Zweiter Verhandlungstag zieht sich hin
Gewalt in einer toxischen Beziehung: Verlässt der Angeklagte den Gerichtssaal als freier Mann?
Er hat seine Verlobte mehrfach geschlagen und zuletzt auch beraubt. Er wollte einen Mitarbeiter der Kfz-Zulassung bestechen. Und muss mit Fußfesseln im Amtsgericht Mühldorf erscheinen. Verlässt er den Saal trotzdem als freier Mann?
Mühldorf – Der zweite Verhandlungstag gegen Ali M. (Name von der Redaktion geändert) war eine Geduldsprobe. Fünfeinhalb Stunden dauerte die Fortsetzung des Prozesses gegen den 46-jährigen Türken aus dem Landkreis, bis das Urteil gesprochen war. Gut zwei Stunden brauchte alleine die Aussage von Fatima L. (Name von der Redaktion geändert), einer 33-jährigen Jemenitin aus Waldkraiburg, die immer wieder mit Ali M. verlobt und Opfer seiner Ausbrüche war.
Staatsanwältin Franziska Mitterer warf Ali M. mehrfache Körperverletzung, eine gefährliche Körperverletzung und räuberischen Diebstahl vor. Das Opfer: seine Verlobte. Hinzu kamen noch Bestechung und Urkundenfälschung bei der Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamtes.
Streits und Handgreiflichkeiten zwischen Angeklagtem und seiner Verlobten
Der Vorfall bei der Kfz-Zulassung war schnell geklärt und nachgewiesen. Schwerwiegender und schwieriger zu klären waren die Streits und Handgreiflichkeiten zwischen Ali M. und Fatima L..
Am ersten Verhandlungstag hatte Ali M. noch versucht, die junge Frau zu beeinflussen, schüchterte sie ein. Als es dann noch hieß, die beiden seien erneut verlobt, setzte Greifenstein die Verhandlung aus: „Hier kommt es auf jedes Wort an und dazu ist das Deutsch der jungen Frau nicht gut genug.“
Einreden auf die Zeugin führt in die Untersuchungshaft
Nach der Verhandlung versuchte Ali M. weiter, auf seine damalige Verlobte einzuwirken. Das war zu viel, er kam wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft und erschien jetzt mit Fußfesseln im Gerichtssaal 116.
Diesmal war Ali M. ruhig und gefasst. Er war sogar damit einverstanden, den Gerichtssaal zu verlassen, solange seine Ex-Verlobte im Zeugenstand war.
„Die Beziehung ist vorbei“
Mit scheuem Blick nahm die junge Frau Platz. Ruhig und bestimmt stand sie Rede und Antwort, stellte über die Dolmetscherin klar: „Die Beziehung ist vorbei.“ Eine Beziehung, in der es immer wieder zu lautstarken Streits mit Rangeleien und gegenseitigen Verletzungen kam.
„Das war Notwehr“, verteidigte sich Fatima L.. „Ich wiege nur 40 Kilo.“ Ihr Verlobter 80.
Ohrfeige, Nasenbluten, Schlüsselbund an den Kopf geworfen
Vor Gericht waren mehrere Streits, die zwischen Sommer und Winter 2023 stattfanden, Thema: Einmal soll Ali M. seine Verlobte zu Boden gestoßen, am Arm durch eine Türe gezogen und dabei am Kopf verletzt haben. Ein anderes Mal soll er sie aufs Ohr und einmal mit dem Handballen ihre Nase blutig geschlagen haben. Bei einem weiteren Vorfall habe er ihr einen Schlüsselbund an den Kopf geworfen. Außerdem habe er in einem handgreiflichen Streit ihren Laptop sowie 250 Euro gestohlen: räuberischer Diebstahl.
Auch wenn Fatima L. immer wieder von „Schmerzen“ sprach, ein ums andere Mal sagte „Der Schlag war richtig heftig“, dramatisierte sie nicht. Sagte von sich aus, falls sie sich auch selbst verletzt haben könnte, sagte, dass Ali M. sie nicht so schwer verletzen wollte. Sie schilderte ihren Ex-Verlobten nicht als bösartig, sagte aber auch: „Er ist immer so, wenn wir streiten.“ Auch dass er dann Geschenke, die er ihr gemacht hatte, wieder zurück wollte.
„Alle Schmerzen ignoriert“
Schlusspunkt war dann ein Streit im Januar dieses Jahres. Da waren Fatima und Ali wieder verlobt. Erneut kam es zum Streit und er soll sie mit einem Schuh geschlagen haben, zu Boden und im Treppenhaus auf die Stufen geschubst sowie getreten haben. Außerdem nahm Ali M. Fatimas Laptop an sich, den sie sich über zwei Jahre vom Bürgergeld zusammengespart hatte und zu dem Ali M. als Geburtstagsgeschenk 200 Euro beigesteuert hatte.
Damit ging Ali M. in eine nahegelegene Bäckerei, um einen Kaffee zu trinken. Fatima ignorierte ihre Schmerzen und folgte ihm. „Ich wollte meinen Laptop unbedingt wieder haben“, so Fatima L. Ohne den könne sie nicht lernen. Dort rief dann eine Verkäuferin die Polizei und den Krankenwagen. „Ich habe gemeint, sie kippt mir vom Stuhl“, beschrieb die Verkäuferin vor Gericht den Zustand von Fatima.
„Er war nett und freundlich wie ein Vater“
Warum Ali M. und Fatima dennoch wiederholt zusammen waren? Sie hätte 20 Jahre ohne Vater gelebt, erklärte die Jemenitin. „Er war nett und freundlich wie ein Vater. Ich wollte ihn nicht verlieren.“
Im Gegensatz zur ersten Verhandlung war Ali M. diesmal weitgehend ruhig, besonnen und einsichtig. Er sagte selber, dass die Beziehung zu Fatima „endgültig“ vorbei sei.
Angeklagter ist der Polizei und Justiz bekannt
Der freundliche Eindruck täusche, machte ein Waldkraiburger Polizist deutlich, der als Zeuge geladen war. Es gebe Aufnahmen von dem Angeklagten, „da kommt sein wahres Gesicht raus. So, wie wir ihn kennen.“
Denn gänzlich unbekannt ist der 46-Jährige nicht. Das Bundeszentralregister hat bereits mehrere Einträge wegen Diebstahls, Urkundenfälschung, Beleidigung, Körperverletzung und Unterschlagung. Die Abstände werden kürzer, die Taten schwerer.
Plädoyers über eine „toxische Beziehung“
Für Staatsanwältin Mitterer waren alle Vorwürfe bewiesen. Fatima L. habe „glaubhaft und widerspruchslos“ ausgesagt und „keinen Belastungseifer“ gezeigt. Der Angeklagte habe sich dagegen zu diesen Taten nicht geäußert. Sie forderte – zum deutlich hörbaren Entsetzen von Ali M. – eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten.
Verteidigerin Schönsteiner verwies dagegen auf die „toxische Beziehung“, in der es mit gegenseitigen Verletzungen „drunter und drüber“ gegangen sei. Die Vorwürfe seien nicht nachgewiesen, der Vorfall bei der Kfz-Zulassung milder zu bewerten. Alles in allem forderte sie eine Freiheitsstrafe unter zwei Jahren mit Bewährung.
„Ich sage nicht, dass nichts passiert ist“, sagte Ali M. schließlich in seinem Schlusswort. Es sei aber alles gegenseitig gewesen. „Ich möchte eine Chance.“
Keine Zweifel an der Schuld
Am Ende hatte das Schöffengericht „keine Zweifel“ an den angeklagten Vorgängen. Die Verhandlung habe nur einen Ausschnitt aus der Beziehung gezeigt. „Der Angeklagte hat eine bipolare Art, wie wir seit Jahren wissen“, so Richter Greifenstein.
Aus juristischen Gründen gab es zwei Strafen von jeweils einem Jahr und zwei Monaten – wegen der Vorstrafen und der zunehmenden Rückfallgeschwindigkeit ohne Bewährung. Damit wurde Ali M. insgesamt zu zwei Jahren und vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Schuldig und doch ein freier Mann – vorerst
Dennoch verließ er den Saal 116 gegen 19 Uhr als freier Mann. Da die Verhandlung beendet war, konnte er seine Ex-Verlobte nicht mehr beeinflussen, war der Grund für die Untersuchungshaft weg. Und so ist Ali M. bis zum Haftantritt ein freier Mann.
Ali M. und seine Rechtsanwältin haben gegen das Urteil Berufung eingelegt.