Gewalttätig, alkoholisiert, bewaffnet
„Er zielte auf mein Herz“: So wird die „Gewaltexzess“-Messerstecherei von Burghausen bestraft
Am Neujahrstag gab es in Burghausen beim Bahnhof eine Massenschlägerei zweier Jugendgruppen. Dabei war auch ein Messer im Spiel. Der Messerstecher und zwei weitere Jugendliche standen jetzt vor dem Amtsgericht Mühldorf. So urteilte die Richterin.
Mühldorf/Burghausen – „Sie hatten großes Glück, dass es jetzt nicht um Totschlag geht.“ Dr. Angela Miechielsen, stellvertretende Direktorin am Mühldorfer Amtsgericht, fand in ihrem Urteil deutliche Worte für die drei jugendlichen Angeklagten zwischen 17 und 23.
Die drei mussten sich vor dem Schöffengericht wegen verschiedener Vergehen, vor allem aber wegen einer Massenschlägerei am Neujahrstag in Burghausen beim Bahnhof verantworten. Gewaltbereitschaft, Rache, Alkohol und ein Messer sorgten dafür, dass ein Somalier seither für sein Leben gezeichnet ist.
„Das ist ihre Schuld“
„Gewalt mit Messer ist absolut inakzeptabel“, betonte Miechielsen. Das sei ein „Gewaltexzess“ gewesen: Drei gegen einen. „Die Massivität ist erschreckend. Sie haben jemanden für sein Leben massiv beeinträchtigt. Das ist ihre Schuld.“
Der gemeinsame Nenner aller Taten des 23-jährigen Afghanen Bari S., des 18-jährigen Syrers Abdul M. sowie des 17-jährigen Deutschen Thomas A. (alle Namen von der Redaktion geändert): Alkohol und Gewaltbereitschaft. Bari S. und Abdul M. sitzen deswegen seit neun Monaten in Untersuchungshaft, wurden in Handschellen und Fußfesseln in den Gerichtssaal 116 geführt.
Jetzt sprach das Opfer
Am ersten Verhandlungstag hatten die Angeklagten bereits gestanden; im Gegenzug einigten sich Staatsanwältin Carolin Regensburger, die vier Verteidiger und das Gericht auf einen Strafrahmen nach Jugendstrafrecht. Jetzt kamen das Opfer, der Rechtsmediziner Dr. Fritz Primer sowie Birgit Zscheile von der Jugendgerichtshilfe zu Wort.
Am Silvesterabend waren Thomas A. und Abdul M. in Burghausen auf einer Party. Dort kam es zu einem Streit mit Somaliern, den sie am Neujahrstag klären wollten. So standen sich zwei Gruppen gegenüber.
Zufällig und alkoholisiert vor Ort, aber mit Messer
Bari S. stieß nach seiner Aussage nur „zufällig“ zu Abdul und Thomas, er hatte ein Messer dabei und war nach sieben bis acht Jackie-Cola alkoholisiert. 1,5 Promille könnten es gewesen sein, meinte Rechtsmediziner Dr. Fritz Priemer. Die seien wohl „wirksam“ gewesen, könnten eine „gewisse enthemmte Verhaltensweise“ begünstigt haben.
Sehr schnell flogen die Fäuste und die Afrikaner rannten davon. Der 20-jährige Hassan T. (Name von der Redaktion geändert), der nur zu Besuch in Burghausen war, war zu langsam. Thomas A. und Abdul M. packten ihn. Es kam zu einem Gerangel und Baris S. stach mit seinem Messer zweimal zu.
Opfer sagte verworren und widersprüchlich aus
Bekam Hassan den ersten Messerstich im Stehen oder im Liegen? Bekam er einen Faustschlag ins Gesicht oder gar einen Fußtritt? Von wem? Wann? Die übersetzten Aussagen von Hassan waren zu verworren und widersprüchlich, um das aufzuklären. Bei einem war sich Hassan T. aber sicher: „Er wollte mir ins Herz stechen.“
Noch etwas war gesichert: Hassans Trizeps war komplett durchtrennt, ebenso die linke Patella-Sehne, das Kniegelenk offen. Der Arm brauchte fünf Monate, um zu verheilen; das Knie sieben. „Im Alltag ist alles Ok“, nur beim Treppensteigen, beim Heben von schweren Gegenständen habe er heute noch Probleme, so Hassan, der die Entschuldigungen der Angeklagten ausschlug.
Schädliche Neigungen und eine negative Prognose
Eindeutig die Aussage der Jugendgerichtshelferin Zscheile: Alle drei seien einschlägig bekannt, hätten schon verschiedene Maßnahmen durchlaufen – erfolglos. Alle hätten „schädliche Neigungen“, seien gewaltbereit. Bei allen sah sie eine „negative Prognose“.
Staatsanwältin Carolin Regensburger erinnerte in ihrem Plädoyer daran, dass Hassan T. ein „Zufallsobjekt“ war und nach der Tat „liegengelassen“ wurde. „Wir hätten hier auch wegen eines Tötungsdelikts sitzen können.“
Reifeverzögerung und Scham
Der 23-jährige Messerstecher Bari S. zeige, so Regensburger, eine „Reifeverzögerung“: „Er macht halt mit.“ Für ihn forderte sie zwei Jahre und zehn Monate Haft.
Bari S. saß mit gesenktem Kopf da, verbarg sein Gesicht, hatte danach gerötete Augen. „Er schämt sich“, so sein Anwalt Hanns Barbarino. Er und Baris zweiter Anwalt, Harald Baumgärtl, erinnerten an das Geständnis, die 1,5 Promille Alkohol, die zufällige Anwesenheit beim Schauplatz. Barbarino: „Das war eine Verkettung von ganz unglücklichen Umständen.“ Sie wollten nur zwei Jahre und vier Monate.
Bewährung trotz „enormer Rückfallgeschwindigkeit“?
Bei Abdul M. sah Staatsanwältin Regensburger eine „enorme Rückfallgeschwindigkeit“. Sie beantragte zwei Jahre Jugendstrafe ohne Bewährung.
Rechtsanwalt Jörg Zürner hatte hierfür kein Verständnis. Abdul habe doch als einziger bereits in der Untersuchungshaft überschießend gestanden: „Er hat ohne Wenn und Aber seine Kumpels verraten.“ Er sei bereits seit neun Monaten in Haft, habe ein gesichertes Umfeld, eine langjährige Freundin und Verlobte. Auch seine bisherige Chefin hatte vor Gericht ein Loblied auf ihn angestimmt, ihm einen neuen Lehrvertrag angeboten. Freiheitsstrafe ja, aber auf jeden Fall zur Bewährung, so Zürner. „Der Erziehungsgedanke muss oberste Priorität haben.“
Gewaltbereitschaft und Rachemotive
Beim 17-jährigen Thomas A. sah die Staatsanwältin „eine gewisse Gewaltbereitschaft“ sowie Rachemotive. Für ihn wünschte sie sich ein Jahr und sechs Monate mit Bewährung: „Letzter Warnschuss.“
Auch Thomas Anwalt Christian Straub verwies auf das Geständnis. Er beantragte ein Jahr Freiheitsstrafe, „selbstverständlich“ auf Bewährung.
70 Minuten bis zum Urteil
In ihren Schlussworten drückten alle Angeklagten noch einmal ihr Bedauern aus und gelobten Besserung. Dann zogen sich Richterin Miechielsen und die beiden Schöffen zur Beratung zurück.
70 Minuten später verlas die Richterin das Urteil.
Eine „deutliche Warnung“
Bari S. habe Hassan T. „brutal attackiert“. Er bekam zwei Jahre und acht Monate ohne Bewährung.
Thomas A. habe eine schädliche Neigung und sei schon mehrfach in Erscheinung getreten. Als „deutliche Warnung“ bekam er ein Jahr und drei Monate auf Bewährung.
Abdul M. muss sich Bewährung erst verdienen
Abdul M. bekam ein Jahr und acht Monate. Über die Bewährung „können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend feststellen“, so Miechielsen. Daher habe er jetzt zuerst noch einmal sechs Monate Vorbewährung, in denen nichts mehr passieren darf. „Sie müssen sich die Bewährung erst verdienen. Das ist ein Vertrauensvorschuss von uns.“
Abdul M. und Thomas A. müssen zudem monatliche Zahlungen an die freie Jugendhilfe zahlen, als „monatliche Erinnerung an ihre Tat“, so Miechielsen.
Tränen, ein Freudensprung und Fußfesseln
Abdul M. konnte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Es dauerte allerdings, bis er und seine Freundin das realisiert hatten. Doch dann sprang sie ihm erleichtert in die Arme. Seiner Mutter und seinen Bekannten standen Tränen in den Augen.
Ein paar Meter weiter verabschiedete sich Bari S. von seiner Familie und Freunden – weiterhin in Fußfesseln. Für ihn ging es wieder zurück ins Gefängnis.
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