. Um die Beiträge zu sehen, brauche es erst einmal einen eigenen Account, außerdem müssten die Beiträge eigens gesucht werden, sie würden nicht einfach so angezeigt, sagte sie. „Öffentlichkeit im juristischen Sinne beginnt ab 80 bis 100 Personen.“ Dabei berief sie sich auf eine Aussage, die sie im Amtsgericht Altötting gehört haben wollte. Nur ein einziger Post sei über 100 Mal angesehen worden, alle anderen blieben bei 20 bis 30 Aufrufen. 

Und noch ein Argument führte die Waldkraiburgerin an: Es sei nirgends vermerkt, dass ein Strafbefehl vor der Verhandlung nicht veröffentlicht werden dürfe. „Woher soll ich das wissen?“ Selbst eine Suche im Internet habe keine eindeutige Antwort geliefert; auch das Bundesverfassungsgericht hätte schon eine Veröffentlichung zugelassen. 

Staatsanwalt verfolge sie

Ihre Veröffentlichung habe niemanden in dem Strafverfahren beeinflusst. Daher: Der Zweck des Paragrafen sei nicht verletzt worden.

Und überhaupt: Den Strafbefehl gebe es nur, weil der Staatsanwalt sie verfolge. Als der geladene Polizist sagte, er habe auf Anweisung der Staatsanwaltschaft ermittelt, meinte Paula M. lapidar: „Also auf Befehl.“

Staatsanwältin ist unbeeindruckt

Staatsanwältin Pilz beeindruckte das alles nicht: Es gehe „einzig und allein darum“, dass der Strafbefehl öffentlich zugänglich wurde. „Es spielt keine Rolle, wie oft es angesehen wird. Sie hatten das nicht mehr in der Hand.“ Mit dem Verbot der Veröffentlichung vor der Verhandlung solle das Gerichtsverfahren geschützt werden. Pilz forderte für die nicht vorbestrafte, arbeitslose Angeklagte eine Strafe von 280 Tagessätzen zu je 15 Euro.

Schlussplädoyer der Angeklagten dauert gut 45 Minuten

In ihrem Schlusswort legte Paula M. gut eine dreiviertel Stunde noch einmal ihre Gesichtspunkte dar. Sie habe wegen der Verfolgung durch den Staatsanwalt im „Notstand“ gehandelt: „Wir leben in keinem Rechtsstaat mehr. Es war ein Hilfeschrei. Es war die letzte Form des Widerstands. Sie haben mich eines Verbrechens beschuldigt, dass ich gar nicht begangen haben kann.“

Ohne durchschlagenden Erfolg. „Schuldig“, urteilte Richterin Miechielsen und verhängte eine Strafe von 210 Tagessätzen zu je 15 Euro. Es komme nur darauf an, dass die Beiträge gelesen werden konnten, nicht ob und wie oft. Auch habe das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass man „auch als Betroffener Täter sein“ kann. Miechielsen: „Sie haben gemeint, Sie dürfen den Strafbefehl veröffentlichen, Sie dürfen es aber nicht.“

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