Prozess um Schleuserunfall mit sieben Toten
Schmerzensschreie und Verstümmelte: Polizisten schildern Bild des Grauens nach A94-Unfall
Ampfing/Traunstein - Mit 180 km/h soll Samer O. vor einem Jahr auf der A94 vor der Polizei geflüchtet sein - an Bord seines Kleinbusses: 22 Asylbewerber, alle völlig ungesichert. Sieben von ihnen starben bei dem Unfall nahe Ampfing. Am heutigen Dienstag beginnt der Mord-Prozess gegen den Fahrer am Landgericht Traunstein.
Update, 14.40 Uhr - Bild des Grauens
Ein Bild des Grauens muss es gewesen sein, dass sich den beiden Zivilbeamten bot, die den Schleusungs-Kleinbus verfolgten und als erste an der Unfallstelle waren. Die beiden Polizisten sagen nun als Zeugen aus. Von einer „riesigen Staubwolke“ berichtet einer der Beamten, nachdem sich der Mercedes Vito von Samer O. über eine Leitplanke überschlug.
„Beim Aussteigen dann Hilfe-Rufe, Schmerzensschreie... Das Auto lag auf dem Dach, darunter war eine Person zu erkennen“, berichtet die Kollegin des Polizisten. Sie muss schlucken und kurz unterbrechen. Es war wohl nur ein lebloser Arm, der unter dem Auto hervorlugte. „Die Airbags waren blutverschmiert, blutende Personen krabbelten aus dem Auto“, fährt die Bundespolizistin fort. Mehrere Menschen lagen bereits reglos hinter der kaputten Leitplanke.
Immer wieder kommt auch der sechsjährige Bub zur Sprache. Er wurde wohl als Erstes aus dem Auto geschleudert und lag tot einige Meter entfernt in der Wiese. „Es gibt Verletzungen, die sind so offensichtlich mit dem Leben nicht vereinbar – und dieses Kind war eindeutig tot“, umschreibt es der Polizist. „Es gibt immer wieder Momente, in denen man dran denkt.“ Auch Details über die schlimmen Verletzungen und Entstellungen der Getöteten werden vor Gericht kurz genannt, sollen hier aber ausgespart bleiben.
Bereits die Zeit vor dem Unfall verlief turbulent. Die Polizisten berichten von der Verfolgungsjagd. Durch eine „unsichere Fahrweise“ sei den beiden Bundespolizisten in Zivil der Mercedes Vito bereits auf der B20 bei Burghausen aufgefallen. Auf der A94 Richtung München wollte man sich den Kleinbus dann genauer anschauen. „Police, follow“ ließ man in der Heckscheibe rot aufleuchten. Aber Samer O. habe sich der Kontrolle gleich zweimal waghalsig entzogen, zuerst bei Töging, dann bei Mühldorf-West.
Dann sei der Angeklagte immer wieder extrem nah aufs Zivilauto der Polizei aufgefahren, habe wilde Lenkbewegungen nach links und rechts gemacht. „Wir haben und schließlich dazu entschieden, hinter dem Vito zu bleiben und ihn zu verfolgen, bis Unterstützung kommt.“ Mit 180 km/h wurde ab Mühldorf dann über die Autobahn gedonnert. Grund genug für die Polizisten, auch die Videokamera hinter der Frontscheibe anzuschalten.
Der Prozess um den Schleuserunfall mit sieben Toten wird am Donnerstag (10. Oktober) vor dem Landgericht fortgesetzt.
Update, 11.55 Uhr - Polizei-Video zeigt Schleuser-Verfolgungsjagd
Jetzt wird ein Video gezeigt, das die Verfolgungsjagd auf der A94 aus dem Polizeiauto zeigt. Immer wieder hört man eine Bundespolizistin, wie sie Infos per Funk weitergibt: „Mercedes Vito, Wiener Kennzeichen, schwarz“, „180 km/h“, „Mühldorf-West, Fahrzeug will ausfahren“. Damals gegen 3.15 Uhr nachts war kaum Verkehr. Nur einmal wird ein Lkw überholt. Die dunkle Landschaft, Brücken oder blaue Verkehrszeichen rauschen aber geradezu vorbei.
Auch der Polizist am anderen Ende des Funks ist zu hören: „Wir machen noch keine Sperre, weil bei 180 km/h gibt das Tote.“ Als die Bundespolizisten schließlich den Unfall bei der Ausfahrt Ampfing durchgeben, bricht das Video ab. „Unfall! Unfall! Scheiße!“, sind die letzten Worte, die noch zu hören sind. Die beiden Polizisten werden heute Nachmittag noch als Zeugen vor Gericht erwartet.
Richter Volker Ziegler zeigt auch, was alles auf dem Handy des 25-jährigen Angeklagten gefunden wurde. Dabei sind einige Fotos vom September 2023, auf denen Kleinbusse abfotografiert sind, jeweils mit Wiener Kennzeichen. Mal ein Renault, mal ein Mercedes. Es dürften jene Autos sein, die sich Samer O. und seine Komplizen für die Schleusungen ausliehen.
Außerdem taucht ein Foto vom Abend des 12. Oktober 2023 auf. Es zeigt den Innenraum seines Schleusungsautos – zu sehen sind einige der Asylbewerber, die Samer O. über die Grenze brachte. Einige machen fröhliche Gesichter. Doch von den 22 Personen, die in den Neunsitzer gequetscht wurden, verloren sieben ihr Leben, der Rest wurde teils schwer verletzt. Kurz nach dem Unfall versuchte der Angeklagte dann noch, Whatsapp auf seinem Handy zu löschen.
Auch der Angeklagte selbst verletzte sich beim Unfall, kann heute eine seiner Hände noch nicht schließen. Nun steht eine längere Mittagspause an. Danach berichten jene Polizisten, die Samer O.s Schleuserauto verfolgten und als erste an der Unfallstelle waren.
Update, 11 Uhr - Mord-Prozess am Landgericht
Jetzt gilt‘s: Der Angeklagte ist am Zug. Und Samer O. gibt zu, der Todesfahrer gewesen zu sein. Zur Tat selbst äußert er sich selbst aber nicht. Sein Verteidiger Hans-Jörg Schwarzer spricht für den 25-Jährigen. „Er wollte nicht, dass jemand verletzt oder getötet wird“, so Schwarzer. Nur eine der drei weiteren Schleusungen im September 2023, bei denen niemand zu Schaden kam, habe er nicht zu verantworten.
Im Alter von 15 Jahren ging der Angeklagte von Syrien nach Österreich. Hier ergreift er selbst das Wort. Seine Eltern seien palästinensischer Abstammung, daher galt auch er in Syrien als staatenlos. Samer O. arbeitete in Wien zuletzt als Paketlieferant für Amazon, verdiente so bis zu 1900 Euro netto. Im Frühjahr 2023 habe er dann gekündigt und war arbeitslos. Hier wird das Gericht rund um Volker Ziegler hellhörig. Denn laut Staatsanwaltschaft habe er pro Schleusungsfahrt mindestens 6000 Euro verdient.
Als nächstes wird das Video von der Verfolgungsfahrt aus dem Polizeiauto gezeigt. Mit rund 180 km/h verfolgten ihn die Beamten auf der A94 Richtung München – bis es zum verheerenden Unfall kam.
Update, 10.30 Uhr - Staatsanwalt Andrä nennt Details
Großer Medien- und Zuschauerrummel im Hauptverhandlungssaal des Traunsteiner Landgerichts. Mit einiger Verspätung wird Samer O. aus seiner Untersuchungshaft in Landshut vorgeführt. Der 25-Jährige soll sieben Menschenleben auf dem Gewissen haben. Sein Verteidiger Hans-Jörg Schwarzer nimmt neben ihm Platz und Staatsanwalt Markus Andrä beginnt mit der Verlesung der detaillierten Anklageschrift. Sie ist sieben Seiten lang.
In einem Mercedes Vito mit Wiener Kennzeichen soll der gebürtige Syrer am 13. Oktober 2023 bei Burghausen die Grenze überquert haben. An Bord 22 Personen aus der Türkei und Syrien – völlig ungesichert, denn das Auto war ein Neunsitzer. Drei Komplizen des Angeklagten sollen für den Angeklagten in einem BMW im Grenzbereich die Lage erkundet haben, ob die Polizei kontrolliert. Und tatsächlich: Nachdem der Angeklagte gegen 3.15 Uhr auf die A94 Richtung München eingebogen war, wurden Zivilbeamte der Bundespolizei auf den Neunsitzer aufmerksam.
„Ab der Ausfahrt Töging wurden von den Beamten Anhaltesignale gesetzt“, so Staatsanwalt Andrä – doch der 25-Jährige habe beschleunigt, statt anzuhalten. Mit Blaulicht und Martinshorn nahm die Polizei die Verfolgung auf, mit bis zu 180 km/h sei der Angeklagte unterwegs gewesen. Bei Mühldorf-West habe er es zum ersten Mal probiert, völlig waghalsig von der Autobahn herunterzukommen, doch in letzter Sekunde sei er wieder eingeschert.
An der Ausfahrt Ampfing dann der nächste Versuch, die Autobahn zu verlassen – laut Staatsanwaltschaft mit rund 150 km/h. Der Mercedes des Angeklagten habe dann eine Leitplanke durchbrochen und habe sich überschlagen. Währenddessen wurde eine Mitteltür des Kleinbusses aufgerissen und sieben Personen wurden hinausgeschleudert und getötet: Drei Türken und vier Syrer, darunter auch ein sechsjähriger Bub.
Alle anderen 15 Fahrgäste des Angeklagten wurden verletzt. Staatsanwalt Andrä: „Ein Geschädigter ist aufgrund der Verletzung des Gehirns nicht ansprechbar und wird intensivmedizinisch versorgt.“ Angeklagt ist der 25-Jährige jetzt wegen Mordes, Einschleusen von Ausländern, Körperverletzung, versuchten Mordes und wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge.
Vorgeworfen werden dem Angeklagten aber noch drei weitere Schleusungsfahrten im September 2023. Insgesamt 32 Personen aus der Türkei und Syrien habe der Angeklagte illegal ins Bundesgebiet gebracht. Bei einer Fahrt in der Nacht auf 27. September 2023 habe er im Mercedes Vito sogar 20 Asylbewerber gehabt. Laut Staatsanwaltschaft erhielt der Mann pro Fahrt mindestens 6000 Euro.
Jetzt darf sich der Angeklagte selbst zur Sache äußern.
Vorbericht
Zuerst schien für Samer O. alles nach Plan zu laufen: Die Grenzüberfahrt bei Burghausen glückte, dann sollte es auf der Autobahn weiter Richtung München gehen. Doch Zivilpolizisten wurden auf der A94 auf den Mercedes-Kleinbus (“Vito“) aufmerksam. An jenem 13. Oktober 2023 war schließlich eine wahre Tragödie zu verzeichnen: sieben tote und 15 verletzte Asylbewerber aus der Türkei und Syrien. Laut Staatsanwaltschaft waren sie völlig ungesichert im Kleinbus von Samer O. untergebracht.
Prozess am Landgericht Traunstein um tödlichen Schleuser-Unfall auf A94 bei Ampfing
Am Dienstag (8. Oktober) beginnt am Traunsteiner Landgericht ab 9 Uhr der Prozess gegen O. Der 25-Jährige wurde in Syrien geboren und lebte zuletzt in Wien. Die Anklage lautet auf Mord. Nachdem ihn die Zivilpolizisten auf der A94 kontrollieren wollten, habe er den Kleinbus auf bis zu 180 km/h beschleunigt. Bei Ampfing habe er dann von der Autobahn abfahren wollen - laut Staatsanwaltschaft wiederum mit 150 km/h. Der Mercedes schleuderte über eine Leitplanke und blieb am Dach liegen.
Sieben Tote bei Horror-Unfall auf A94 im Kreis Mühldorf am Freitag (13. Oktober)




Eigentlich wäre der Mercedes nur für insgesamt neun Personen ausgelegt gewesen. Während des Überschlags öffnete sich laut Staatsanwaltschaft eine der Türen. Alle sieben Personen, die dabei hinausgeschleudert wurden, verloren ihr Leben. Alle anderen Fahrgäste wurden teils schwer verletzt. Angeklagt ist nicht nur jene mutmaßliche Todesfahrt von Samer O. vom 13. Oktober 2023, sondern auch drei weitere Schleusungsfahrten nach Deutschland in den Wochen zuvor.
Die Anklage lautet auf Mord, Einschleusen von Ausländern, Einschleusen mit Todesfolge, versuchter Mord, Körperverletzung und Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge. Insgesamt sind sechs Verhandlungstermine am Landgericht vorgesehen, der letzte am 5. November. innsalzach24.de wird aktuell vom Prozess berichten. xe
