Fahrerflucht in Waldkraiburg
„Herrgott noch mal“: Vater-Sohn-Verwirrspiel lässt Amtsrichter den Kragen platzen
Am Anfang stand eine kaputte Mauer in Waldkraiburg. Am Ende gab es vier Verhandlungstermine vor dem Amtsgericht Mühldorf und einen Amtsrichter Florian Greifenstein, dem der Kragen platzt.
Waldkraiburg/Mühldorf – Das Verfahren vor dem Amtsgericht Mühldorf hatte noch gar nicht richtig begonnen, da entfuhr Amtsrichter Florian Greifenstein schon ein erstes „Herrgott noch mal! Bringen wir das Katz-und-Maus-Spiel zu einem Ende.“ Es sollte nicht das Einzige in der gut zweistündigen Verhandlung bleiben.
Denn längst standen das Vergehen und der Aufwand der Wahrheitsfindung in keinem Verhältnis mehr, längst war es auch ein Verfahren, bei dem der Wurm drin war – auf vielen Ebenen.
Vierter Verhandlungstermin beginnt mit Ärgernis
So begann auch der vierte Verhandlungstermin mit einem Ärgernis: Der Zeuge Johannes B. (Name von der Redaktion geändert) war nicht erschienen, sein angeklagter Vater Johann B. (Name von der Redaktion geändert) sehr wohl.
„Er hat keinen Brief bekommen“, sagte die Mutter, die als Zuhörerin dabei war. Denn die Ladung ging an die richtige Straße, aber im falschen Ort.
Mutter sorgt für unbürokratische Lösung
„Sie wohnen doch im gleichen Haus“, grummelte Richter Greifenstein in Richtung Eltern.
Die Ehefrau und Mutter sprang auf, griff zum Handy und sorgte vor dem Gerichtssaal für eine unbürokratische Lösung: Sie rief ihren Sohn in der Arbeit an. „Seit Monaten rennen wir dem nach“, grummelte Richter Greifenstein.
In der Früh um 5 Uhr Mauer in Waldkraiburg beschädigt
Angefangen hatte alles am 1. Juli 2023. Da rammte um 4.54 Uhr in Waldkraiburg ein Kleinlaster die Mauer einer Garageneinfahrt. Und zwar so, dass die sich laut Anklage teilweise verschob. Der Sachschaden: knapp 3.500 Euro.
Statt den Unfall zu melden, fuhr der Fahrer aber einfach davon. Fahrerflucht. Sein Pech: ein Anwohner war gleichzeitig auf dem Weg zur Arbeit. Er hörte den Vorfall und fotografierte kurz darauf den Kleinlaster samt Kennzeichen. „Falls sich niemand meldet“, erklärte er vor Gericht.
Nachbar bringt das Verfahren ins Rollen
Die Tür des Transporters stand offen, so der Zeuge, den Fahrer hatte er zuvor nur schemenhaft gesehen. „Zwischen 35 und 60 Jahre“ sei er alt gewesen. Konkreter könne er nicht werden.
Abends erzählte der Zeuge seinem Sohn, der bei der Polizei in Waldkraiburg arbeitet, davon. Und alles kam ins Rollen. Der Kleinlaster gehörte einer Firma im Landkreis Traunstein und der Chef nannte der Polizei den Namen des eingeteilten Fahrers: Johannes B..
Fahrer meldet sich oder doch nicht?
Wenig später kam auch ein Mann mit dem Kleinlaster zur Polizei in Traunstein. Eine 29-jährige Polizistin besah sich den Laster: „Ein paar Kratzer. Es sah nicht nach einer großen Beschädigung an einer Steinmauer aus.“ Außerdem nahm sie die Personalien des Mannes auf: Johann B., Jahrgang 1962.
Und so saß Johann B. jetzt auf der Anklagebank, schwieg eisern, blickte stoisch geradeaus und ließ seinen Anwalt Christoph Joachimbauer für sich sprechen. Seine einzige Aussage bisher: „Ich bin nicht gefahren.“
„Ich war verwirrt, als ich ihn jetzt gesehen habe“
„Ich war verwirrt, als ich ihn jetzt gesehen habe“, sagte die Polizistin vor Gericht. Sie habe in dem Angeklagten nicht den Mann erkannt, der bei ihr war, der sich als Johann B. zu erkennen gab, laut Firma aber Johannes B. sein sollte. Jener Johannes B., der nicht vor Gericht erschienen war, weil die Ladung an den falschen Ort geschickt wurde.
„Er ist unterwegs“, versicherte die Mutter. „In einer halben Stunde ist er da.“
Um 10.13 Uhr nimmt der Sohn auf dem Zeugenstuhl Platz
Um 10.13 Uhr nahm der Sohn Johannes schließlich auf dem Zeugenstuhl Platz. Das Erscheinungsbild: dunkle Haare und deutlich jünger als sein grauhaariger Vater.
„Das könnte der Mann sein, der bei mir war“, sagte die Traunsteiner Polizistin – also der Fahrer, der mutmaßlich bei der Polizei einen falschen Namen und Geburtsdatum angegeben hatte, die Daten seines Vaters.
„Der Plan ist nicht aufgegangen“
Wurde der Polizistin falscher Name und Geburtsdatum genannt? Mit Vorsatz oder aus Versehen? Für Richter Greifenstein war es ein „Katz-und-Maus-Spiel“ mit nahezu identischen Namen, das Vater und Sohn mit dem Gericht spielten. „Der Plan ist aber nicht aufgegangen.“
Ob und warum, blieb ungeklärt. Denn Johannes B. verweigerte die Aussage: „Mein Anwalt hat gesagt, ich soll nichts sagen.“
Das sei auch „vernünftiger“, meinte Greifenstein. Schließlich könne er selbst bald Angeklagter sein.
Freispruch für den Angeklagten – Nachspiel für den Sohn
Für die Rechtsreferendarin der Staatsanwaltschaft, Clara Wiemer, und Rechtsanwalt Joachimbauer war jedenfalls erwiesen, dass der Angeklagte Johann B. nicht der Fahrer war, der die Unfallflucht begangen hatte. Sie forderten einen Freispruch.
Dem schloss sich Richter Greifenstein an und war bei seinem Freispruch schon wieder milde gestimmt. Der Sohn sei wohl der Fahrer gewesen und der Angeklagte habe den Irrtum nie aufgedeckt. „Das war ein Katz-und-Maus-Spiel. Aber man kann dem Angeklagten nicht böse sein. Es geht um seinen Sohn.“ Und so trägt der Staat die Kosten des Gerichtsverfahrens und die Staatsanwälte in Traunstein werden sich jetzt wohl den Sohn vornehmen.